20.12.2024, 14:24 Uhr
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Mit Blick auf die Wahlen vom Wochenende, mit denen auch die Ära Merkel zu Ende geht, beleuchtet Azad Zangana von Schroders die Implikationen für die deutsche Politik, aber auch für die Wirtschaft.
Die Ära Merkel neigt sich dem Ende zu. Nach Azad Zangana, Volkswirt bei Schroders, brachte die 16-jährige Regierungszeit der Kanzlerin den Deutschen Stabilität und Wachstum. Ihr Abgang hinterlasse eine Lücke, den nicht nur ihre Partei mit Mühe füllen könne. Armin Laschet, Merkels Nachfolger als Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat von CDU/CSU, tue sich schwer, die Öffentlichkeit und die Herzen von Merkels früheren Anhängern für sich zu gewinnen. Das wurde durch den Wahlausgang am 26. September 2021 bestätigt.
Die Wahl sei wahrscheinlich eine der offensten seit Jahrzehnten gewesen. So schwankten die Umfragen zum Wählerwillen in den letzten Monaten erheblich (siehe Grafik unten). Ende April überholten die Grünen die Union, um dann wieder zurückzufallen. Im Juli gerieten die Sympathiewerte für Laschet infolge eines unglücklichen Fotos beim Besuch von Flutopfern ins Rutschen. Die Zustimmung für ihn und seine Partei brach um etwa neun Prozentpunkte ein.
Nach der Wahl sei nun der Sozialdemokrat und derzeitige Vizekanzler sowie Finanzminister, Olaf Scholz, der aussichtsreichste Kandidat, Merkel als Bundeskanzler abzulösen. Vorausgesetzt, er könne eine Koalitionsregierung unter Beteiligung von FDP und Grünen bilden.
Wie bei früheren Wahlen werde die künftige politische Agenda für Deutschland von der Zusammensetzung der nächsten Koalitionsregierung abhängen. Ein Wechsel von der Mitte-Rechts-Koalition unter Führung der Union zu einer Mitte-Links-Koalition unter Führung der SPD dürfte die bisherigen Fronten im politischen Spektrum aufweichen, wobei das Ausmass der Verschiebung davon abhänge, wie sehr sich SPD und Grüne gegenüber der FDP inhaltlich durchsetzen können.
Den grössten Spielraum für Veränderungen sieht der Schroders-Experte vor allem in drei Politikbereichen.
Zum einen in der Umweltpolitik. "Angela Merkel hatte bereits damit begonnen, die deutsche Umwelt- und Energiepolitik auf einen nachhaltigeren Weg zu bringen. Zyniker würden sagen, dass dies eine Reaktion auf den Anstieg der Popularität der Grünen war. Daran mag durchaus etwas Wahres sein. Andererseits gibt es in der Umweltpolitik tatsächlich noch grosse Herausforderungen zu meistern", so der Volkswirt. Das denke offenbar auch ein grosser Teil der Bevölkerung. Meinungsumfragen zeigen, dass die Umwelt für die Wähler die grösste Sorge sei - noch vor dem Coronavirus Covid-19. Vor diesem Hintergrund ist die Umweltpolitik der Politikbereich, in dem Zangana die grösste Wahrscheinlichkeit für Veränderungen sieht, unabhängig von der Zusammensetzung der nächsten Koalition.
Zum andern sieht er erhebliche Möglichkeiten in der Finanzpolitik: "Die SPD möchte, dass öffentliche Investitionen von den fiskalischen Regeln, die einen ausgeglichenen Haushalt verlangen, ausgenommen werden. Die Grünen setzen ebenfalls auf mehr Ausgaben, die sie aus Steuermehreinnahmen bezahlen möchten."
Und zu guter Letzt führt der Volkswirt die Europapolitik auf. "Manche in Deutschland beklagen, dass Merkel nicht stark genug für weitere institutionelle Reformen der Europäischen Union eingetreten ist. Dadurch sind die Bemühungen zur Integration der Union und zur Vertiefung der Beziehungen behindert worden", so der Experte. Die SPD scheint sich seiner Ansicht nach eher der französischen Auffassung von der Notwendigkeit einer weiteren Erweiterung und Integration der EU anzuschliessen. Die FDP möchte die EU reformieren, um sie effektiver zu machen, wolle dabei aber nicht noch mehr Macht der Mitgliedsstaaten an die EU abgeben. Im Gegensatz dazu unterstützen die Grünen eine eventuelle Föderalisierung der EU. Umfragen deuten darauf hin, dass weitere EU-Integrationsschritte nach der Wahl wahrscheinlich sind, obwohl Merkel vor Kurzem mit der Einführung einer zentralen Kreditaufnahme (wenn auch nur für Notfälle) und dem "NextGenationEU"-Fonds einen Schwenk in diese Richtung vollzogen hat.
So wie Angela Merkel in der Vergangenheit andere Koalitionspartner aufgefordert habe, ihre Rolle als Juniorpartner in der Regierung anzunehmen, bestehen Zanganas Ansicht nach gute Chancen, dass die Union diesen Ratschlag nun auch selbst berücksichtigen könnte. Denn, wenn die Union ihre bisherige Politik wirklich verteidigen wolle, dann sollte sie sich um eine Beteiligung an der nächsten Regierung bemühen. Da sich eine grosse Koalition mit der SPD allein als unpopulär erweisen könne, wäre eine zusätzliche Zusammenarbeit mit den Grünen oder der FDP vorstellbar. Beide Koalitionspartner wären grundsätzlich möglich. Aus Sicht der SPD kämen allerdings wohl nur die Grünen infrage, da die politische Nähe zu ihnen am grössten sei.
"In Anbetracht des Wahlausgangs, erwarten wir für die kommenden Jahre eine expansivere Finanzpolitik mit höheren Investitionen in öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur. Wir rechnen auch mit einer Aufweichung der Beziehungen zu Europa und einer grösseren Offenheit gegenüber der EU-Integration", so Zangana.
Die Verhandlungen zur Bildung der nächsten Koalition werden angesichts der Vielzahl der möglichen Kombinationen nach Einschätzung des Schroders-Experten wahrscheinlich eine längere Zeit in Anspruch nehmen. Der neue Bundeskanzler oder die neue Bundeskanzlerin werde möglicherweise nicht vor 2022 in sein bzw. ihr Amt eingeführt.