«Die Grössten sind nicht immer die Besten»

Nick Smithie, Head of Thematic Research bei Redwheel. (Bild pd)
Nick Smithie, Head of Thematic Research bei Redwheel. (Bild pd)

Sind Alibaba, Samsung Electronics, TSMC und Tencent noch zu stoppen? Die Gefahren der Konzentration auf die «Fab Four» in den Emerging Markets beschreibt Nick Smithie, Head of Thematic Research bei Redwheel.

02.12.2024, 09:58 Uhr
Aktien | Anlagestrategie

Viele Anleger sind mit den «Magnificent 7» vertraut: US-Aktien, die mehr als ein Viertel der Gewichtung des S&P 500 ausmachen und einen wichtigen Beitrag zu den Indexrenditen geliefert haben. Der MSCI Emerging Markets Index dagegen verfügt über vergleichbare «Fab Four»-Aktien, -Sektoren und -Länder, die seine Zusammensetzung und Performance dominieren.

Die «Fab Four»-Firmen

Die vier grössten Aktien im MSCI Emerging Markets Index haben ihr Gesamtgewicht von 8 bis 10 Prozent während der 2000er Jahre auf 15 bis 20 Prozent in den 2020er Jahren erhöht und sind hier für einen erheblichen Teil der Gesamtrendite verantwortlich. Seit Juni 2016 belegen dieselben Unternehmen die ersten vier Plätze im MSCI Emerging Markets Index: Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC), Tencent, Samsung Electronics und Alibaba.

TSMC macht mit derzeit etwa 10 Prozent den grössten Teil des Index aus. Die Aktie hat seit Anfang 2001 den MSCI Emerging Markets Index um rund 10 Prozent pro Jahr übertroffen und hatte bis Ende Oktober einen Anteil von rund 35 Prozent an der diesjährigen Gesamtrendite. Bei der aktuellen Gewichtung von rund 10 Prozent sei es für die meisten Fondsmanager praktisch unmöglich geworden, diesen Anteil zu neutralisieren oder zu übertreffen, um sich an ihre Richtlinien zu Konzentration und Diversifizierung halten. Nur: Ein solches Schwergewicht kann laut Smithie «darauf hindeuten, dass sich eine Aktie dem Ende ihrer Outperformance nähert, weil es womöglich an neuen Käufern mangelt.»

Ist EM jetzt nur noch Asien?

Die Länderkonzentration fällt ähnlich aus, wobei China, Indien, Korea und Taiwan den Index dominieren. Ihr Gewicht ist zwischen 2005 und 2017 von 50 bis 60 Prozent auf über 70 Prozent gestiegen. Es ist fast zehn Jahre her, dass mit Brasilien ein lateinamerikanisches Land unter den Top-4-Ländern war, und fast zwanzig Jahre, dass mit Südafrika ein EMEA-Land auftauchte.

Die Konzentration ist seit Mitte der 1990er Jahre besonders ausgeprägt. Das hat dazu geführt, dass die anderen rund 20 Länder des MSCI Emerging Markets Index im Durchschnitt nur mit etwas mehr als 1 Prozent gewichtet sind, was eine geografische Diversifizierung ausserhalb Asiens enorm erschwert.

China hat eine besonders grosse Position im MSCI Emerging Markets Index, die von 6,8 Prozent zu Beginn des Jahres 2004 auf beispiellose 35,9 Prozent Ende 2020 gestiegen ist. Dabei hat es den Index um etwas mehr als 1 Prozent pro Jahr übertroffen, aber seit Ende 2020 eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung von etwa 9 Prozent pro Jahr erzielt.

China ist mittlerweile auf etwa 25 Prozent des Index zurückgegangen, ist aber immer noch das grösste Land im Investmentuniversum. Auch hier gilt für den Experten: «Eine übermässige Gewichtung von mehr als einem Drittel des Index könnte darauf hindeuten, dass ein einzelnes Land seine maximale Attraktivität fast erreicht hat, während zwei Dutzend andere Länder zur Auswahl stehen.»

Die «Fab Four»-Sektoren

Bei den Sektoren sei der «Fab Four»-Effekt weniger offensichtlich: Auf die Top 4 entfallen in der Regel rund zwei Drittel des Index, während die beiden grössten Sektoren derzeit 47 Prozent ausmachen. Obwohl die «Fab Four»-Sektoren, wie auch die Länder, nun seit mehreren Jahren unverändert sind, waren Energie und Grundstoffe während der Hausse-Zyklen bei den Rohstoffen stark gewichtet.

