23.12.2024, 08:37 Uhr
Der Spezialkunststoff-Hersteller Gurit will sich künftig ganz auf profitablere Regionen und Geschäftsbereiche konzentrieren. Im Zuge der angekündigten Restrukturierung sollen Werke in Dänemark, Indien und der...
Wenn die Inflation auf 7,5% steigt wie in den USA, wird sie zwangsläufig zu einem grossen Thema. Es sind aber vor allem die besonderen Ursachen, die den derzeitigen Preisauftrieb so speziell, und vielleicht auch hartnäckig, machen – eine Knacknuss vor allem für die Notenbanken. Das US-Finanzhaus Neuberger Berman leuchtet die Lage aus.
Eine straffere Geldpolitik bringt weder LKW-Fahrer noch Fabrikarbeiter zurück an ihre Arbeitsplätze. Sie sorgt weder für zusätzliche Lagerkapazitäten noch für schnellere Containerschiffe oder effizientere Häfen, sodass der Rückstau abgebaut werden kann. Michael Barr aus dem Aktien-Recherche-Team von Neuberger Berman kommt in seiner Datenanalyse aber zu dem Schluss, dass anders als in vergangenen Inflationsperioden, genau diese Faktoren zurzeit für den Preisauftrieb sorgen.
Oft heisst es, die derzeitige Inflation sei angebots- und nicht nachfragegetrieben. Neuberger Berman sieht das grundsätzlich ähnlich. Es sei aber auch nicht verkehrt, die Gründe auf der Angebots- und Nachfrageseite gleichermassen zu sehen.
Ein Grossteil des Preisschocks scheint mit dem Siegeszug von E-Commerce während der Pandemie zu tun zu haben. Es gibt einfach nicht genügend Logistikkapazitäten. Nach Angaben der US-Zensusbehörde ist der online-Handel in den USA 2020 um über 32% gewachsen, die Lagerfläche aber nur um 2%.
Auch die LKW-Kapazität hält kaum mit der neuen Nachfrage Schritt. Und mit etwa 15'000 US-Dollar je 40-Fuss-Container (FEU) sind die durchschnittlichen Frachtraten für Ozeantransporte heute zehnmal so hoch wie vor der Pandemie. Den Terminmärkten nach zu urteilen werden die Frachtraten auch 2024 noch über 8000 US-Dollar betragen.
"Selbst wenn man so viel zahlen will, könnte die Löschung der Fracht scheitern", meint Neuberger Berman. Normalerweise liegen vor den Häfen an der US-Westküste etwa 15 bis 20 Schiffe auf Reede. Zu Jahresbeginn waren es über 100. Seitdem hat der Stau saisonbedingt etwas nachgelassen, aber noch immer ist die Warteschlange ungewöhnlich lang. Ob sich das bald normalisiert, ist schwer abzuschätzen.
All das sind Gründe, warum die US-Produzentenpreisinflation im Januar über den Erwartungen lag und der bereinigte Mittelwert der Verbraucherpreisinflation (ohne die grössten Preisänderungen in beide Richtungen) so hoch ist wie noch nie seit Beginn der Erhebungen 1983. Dabei geht es nicht nur um Energie und Gebrauchtwagen – die Preise für Occasionautos sind 2021 um 37% gestiegen –, sondern um das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage in der gesamten Wirtschaft.
Bis jetzt haben sich Unternehmen und Konsumenten noch nicht allzu sehr aus der Ruhe bringen lassen. So berichtet der Finanzdatendienstleister FactSet, dass bis zu drei Viertel der S&P-500-Unternehmen in ihren Telefonkonferenzen für das vierte Quartal die Inflation erwähnt haben. Die Schätzungen der Nettogewinnmargen für das laufende Jahr haben sich dennoch nicht geändert. Man scheint auf seine Preismacht zu vertrauen. Der überraschend starke Anstieg der US-Einzelhandelsumsätze im Januar spricht dafür, dass sich die Unternehmen nicht überschätzen.
"Doch mit jeder Woche, in der die Preise weiter steigen, wachsen die geldpolitische Risiken für die Anleger", betont Joseph V. Amato, President und CIO Equities von Neuberger Berman. Zeit und Marktkräfte werden die Inflation irgendwann dämpfen, aber die derzeitigen Angebotsengpässe könnten zum Teil noch jahrelang Probleme machen.
Wenn moderate Zinserhöhungen die Teuerung nicht eindämmen, hat das mehr mit Schiffen auf Reede als mit übersteigerter Kauflust zu tun. Vielleicht riskiert die Fed eine zu schnelle Straffung, um die Inflation etwas zu dämpfen. Das sieht das Anleiheteam des US-Finanzhauses allerdings anders und erwartet, angesichts der komplexen Mischung aus vorübergehenden und strukturellen Inflationstreibern, ein massvolles Vorgehen: Zieht der Markt jedoch andere Schlüsse, droht Volatilität, sagt Amato.
Und selbst wenn die Fed das für die USA Richtige tut, muss das für andere Länder nicht auch so sein. Faktisch ist die US-Notenbank die Zentralbank der Welt. Vielleicht ist die für die USA angemessene Geldpolitik jedoch für andere Länder zu straff.
Obwohl der Energiepreisanstieg wegen des Ukraine-Konflikts wohl vor allem Europa trifft, sind die Angebotsengpässe in den USA aus einer Reihe von Gründen grösser. So wurden in Europa während der Pandemie nur wenige Stellen gestrichen, da in grossem Stil auf Kurzarbeit gesetzt wurde. In den USA wurde hingegen das Arbeitslosengeld erhöht. "Vielleicht ist das ein Grund für die Ungleichgewichte am US-Arbeitsmarkt und den grossen Personalmangel", mutmasst Amato.
Als Beispielsweise Weltbank und IHS Markit letztes Jahr ihren neuen Container-Port-Performance-Index vorstellten, war der effizienteste US-Hafen Philadelphia auf Platz 83. Los Angeles stand auf Platz 328 von 351. Auf den oberen Rängen fanden sich Häfen in Asien, dem Nahen Osten und Nordafrika. Der effizienteste europäische Hafen war Algeciras in Spanien auf Platz 10.
All das spricht dafür, dass Asien und Europa eine expansivere Geldpolitik vertragen könnten als die USA, meint der US-Anlagestratege. Die EZB könnte damit einen massiven Anstieg der Peripherieländerspreads verhindern. Die Bank of Japan könnte erreichen, dass die Wirtschaft weiter wächst, so wie im letzten Jahr, dem ersten Wachstumsjahr seit 2018. Auch könnte China den Abschwung dämpfen. Die People’s Bank of China lockert derzeit die Geldpolitik, während die Fed eine Straffung vorbereitet.
Für Neuberger Berman sind das die Argumente, weshalb die Anleger so sehr auf die Inflation, ihre Ursachen und die Verlautbarungen der Fed achten. Wenn die Notenbank aber nur die Nachfrageseite im Blick hat, während für die Wirtschaft Angebotsfaktoren im Mittelpunkt stehen, könnte es in den USA, aber auch weltweit Probleme geben. "Es kann nicht gutgehen, wenn der eine Halma und der andere Schach spielt", so Neuberger Berman. Es ist einer der Gründe, weshalb der US-Asset Manager dieses Jahr mit anhaltender Volatilität rechnet.