15.12.2025, 09:46 Uhr
Die Energiewende hinterlässt ihre Spuren: Fallende Ölpreise entlasten Verbraucher und europäische Industrie, während die KI-Revolution und instabile Stromnetze die Energiewende vor massive Herausforderungen stellen.
Tech-Aktien erreichen neue Rekorde. Erleben wir den Beginn einer echten Transformation – oder riskieren wir eine Übertreibung? Maurizio Porfiri, CIO bei Maverix Securities, im Interview.
Tech-Aktien erreichen neue Rekorde. Erleben wir den Beginn einer echten Transformation – oder riskieren wir eine Übertreibung?
Wir sehen tatsächlich beides gleichzeitig. Die fundamentale Entwicklung spricht klar für eine echte Transformation. KI, Cloud und Halbleiter treiben strukturelles Wachstum, und viele der führenden Tech-Unternehmen erzielen Rekordgewinne bei hoher Cashflow-Qualität. Gleichzeitig gibt es Segmente, in denen Bewertungen sehr ambitioniert sind – insbesondere dort, wo Geschäftsmodelle noch nicht tragfähig sind. Insgesamt überwiegt für uns aber die Substanz: Der aktuelle Zyklus wird stärker durch reale Nachfrage als durch reine Erwartungen getragen.
Milliarden fliessen in Rechenzentren und Chips. Ist die Nachfrage wirklich stark genug, um diese Investitionen zu tragen?
Im Grundsatz ja. Die Nachfrage nach Rechenleistung wächst schneller als je zuvor, getrieben durch KI-Anwendungen, Cloud-Workloads und steigende Edge-Intelligenz. Hyperscaler erhöhen ihre Investitionsbudgets massiv, weil sie bereits heute Kapazitätsengpässe sehen. Das heisst jedoch nicht, dass alles risikolos ist. Einzelne Projekte können überdimensioniert sein, vor allem bei kleineren Anbietern, die auf teure GPU-Cluster setzen. Beim Gesamtmarkt aber erkennen wir robuste Fundamentaldaten – die Nachfrage ist real, global und langfristig.
Der Erfolg der grossen Konzerne sei durch Monopole und Fehlregulierung begünstigt worden. Haben die Behörden geschlafen?
Die Plattformökonomie wurde tatsächlich lange nur begrenzt reguliert. Netzwerkeffekte, Datenvorteile und hohe Wechselkosten haben Markteintrittsbarrieren geschaffen, die erst spät hinterfragt wurden. Aber das Bild hat sich gewandelt. Die EU mit ihrem Digital Markets Act, die USA mit neuen Kartellverfahren – die Behörden haben den Kurs deutlich verschärft. Rückblickend war die Regulierung zu langsam, heute besteht eher das Risiko einer Überlagerung durch komplexe Vorgaben. Für Investoren ist es deshalb wichtig, regulatorische Themen permanent mitzudenken.
Viele Firmen testen generative KI, doch Produktivitätsgewinne bleiben aus. Woran liegt das – und wo könnte der Durchbruch kommen?
Die Technologie selbst ist nicht das Problem – sie ist reif. Die Herausforderungen liegen in der Umsetzung: Datenqualität, fehlende Integration in bestehende Prozesse, mangelnde Governance und schlichtweg fehlende Veränderungsbereitschaft. Viele Unternehmen betreiben KI bislang im Pilotmodus, nicht im produktiven Kern. Den Durchbruch erwarten wir bei Anwendungen, die tief in Workflows eingebettet sind: Entwickler-Copilots, automatisierte Kundenservice-Agenten, KI-Unterstützung in Recht, Medizin, Engineering und Forschung. Dort wird der Nutzen konkret messbar – und dann kommen auch die Produktivitätsgewinne.
Wo kann Europa im globalen Wettbewerb punkten? Wo liegen die spannendsten Chancen?
Europa wird kaum zur Heimat der nächsten globalen Social-Media- oder Consumer-Plattform. Aber in Deep Tech ist die Region extrem stark. Halbleiter-Equipment, Automatisierung, Industrie-Software, Power-Electronics, Energietechnik und Cybersecurity. Die industrielle Basis Europas ist ein Wettbewerbsvorteil, denn KI entfaltet ihren grössten Wert genau dort, wo komplexe physische Prozesse optimiert werden können. Besonders spannend sind Unternehmen, die Infrastruktur für KI bereitstellen – ob Chips, Netze, Stromversorgung oder industrielle Integrationslösungen.
Braucht es eine eigenständige europäische Digitalstrategie, um unabhängiger von Big Tech zu werden?
Ja, aber mit Augenmass. Europa sollte nicht versuchen, Big Tech zu kopieren, sondern sich auf strategische Felder konzentrieren, in denen Souveränität essenziell ist: Chips, Rechenzentrums-Infrastruktur, Cloud-Governance, Datenräume, Energie- und Netztechnologien. Der AI Act und der Chips Act sind erste Schritte. Wichtig ist, Fragmentierung abzubauen und Skalierung zu ermöglichen. Eine fokussierte, innovationsfreundliche Digitalstrategie kann Europas Stärken multiplizieren – ohne den Anschluss an das globale Ökosystem zu verlieren.
Wenn Sie fünf Jahre vorausblicken: Welche Technologien und Geschäftsmodelle werden die Tech-Landschaft prägen – und wo sollten Investoren jetzt ansetzen?
In fünf Jahren wird die Tech-Welt klar KI-zentriert sein. Wir erwarten KI-First-Software, autonome Agenten in Unternehmensprozessen, massive Fortschritte in Chip-Architekturen sowie die Verschmelzung von KI mit Industrie, Energie und Biowissenschaften. Gleichzeitig entsteht ein riesiger Markt rund um Infrastruktur. Halbleiter, Packaging, Netze, Stromerzeugung, Kühlung, Optik – ein Ökosystem, das heute noch unterschätzt wird. Für Investoren heisst das, Qualitäts-Tech als Kern, ergänzt durch gezielte Engagements in KI-Infrastruktur, vertikaler B2B-Software und europäischen Deep-Tech-Leadern. Die besten Chancen liegen dort, wo KI echten, messbaren Nutzen erzeugt – und nicht nur Erwartungen.