Höchste Zeit für eine ausgewogenere Einschätzung Chinas

Bild: pixelio.de
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Seit geraumer Zeit bereiten die vermeintlichen wirtschaftlichen Schwächen Chinas der Anlegerschaft Kopfzerbrechen. Exzessive Infrastrukturausgaben, ein undiszipliniertes Bankensystem und eine Immobilienblase, die jederzeit mit ungeahnten Folgen platzen könnte, lasten auf den Gemütern. Joep Huntjens, Head of Asian Debt ING Investment Management, erläutert die Hintergründe.

12.02.2015, 17:19 Uhr

Redaktion: kgh

"Viele Investoren betrachten China seit geraumer Zeit eher pessimistisch. Bei ING Investment Management nehmen wir diese Sorgen zur Kenntnis, bemühen uns aber um eine ausgewogenere Sichtweise, die auch den von der chinesischen Regierung verfolgten Reformen Rechnung trägt.

Wenn auch die chinesische Regierung zweifelsohne viel Geld für Infrastrukturprojekte mit wenig wirtschaftlichem Wert ausgegeben hat, reicht das unserer Auffassung nach nicht, um die Wirtschaft einbrechen zu lassen. Auch die Tatsache, dass die gegenwärtige Führung Fehler der Vergangenheit eingeräumt hat, sowie die besonnenen Schritte zu ihrer Vermeidung geben Anlass zur Hoffnung.

Zugleich reformiert die Regierung den chinesischen Finanzsektor, vor allem in den Bereichen Einlagensicherung und Schattenbanksystem sowie Repo- und Interbankenmarkt. Auch haben die grössten Banken Chinas die Initiative ergriffen und ihre Eigenkapitalbasis über die Ausgabe von Hybridkapital an in- und ausländischen Märkten gestärkt. ING IM geht davon aus, dass sich diese Trends auch 2015 fortsetzen und das Kreditprofil des Finanzsektors im Laufe der Zeit stärken werden.

Vielen Investoren sind die Folgen, die der Immobilienmarkt-Crash von 2007/08 für die Weltwirtschaft hatte, noch in deutlicher Erinnerung. Die Privathaushalte in China sind jedoch bei Weitem nicht so verschuldet, wie dies bei ihren westlichen Pendants der Fall war. Auch sind ihre Sparquoten höher als die westlicher Haushalte. Insofern besteht ein Puffer, um negative Effekte abzufedern. ING IMs hauseigene Analysen haben ergeben, dass die Erträge des chinesischen Wohnimmobilienmarktes 2014 um 10 Prozent höher waren als in 2013. Dieses Volumenwachstum macht den Rückgang der Verkaufspreise um bis zu 5 Prozent mehr als wett.

Trotz alledem bestehen bei ING IM Bedenken im Hinblick auf die wachsenden Ungleichgewichte zwischen Stadt- und Landbevölkerung, die ineffizienten Staatsunternehmen und die Fähigkeit der Regierung, hier durchgreifende Reformen zu realisieren. In der Tat stellt gerade die Reformierung der Staatsunternehmen eine der grössten Herausforderungen für die chinesische Führung dar. Zwar ist das unerschlossene Wertschöpfungspotenzial staatlicher Unternehmen erheblich, doch sind ihre Ineffizienzen systemimmanent. Eine tief greifende Reform braucht Zeit. Sollte es indes gelingen, sie relativ rasch umzusetzen, könnte das die Konjunktur erneut anschieben.

Kurzum: Wir meinen nicht, dass die chinesische Wirtschaft kurz vor dem Absturz steht. Die konjunkturelle Abkühlung der jüngsten Zeit könnte durchaus die dringend erforderlichen Reformen anstossen. Die Wirtschaft würde gestärkt daraus hervorgehen – für Investoren wäre das günstig."

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