Deal or No-Deal, das ist hier die Frage

Die Uhr für einen Austritt Grossbritanniens aus der EU tickt. (Bild: Shutterstock.com/Melinda Nagy)
Die Uhr für einen Austritt Grossbritanniens aus der EU tickt. (Bild: Shutterstock.com/Melinda Nagy)

Der Brexit beschäftigt Europa nach wie vor. Die Zeit rennt, denn der Ablauf der Frist für den Austritt Grossbritanniens aus der EU steht schon fast vor der Tür. Wir haben einige Meinungen von Finanzexperten zu den Auswirkungen des Brexits zusammengetragen.

19.10.2019, 05:00 Uhr

Autor: Lea Keller

Der britische Premierminister Boris Johnson und der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker haben diese Woche eine Vereinbarung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich angekündigt. Dieses Abkommen wurde am Donnerstag an der EU-Sitzung unterzeichnet und soll am Samstag im Vereinigten Königreich verabschiedet werden. Die Finanzexperten sind sich mehrheitlich einig, dass dies der Fall sein wird.

Stephan Rieke von ODDO BHF etwa sagt: "Wir sehen eine realistische Chance, aber keine Gewähr dafür, dass sich genügend Oppositionsabgeordnete finden werden, die für Johnson stimmen. Der Druck auf die Abgeordneten ist hoch, denn die Bereitschaft der EU zu einer weiteren Verlängerung kann nicht mehr einfach vorausgesetzt werden." Auch Keith Wade von Schroders ist der Meinung, dass die Zustimmung des Parlaments ein wichtiger Schritt zur Abwendung eines No-Deal-Brexit sei. Sonst würde Grossbritannien aus der EU ausscheiden und möglicherweise in eine Rezession rutschen. "Mit Blick auf die künftigen Beziehung des Vereinigten Königreichs zur EU wird es zwar noch einige Unsicherheiten geben, dennoch erscheint die Gefahr eines No-Deals gebannt", ergänzt er. Sébastien Galy von Nordea AM äussert sich etwas zurückhaltender als seine Berufskollegen: "Zurzeit ist der Markt sehr vorsichtig, da es noch sehr unklar ist, ob das Abkommen am Samstag zustande kommt."

Szenarien nach einer Zustimmung des Parlaments

Rieke von ODDO BHF geht wie mittlerweile sehr viele davon aus, dass der Brexit "mit Deal» erfolgen wird und somit eine relativ sanfte Übergangsphase starten wird. Die Gefahr eines wirtschaftlichen Schocks, der die europäische Wirtschaft zur Unzeit treffen würde, schätzt er daher auch als gering ein. In der Übergangsphase gilt es gemäss Wade, ein Handelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU auszuarbeiten. Die Verhandlungen könnten mindestens bis Ende 2020 andauern.

Howard Cunnigham von Newton IM, eine Investmentfirma von BNY Mellon Investment Management, geht im Falle eines Deals von einer weiteren Aufwärtsbewegung für das Pfund Sterling um rund 5 Prozent aus. Auch Galy von Nordea erwartet einen "nicht zu vernachlässigenden Aufwärtstrend in Pfund Sterling". Der Schroders-Experte Wade sagt dazu: "Wir rechnen damit, dass sich das Pfund Sterling weiter erholen wird und die britischen Staatsanleihen Gilts steigen werden, da die Anleger eine bessere Wirtschaft und eine stabilere Geldpolitik erwarten." Bezüglich Gilts zieht Cunningham ein anderes Szenario in Betracht: Für ihn ist eine Abwärtsbewegung der Staatsanleihen in begrenztem Masse eine realistische Auswirkung des Deals.

Unvorhersehbare Entwicklungen bei No-Deal Brexit

"Der Druck auf die Abgeordneten ist hoch, denn auch die Bereitschaft der EU zu einer weiteren Verlängerung kann nicht mehr einfach vorausgesetzt werden. Im Fall einer Ablehnung der Vereinbarung durch das Unterhaus müsste Johnson eine Verlängerung beantragen. Lehnt die EU die Fristverlängerung ihrerseits ab, droht ein Austritt ohne Vertrag. Nach einem Antrag auf Verlängerung bei der EU würden sehr wahrscheinlich ein Misstrauensvotum und Neuwahlen folgen", erklärt Rieke die Auswirkungen einer Ablehnung des Deals durch das Parlament.

Für Cunningham steigt im – für ihn unwahrscheinlichen – Fall eines abrupten No-Deal- Brexit am 31. Oktober die Gefahr einer Abwertung des Pfunds. Er geht davon aus, dass dann die Rendite britischer Staatsanleihen zumindest vorläufig fallen würden und dadurch langfristig ihr "Sicherer Hafen"-Status bedroht würde. "Sollte für diesen Monat keine Lösung gefunden und eine Verlängerung für ein Referendum oder eine Parlamentswahl gewährt werden, verbleiben britische Staatsanleihen und das Pfund im Niemandsland, da ihre Entwicklung unvorhersehbar ist", sagt der Experte von Newton IM. Wade ergänzt: "Sollte der Deal am Samstag im Parlament scheitern, wären wir wieder am Ausgangspunkt."

Klarheit wird erst die Abstimmung am Samstag bringen, die die europäischen Finanzmärkte mit grossem Interesse verfolgen werden. Ob und wie schnell sich die Erwartungen dann erfüllen, wird sich im Laufe der Zeit zeigen.

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