04.12.2024, 10:51 Uhr
«Während die Märkte von einer lockeren Geldpolitik beflügelt werden, drohen politische Umwälzungen in den USA sowie geopolitische Spannungen», schreibt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam in...
Gemäss der Einschätzung von Mikio Kumada, Global Strategist bei LGT Capital Partners, hat Europa einen gütligen Kompromiss gefunden: Das hochverschuldete Griechenland soll weiterhin günstige Kredite erhalten, primär zur Bedienungs einer Altschulden und der Absicherung seiner Banken. Athens neue Links-Rechts-Regierung darf zudem den damit verbundenen Sparkurs jetzt aus sozialen Gründen etwas lockern und erhält zugleich ein bedingtes Mitspracherecht bei den Reformen.
"Über den spannenden Verlauf der Gespräche zwischen den europäischen Politikern und der neuen griechischen Regierung haben die Medien in den letzten drei Wochen mit viel Tamtam berichtet. Wer sich dabei aber zu stark von sensationsheischenden Schlagzeilen und Schnellanalysen über vermeintliche Gewinner und Verlierer der Verhandlungen leiten lässt, riskiert, vor lauter Bäumen den Wald zu übersehen. Angesichts der dringlichen und ungewöhnlichen Umstände haben sich Athen und Europa nämlich nicht nur ziemlich genau wie erwartet verhalten, sondern auch vergleichsweise rasch geeinigt. Das ist eine positive Entwicklung für die Märkte.
Aufweichung des Sparprimats erneut bestätig
Zudem bestätigt die Einigung einmal mehr, dass das Sparprimat in der Wirtschaftspolitik Europas sukzessive zugunsten von Wachstum und Reform aufgeweicht wird. Für die Gläubigerstaaten bedeutet die Einigung, dass das laufende Rettungsprogramm im Kern unverändert bleibt und bereits durchgeführte Reformen nicht einseitig zurückgerollt werden. Griechenland hat sich allerdings mehr Mitsprache erkämpft - es darf zukünftig selbst Reformvorschläge vorlegen. Sofern diese Pläne geprüft und angenommen werden, dürften die relativ strengen Sparziele zudem etwas gelockert werden.
Einbindung der neuen griechischen Regierung als Chance
Dass die Regierung in Athen nun stärker in den Prozess eingebunden wird, ist grundsätzlich begrüssenswert, denn letztlich hat nur sie das notwenige Grundvertrauen der griechischen Bevölkerung. Nur so besteht eine Chance, dass Reformen angenommen und durchgesetzt werden. So haben während der Verhandlungen die Zustimmungswerte für die Regierung mehr als 80% erreicht. Erstmals seit ausserordentlichen historischen Ereignissen wie dem Ende der Besetzung nach dem Zweiten Weltkrieg oder dem Sturz der Militärdiktatur von 1974 gab es im ganzen Land regierungsfreundliche Massendemonstrationen - ohne gewalttätigte Zwischenfälle.
Die nächsten Wochen werden freilich zeigen, ob die Griechen ihrem Führungsteam um Premierminister Alexis Tsipras das Nachgeben übel nehmen werden, oder sich doch der notwendige Realitätssinn durchsetzt. Die neue griechische Regierung sorgt anderswo in Europa für Aufregung, Misstrauen und zusätzliche Komplikationen - und sei es nur deshalb, weil sie die Sprache der internationalen Bürokratie und Diplomatie offensichtlich (noch) nicht ganz beherrscht. Sie ist jetzt aber am europäischen politischen Prozess und dessen Entscheidungen beteiligt und verfügt mit Sicherheit über das notwendige politische Kapital, um ihre Wähler von der Notwendigkeit des Kompromisses zu überzeugen.
Europa im zyklischen Aufwind
Wichtiger ist aber die unverändert freundliche Gesamtsituation: Im Euroraum hat sich einmal mehr die Kooperation durchgesetzt, während die zyklischen Zeichen seit einiger Zeit ohnehin zunehmend auf Wachstum stehen. Die anstehende deutliche Lockerung der Euro-Geldpolitik und das nachlassende Sparprimat wurden bereits erwähnt. Dazu kommen der schwächere Euro und die gesunkenen Preise für Industrierohstoffe. Auch der im Herbst angekündigte EU-Investitionsplan hilft, auch wenn das Zielvolumen von 315 Mrd. Euro ohne erhöhte direkte Staatsfinanzierung letztlich verfehlt werden dürfte. Diese Faktoren dürften in nächster Zeit die Konjunktur und die Unternehmensgewinne im Währungsraum beleben und dessen Aktienmärkte in stärkerem Ausmass als in anderen Regionen auf Trab halten - und sollte sich Athen zudem an die gerade getroffenen Vereinbarungen halten, was derzeit nicht gerade der Konsenserwartung entspricht, dann wird es selbstverständlich auch an dieser Dynamik teilnehmen können.
Abklingende Sparpolitik und zunehmender monetärer Rückenwind im Euroraum
Die erste Grafik (siehe PDF, Seite 2) zeigt die Entwicklung der Einkaufsmanagerindizes im internationalen Vergleich seit 2012. Die rot markierten Zellen signalisieren eine Rezession, gelb impliziert eine neutrale Situation und grün nimmt einen zyklischen Aufschwung vorweg. Anhand dieses Farbenrasters wird ersichtlich, wie deutlich sich die heutige Situation gegenüber dem Zustand im ersten Halbjahr 2012 verbessert hat - auch damals hielt die griechische Schuldenkrise die internationalen Finanzmärkte in Atem (Umstrukturierung der alten Staatsschulden, zweifache Wahlen, gewalttätige Ausschreitungen von der Athener Parlament). Inzwischen hat sich aber selbst Griechenland vom tiefroten Bereich an die Wachstumsschwelle empor gearbeitet.
Fiskalische Gegenwinde nehmen allmählich ab
Die nächste Grafik (siehe PDF, Seite 2) zeigt die Veränderung der Budgetdefizite in Prozentpunkten des Bruttoinlandsprodukts. Wir vergleichen die Veränderung während der vergangenen Jahre mit der erwarteten Entwicklung in den nächsten zwei Jahren. Die Basis bieten die Daten des Internationalen Währungsfonds, vor den etwaigen Anpassungen nach der jüngsten Einigung mit Griechenland. Eine negative Zahl bedeutet eine Reduktion des Budgetdefizits - d.h. eine entsprechend intensive Sparpolitik. Ein positive Zahl verweist auf erhöhte Staatsausgaben, was in der Regel zyklisch stimulierend wirkt. Im Schlepptau der Finanzkrise führten die Länder der europäischen Peripherie von 2009 bis 2014 die weltweit härtesten Sparprogramme durch - allen voran Griechenland und Irland. Die resultierende Verbesserung der makroökonomischen Kennzahlen war allerdings mit hohen sozialen und politischen Kosten und Problemen verbunden. Die bis 2016 anvisierten Sparziele für die Peripherieländer sind zwar gegenüber früher moderater geworden, bleiben aber im globalen Vergleich überdurchschnittlich hart. Sie dürften daher weder politisch realistisch noch in diesem Ausmass wirtschaftlich notwendig sein. Wir gehen daher davon aus, dass die Sparziele in nächster Zeit sukzessive generell aufgelockert werden."
Lesen Sie hier den ganzen Kommentar mit Grafiken als PDF: Griechenland-Einigung bestätigt Aufweichung des Sparprimats