Was lehrt uns das?

Gross zu sein ist nicht so gut wie gross zu werden

«Die Grösse einer Aktie in einem Index ist keine Garantie für künftige Erträge. Grösse kann sogar der Feind der Rendite sein», schreibt der Experte. Von den «Fab Four»-Aktien auf dem Höhepunkt der Grössenkonzentration Ende 2020 schnitt beispielsweise nur TSMC in den folgenden ein bis drei Jahren besser ab als der Index.

Dasselbe gelte für den Zeitpunkt der geringsten Grössenkonzentration: Ab 2011, dem Zeitpunkt der geringsten Konzentration, performten Samsung und TSMC besser als der MSCI Emerging Markets Index, während Petrobras – damals Mitglied der «Fab Four» – schlechter abschnitt. Ein Mitglied der «Fab Four» zu sein, sei also keine Garantie dafür, dass die Performance stimmt.

Was zähle, sei das Marktthema. So war es etwa die globale Finanzkrise im Jahr 2008, die die Rohstoffe entthronte, als das chinesische Wachstum in den 2010er und 2020er Jahren zurückging. Und während Rohstoffe fielen, haben Technologieaktien aufgrund der Erfindung und Einführung digitaler Inhalte, des Online-Handels und der künstlichen Intelligenz weltweit an Bedeutung gewonnen.

Fraglich sei nun, ob der Technologiesektor seine Führungsposition halten könne. In der Vergangenheit fiel seine relative Performance mit den Zinszyklen zusammen. «Wir glauben daher, dass eine Verschiebung der Marktführerschaft eintritt, wenn sich die wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen ändern. Wenn die US-Notenbank Fed einen Zinssenkungszyklus einleitet, könnte sich das Blatt wenden und Technologietitel die Führungsposition abgeben.»

Wie gross ist zu gross?

Im MSCI Emerging Markets Index sind fast 1300 Unternehmen enthalten. Aufgrund des idiosynkratischen Risikos, der internen Positionslimits und der Diversifizierungsanforderungen sei eine wesentliche Übergewichtung von Einzeltiteln, die 10 Prozent des Index ausmachen, für Anleger nur schwer möglich. Daher gebe es bei einer derartigen Grösse möglicherweise keine zusätzlichen Käufer. Darüber hinaus erreichte die Dominanz der «Fab Four» mit 21 Prozent des Index im Jahr 2020 ihren Höhepunkt und hat dieses Niveau noch nicht wieder erreicht, was auf eine mögliche Obergrenze für ihr kombiniertes Gewicht und bessere potenzielle Renditen an anderer Stelle hindeute.

Können sich Energie und Rohstoffe erholen?

Finanz- und Technologiewerte dominierten die Indexzusammensetzung und machten oft jeweils 20 bis 25 Prozent des Index aus. Während des Superzyklus der 2000er Jahre waren jedoch sowohl Energie als auch Grundstoffe deutlich stärker im Index gewichtet als heute. Für eine Erholung der Energie- und Rohstoffindustrie sei eine Änderung der Marktdynamik erforderlich. Dies könnte durch niedrigere Zinssätze und eine Wiederbelebung des globalen Wachstums verursacht werden, angeführt von China, Indien und anderen wichtigen Schwellenländern.

Kann Indien China ablösen und können sich EMEA und Lateinamerika erholen?

Der MSCI Emerging Markets Index hat in den letzten zehn Jahren an geografischer Vielfalt eingebüsst, da die «Fab Four» nun 75 Prozent der Indexkapitalisierung ausmachen. China sei das Musterbeispiel für Dominanz im Index und hat seine Grösse zwischen 2004 und 2020 verfünffacht. Der Anteil Indiens hat sich im gleichen Zeitraum von 5,8 Prozent auf 19 Prozent fast vervierfacht. Indien hat die Bevölkerung, das wirtschaftliche Potenzial und die hohe Wachstumsrate, um womöglich dem Aufstieg Chinas als Referenzgrösse weiter nachzueifern.

EMEA und Lateinamerika dagegen benötigten wohl einen Rohstoffaufschwung, um im MSCI Emerging Markets Index wieder aufzusteigen. Brasilien und Südafrika waren beide während des Superzyklus in den 2000er-Jahren «Fab Four»-Länder, und Brasilien blieb es bis 2014. Da EMEA und Lateinamerika bei Energie und Rohstoffen stärker vertreten sind als im Technologiesektor, hätten sie den Tech-Boom verpasst und wurden von Asien in den Schatten gestellt.

