23.12.2024, 08:37 Uhr
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Griechenlands Management der Corona-Krise ist vorbildlich, meint Nicolas Roth von Reyl. Langfristig könne das Land deshalb an Attraktivität und Vertrauen gewinnen. Die starke Abhängigkeit vom Tourismus sei aber ein grosses Problem für das Land.
Dass Griechenland sich in der Anfangsphase der Corona-Krise anders als andere Länder relativ gut geschlagen hat, hat kaum jemand zur Kenntnis genommen. Die Ausgangslage für das Land war schwierig, erholte es sich doch gerade von einer zehn Jahre andauernden Schuldenkrise. Unter der Führung von Premierminister Kyriakos Mitsotakis reagierte die Regierung jedoch sehr rasch auf die Ausbreitung des Virus und ordnete bereits im Februar – noch bevor erste Todesfälle zu beklagen waren – erste Lockdowns, die Schliessung von Schulen sowie die Einstellung der Aktivitäten von nicht-systemrelevanten Unternehmen an.
Die rasche Umsetzung der Massnahmen zeigte Wirkung: Ende Juli zählte das Land nur etwas mehr als 4'700 Erkrankungen sowie insgesamt 210 Todesfälle. Allerdings werden die grössten Herausforderungen erst noch kommen, ist Nicolas Roth, Head of Alternative Assets bei Reyl, überzeugt: "Dazu gehören insbesondere Fragestellungen, wie die Auswirkungen der enttäuschenden Sommersaison aufgefangen, die Wirtschaft stärker diversifiziert und damit die Abhängigkeit vom Tourismus verringert werden kann. Ausserdem soll ein ambitiöses Reformprogramm das Land für ausländische Investoren attraktiver machen." Wird es Griechenland angesichts des unsicheren Umfeldes schaffen, den eingeschlagenen Reformprozess weiter zu verfolgen und die geplanten Projekte umzusetzen?
Hinsichtlich der Dynamik der Wirtschaft und der Entwicklung des BIP begann Griechenland vor etwas mehr als zwei Jahren, sich vom Schlusslicht Europas zu einem Wachstumsführer zu entwickeln. Dank der Umsetzung von längst überfälligen Reformen, Steuererleichterungen, der Planung ambitiöser Entwicklungsprojekte und der Öffnung für institutionelle Anleger habe die Regierung die Grundlage für dieses Wachstum geschaffen. Der Erholungspfad sei zwar dynamisch gewesen, zugleich aber auch fragil, merkt Roth an. Deshalb habe der Ausbruch der Corona-Krise für das Land eine grosse Gefahr dargestellt, auf welche die Regierung Mitsotakis mit unüblichen Massnahmen reagierte.
Achillesferse des Landes könnte die grosse Abhängigkeit vom Tourismus sein. Der Sektor macht zwischen einem Viertel und einem Drittel des BIP aus – und leidet zwangsläufig unter der Grenzschliessung und dem weltweiten Grounding von Flugzeugen. Eine Studie von Ernst & Young schätzt die daraus entstandenen Kosten auf über 10 Mrd. Euro. Trotz grosser Anstrengungen Griechenlands, während des Sommers 2020 "geöffnet" zu bleiben und die Saison zu retten, werde es im besten Fall vermutlich nur für eine Schadensbegrenzung reichen. Denn auch das Passagieraufkommen im Juli entsprach nur etwa 15 bis 25% desjenigen von Juli 2019 – einige Hotels öffneten erst gar nicht, andere arbeiten mit Verlust. "Auch wenn diese Erkenntnis nicht ganz neu ist, so zeigt diese Entwicklung, dass die (zu) starke Abhängigkeit von einem einzelnen Sektor langfristig ein wenig nachhaltiges Geschäftsmodell für eine Volkswirtschaft ist", sagt Roth.
Trotzdem: Die Regierung, die vielerorts als eine der pragmatischsten und effizientesten der Welt gelobt wird, werde diese Krise zu nutzen wissen. Die erste Phase der Krise habe denn auch gezeigt, wie das kleine Mittelmeerland mit extremen Situationen umzugehen versteht. Die rasch und effizient umgesetzten Massnahmen basierten auf einem robusten und teamorientierten Krisenmanagement und einer transparenten und offenen Kommunikation mit den Bürgern des Landes. Zudem hat die Regierung innerhalb weniger Wochen Projekte zu einer stärkeren Digitalisierung von KMU sowie ausgewählten Bereichen des Staates in die Wege geleitet und umgesetzt. Griechische KMU können nun über eine einzige Schnittstelle von tech-affinen Firmen lernen, wie sie Online-Anzeigen schalten und verwalten können. Bürger erhalten Dokumente oder medizinische Rezepte versehen mit einer elektronischen Signatur. "Und auch die Angestellten lernten rasch, die digitale Kommunikation für ihre Arbeit von zuhause aus zu nutzen", hat Roth beobachtet. "Diese Digitalisierungsanstrengungen werden sicherlich dazu beitragen, dass Griechenland bei Firmen, die im Süden Europas einen neuen Sitz errichten möchten, an Attraktivität gewinnt."
Auch die Finanzierung scheint gesichert. Im Rahmen des europäischen Aufbauplans "Next Generation EU" wurde Griechenland eine Tranche von 72 Mrd. Euro zugesichert, davon 32 Mrd. Euro als Darlehen. Diese Unterstützung entspricht fast 17% des BIP – eine der höchsten Quoten innerhalb der EU. Um die Gelder bestmöglich und effizient zu nutzen, hat Premier Mitsotakis bereits einen Steuerungsausschuss berufen sowie zusätzlich sein Kabinett umgestellt. Und schliesslich plant das Land, mithilfe von Vorschlägen eines Expertengremiums das systemische Einkommen zu steigern und die Produktivität von Arbeit und Investitionen zu fördern. "Auch wenn dieser Bericht bereits vor der Covid-19-Krise angefordert wurde, wird er sicher dazu beitragen, das zukünftige Wachstum zu fördern", ist Roth überzeugt.
Die vielen richtigen und ohne Zeitverlust umgesetzten Massnahmen sowie die als sehr kompetent angesehene Regierung erfreuen sich laut dem Experten grosser Unterstützung durch die Bevölkerung: "Zehn Jahre nach dem wirtschaftlichen Niedergang möchte Griechenland deshalb der Welt zeigen, dass das Land die Krise gut meistern kann. Langfristig werden die umgesetzten Initiativen die Wirtschaft und die Vertrauenswürdigkeit des Landes stärken." Obwohl die nächsten Monate schwierig sein werden, zeigt sich Roth mit Blick auf Griechenlands Errungenschaften optimistisch. Oder wie Alex Patelis, ökonomischer Chefberater des Ministerpräsidenten, den griechischen Ansatz erklärt: "Wir werden das Rad nicht neu erfinden, aber diese Regierung wurde gewählt, um ambitiöse Reformen umzusetzen."