"Deutsche Konjunktur scheint im freien Fall zu sein"

Deutschland profitierte seit vielen Jahren von einer schier unersättlichen Nachfrage nach deutschen Autos - jetzt schwächt diese deutlich ab. (Bild: Evgenii Emelianov/Shutterstock.com)
Deutschland profitierte seit vielen Jahren von einer schier unersättlichen Nachfrage nach deutschen Autos - jetzt schwächt diese deutlich ab. (Bild: Evgenii Emelianov/Shutterstock.com)

Ein Blick nach China und Deutschland genüge, um zu erkennen, dass die Industrie weltweit schwächelt, sagt Brad Tank von Neuberger Berman. Angesichts der deutschen Konjunkturindikatoren scheine eine Rezession absehbar.

22.08.2019, 15:41 Uhr
Finanzplätze

Redaktion: rem

Die kürzlich veröffentlichten schwachen Kredit- und Geldmengendaten aus China beunruhigen, weil das Kreditmengenwachstum oft ein guter Frühindikator ist. Wenige Tage später legte China dann die schwächsten Industrieproduktionsdaten seit 17 Jahren vor. Hinzu kamen niedrige Einzelhandelsumsätze, geringe Investitionen und ein leichter Anstieg der Arbeitslosenquote. Gleichzeitig wurde bekanntgegeben, dass die deutsche Volkswirtschaft im zweiten Quartal geschrumpft ist. Keine 24 Stunden zuvor hatte das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) einen kläglichen Konjunkturindikator veröffentlicht. Brad Tank, Chief Investment Officer Fixed Income bei Neuberger Berman meint, dass eine Rezession absehbar scheint. "Bei Neuberger Berman sprechen wir seit einem Jahr über eine weiche Landung in den USA und eine mögliche Stabilisierung des Wachstums anderer Länder. Die weiche Landung erwarten wir noch immer, aber China hat seinen Tiefpunkt vielleicht noch nicht erreicht – und die deutsche Konjunktur scheint im freien Fall zu sein."

Mächtige Kräfte

Diese Entwicklung dürfte sich auch im kommenden Quartal fortsetzen. Noch im Januar 2018, nach einem Jahr synchronen Weltwirtschaftswachstums, erreichten viele Aktienmärkte neue Höchststände. Die Einkaufsmanager-Indizes der zwölf grössten Volkswirtschaften signalisierten ein Wachstum; an der Spitze stand Deutschland mit 61,1 Punkten. Heute wächst die Industrie nur noch in vier der zwölf Länder und Deutschland steht mit 43,2 Punkten ganz hinten.

Im Grunde sei dies schon vor Jahren absehbar gewesen, so Tank. Denn Deutschland profitiere seit vielen Jahren von drei Faktoren: einem, gemessen an der Wirtschaftskraft, schwachen Euro, einer schier unersättlichen Nachfrage nach deutschen Autos und Maschinen und einen wachsenden Anteil am globalen BIP-Wachstum, der durch den internationalen Handel angetrieben wird. Heute habe Deutschland Schwierigkeiten, weil es auf die Veränderungen des internationalen Automobilmarktes nicht wirklich vorbereitet sei und der Anteil des Außenhandels am Welt-BIP seit zehn Jahren schrumpft. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China, der zum Herbst hin weiter zu eskalieren scheine, sei der jüngste, aber auch der wichtigste Baustein dieser Entwicklung.

Wir haben es also mit strukturellen und nicht nur mit konjunkturellen Faktoren zu tun.

Fiskalpolitische Unterstützung

Auf die Frage, was der Ausweg sein kann, wenn sich der weltweite Abschwung der Industrie vor allem in Deutschland zeigt, sagt Brad Tank: "Wir haben angesichts der Schwäche der Industrie auf den stabilen Konsum verwiesen. Doch wenn der Abschwung schlimmer wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Stellen abgebaut werden und das Verbrauchervertrauen leidet. Die Verbraucher allein können die Wirtschaft nicht wieder auf die Beine bringen. Vielleicht stehen der Industrie weltweit grosse Restrukturierungen bevor, die fiskalpolitischer Unterstützung bedürfen."

Deutschland könne sich hier ein Beispiel an China nehmen. Denn Deutschland orientiere sich noch immer an einem alten Wirtschaftsmodell. Dabei böten die letzten Jahre des wirtschaftlichen Erfolgs im Vergleich zu anderen Ländern eigentlich den grössten fiskalischen Spielraum, um konjunkturellen Schwankungen entgegenzuwirken.

Aber ist eine expansivere Fiskalpolitik in Deutschland realistisch? Dazu müsste sich die politische Kultur stark ändern.

Zweifellos wurden die Risiken erkannt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bezeichnete die jüngsten Zahlen als "Weckruf und Warnsignal». Deutschland befinde sich in einer schwachen Konjunkturphase, aber noch nicht in einer Rezession. Diese sei vermeidbar, wenn die richtigen Massnahmen ergriffen werden. Politik und Wirtschaft müssten jetzt gemeinsam handeln, so Altmaier.

"Doch wie es auch ausgehen mag: Es drohen Volatilität und Unruhe. Investitionen, die unter der Voraussetzung eines zunehmenden Welthandels und einer stärkeren weltweiten Integration geplant wurden, könnten ausbleiben. Wenn wir bei Neuberger Berman in sechs Wochen erneut die Quartalsaussichten bekanntgeben, wäre es kein Wunder, wenn wir bis dahin eine vorsichtigere und defensivere Position eingenommen haben", meint Tank.

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