Was könnte Asien und dem Technologie-Sektor den Rang ablaufen?

Eine neue «Fab Four»-Generation von Ländern, Sektoren und Aktien könne nur im Lauf der Zeit und durch eine Veränderung der makroökonomischen Faktoren entstehen. Ein solcher Shift könnte sich angesichts niedrigerer Zinssätze und der kürzlich von China angekündigten Konjunkturmassnahmen abzeichnen, die sich wahrscheinlich auf das gesamte Universum der Emerging- und Frontier Markets auswirken werden.

Am 18. September 2024 leitete die US-Notenbank Fed mit einer Senkung des Leitzinses um 50 Basispunkte einen Lockerungszyklus ein, der die Zentralbanken der Schwellenländer ermutigen dürfte, die Zinsen ebenfalls zu senken. Dies könnte die Wirtschaftstätigkeit ankurbeln und zu einem schwächeren Dollar beitragen.

Wenn die chinesische Binnenwirtschaft wieder in Schwung kommt, dürfte dies durch die hohe Nachfrage nach Rohstoffen, die in der verarbeitenden Industrie genutzt werden, auch dem breiteren Schwellenmarktuniversum zugutekommen. «Wir sind der Ansicht, dass diese Faktoren den Schwellenländern starken Rückenwind verleihen und das Potenzial für eineVerlagerung der Marktführerschaft weg von der Technologie hin zu den Rohstoffproduzenten in EMEA und Lateinamerika schaffen können», schreibt Nick Smithie.

Die Treiber

Im Rahmen des Anlageprozesses wurden mehrere Themen identifiziert, die als Treiber für den Wandel angesehen werden können: Energiewende, Urbanisierung, Reshoring und Verteidigung.

Im Rahmen von Energiewende und grüner Metalle hat Redwheel mehrere Rohstoffe identifiziert, deren Preise in den kommenden Jahren aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage steigen dürften – darunter Kupfer, Nickel und andere Industriemetalle. Die Nachfrage nach grünen Metallen dürfte aufgrund zahlreicher Faktoren wie Elektrofahrzeuge, Rechenzentren und dem Ausbau der Netze für erneuerbare Energien stabil bleiben. BHP geht beispielsweise davon aus, dass die Kupfernachfrage aufgrund von Rechenzentren erheblich steigen wird, und zwar von derzeit etwa 1 Prozent auf 6 bis 7 Prozent der Gesamtnachfrage.

Im Zusammenhang mit der Urbanisierung hat Redwheel chinesische Immobilienunternehmen identifiziert, die bei einer Erholung der Branche gut für ein Gewinnwachstum positioniert sind. Die Immobilienentwicklung dürfte sich auch in anderen Regionen wie dem Nahen Osten und Südostasien fortsetzen, wo die Einkommen steigen und das Wachstum der Städte vorangetrieben wird. «Wir gehen davon aus, dass dies die Umsätze von Immobilienentwicklern ankurbeln wird, da die Landbevölkerung auf der Suche nach höheren Löhnen in die städtischen Zentren abwandert. Eine breitere finanzielle Inklusion, wie etwa eine bessere Verfügbarkeit von Hypotheken, trägt dazu bei, den Übergang in die Städte zu erleichtern.»

Beim Thema Reshoring und Verteidigung stehen Unternehmen im Zentrum, deren Umsätze- und Gewinne durch die strategische Verlagerung von Produktionsstätten in näher gelegene und freundlichere Länder steigen dürften. Ausserdem fokussiere sich Redwheel auf diejenigen, die von einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben der Regierung als Reaktion auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine profitieren. Niedrigere Zinssätze dürften die Kreditkosten für die Unternehmen senken und Investitionen in Nearshoring-Initiativen fördern. Dabei handelt es sich um rohstoffintensive Initiativen.

«Die Grösse nicht unbedingt ausschlaggebend für die Rendite. Ein thematischer Ansatz, der die langfristigen Wachstumstreiber in den Schwellen- und Grenzmärkten zu identifizieren hilft, kann eine Reihe überzeugender Bottom-up-Anlagemöglichkeiten aufzeigen, die über die Marktdominanz hinausgehen», so das Fazit.

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