12.11.2024, 17:37 Uhr
«Die jüngsten politischen und finanzpolitischen Schlagzeilen haben den europäischen Markt für Staatsanleihen nicht erschüttert, was darauf hindeutet, dass die Positionierung der Anleger bereits die erhebliche...
Vom 18. bis 19. November 2024 wird Brasilien als Gastgeber des G20-Gipfels in Rio zum ersten Mal im Mittelpunkt der weltweit bedeutendsten Plattform für globale wirtschaftliche Zusammenarbeit stehen. «Das stärkt das Ansehen des Landes weiter», schreibt Dina Ting, Head of Global Index Portfolio Management bei Franklin Templeton.
Die G20, der die USA, China, Indien, die EU und seit kurzem auch die Afrikanische Union angehören, repräsentiert die wichtigsten Volkswirtschaften der Welt, auf die nach OECD-Angaben rund 80 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts, 75 Prozent des Welthandels und zwei Drittel der Weltbevölkerung entfallen.
Seitdem der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (Lula) Anfang 2023 seine dritte Amtszeit ohne Unterbrechung angetreten hat, hat er viel Zeit im Ausland verbracht, um das Ansehen seines Landes in der Welt zu verbessern. Seine Bemühungen könnten sich laut Ting auszahlen. Eine kürzlich von Pew Research durchgeführte Umfrage ergab, dass die meisten brasilianischen Erwachsenen den Status ihres Landes als internationale Macht optimistisch einschätzen.
Neben der G20 soll Brasilien auch Gastgeber für andere hochkarätige Veranstaltungen wie die UN-Klimakonferenz (COP30) und den BRICS-Gipfel (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) im Jahr 2025 sein und gleichzeitig die Mitgliedschaft in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) anstreben.
In den fast drei Jahren, seit Brasilien sein formelles Beitrittsverfahren für die OECD-Mitgliedschaft eingeleitet hat, hat das Land viele Meilensteine auf dem Weg zu diesem Ziel erreicht. Sollte die Aufnahme gelingen, wäre Brasilien in einer einzigartigen Position, um den zunehmenden geopolitischen und wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu beeinflussen, da es als einziges Land gleichzeitig in den BRICS, den G20 und der OECD vertreten ist.
Als achtgrösste Volkswirtschaft der Welt und grösste Volkswirtschaft Lateinamerikas könnte Brasilien ein starkes Bindeglied im globalen Diskurs über Schlüsselthemen für den Globalen Süden sein. Zu diesen Themen gehören vor allem die Bekämpfung von Hunger, Armut und Ungleichheit, nachhaltige Entwicklung und die Reform der Global Governance. Wenn Brasilien in der Lage sei, politische und finanzielle Zusagen für Fortschritte bei Prioritäten wie der digitalen Infrastruktur zu erreichen, könnte das nicht nur zu einer Steigerung des brasilianischen BIP führen, sondern auch zur Verringerung der wirtschaftlichen und städtisch-ländlichen Kluft sowie zum Abbau der Geschlechterungleichheit führen.
Franklin Templeton erwartet, dass ein OECD-Gütesiegel für Brasilien auch globale Investoren ermutigt, die die Sicherheit der hohen Standards der Koalition zur Erleichterung der Geschäftstätigkeit suchen. Ein Sitz am Tisch würde Brasilien ein stärkeres Mitspracherecht bei der Gestaltung von Best Practices und globalen Rahmenwerken für sich schnell entwickelnde Technologiestandards geben. Die auf künstliche Intelligenz und Finanztechnologie spezialisierten brasilianischen Unternehmen gehören bereits zu den grössten in Südamerika.
Als grösster Ölproduzent Lateinamerikas ist das rohstoffreiche Brasilien führend im Energiesektor. Der grösste Sektor des Landes ist mit einer Gewichtung von mehr als 36 Prozent laut MSCI Brazil Index jedoch das Finanzwesen.
Die hohen Staatsausgaben sind nach wie vor ein Hauptproblem. «Unserer Meinung nach würde jede Einschränkung dieser Ausgaben die Kapitalmärkte des Landes optimistisch stimmen», schreibt Ting. Unterdessen stellt Brasilien eine Ausnahme im globalen Trend sinkender Zinssätze dar: Im September erhöhte die brasilianische Zentralbank die Zinsen, um den Inflationsdruck einzudämmen. Es wird am Markt erwartet, dass der brasilianische Real in nächster Zeit stabil bleibt oder leicht aufwertet, was zum Teil auf die sinkenden US-Zinsen zurückzuführen ist.
Es sei zudem ermutigend zu sehen, dass es bei der lang erwarteten brasilianischen Mehrwertsteuerreform Fortschritte gibt, die dem Privatsektor weiter Auftrieb geben könnten, da Effizienzgewinne durch ein einfacheres Steuersystem Investitionen begünstigen würden.
Das Wachstum des verarbeitenden Gewerbes und des Dienstleistungssektors in Brasilien hat sich im September beschleunigt, was auf ein starkes Wachstum der Wirtschaftstätigkeit hindeutet. «Darüber hinaus wird der brasilianische Markt derzeit zu Bewertungen gehandelt, die wir für günstig halten», schreibt Ting. Die verbesserten Bedingungen im verarbeitenden Gewerbe in Brasilien wurden laut S&P Global durch einen erneuten Anstieg der Produktion, eine stärkere Schaffung von Arbeitsplätzen und eine Belebung des Umsatzwachstums angetrieben. Ende September stieg der brasilianische Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe auf 53,2 Punkte und wurde nur noch von Indien übertroffen.
Brasilianischer Einkaufsmanagerindex
Quelle: FactSet, Markit Economics
Die Erwartungen seien ausserdem hoch, dass Brasilien im Jahr 2027 einen wirtschaftlichen Aufschwung erfährt, da es den Zuschlag für die Ausrichtung der FIFA-Frauen-Weltmeisterschaft erhalten hat – eine Premiere nicht nur für Brasilien, sondern für ganz Südamerika.
«Kurzfristig sind wir der Ansicht, dass Anleger die Chancen in Brasilien im Auge behalten sollten und sich ein attraktiver Einstiegspunkt in diesen grossen und vielfältigen Markt bieten könnte», so das Fazit von Ting.