23.12.2024, 08:37 Uhr
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Die USA, die EU und Grossbritannien reagieren mit unterschiedlichen staatlichen Programmen auf die Coronavirus-Pandemie. Invesco-Chefökonom John Greenwood analysiert die bisherigen fiskal- und geldpolitischen Reaktionen und die zu erwartenden wirtschaftlichen Auswirkungen.
Während die Bank of England und die Europäische Zentralbank (EZB) dem Vorbild der US-amerikanischen Notenbank (Fed) gefolgt sind und auf eine massive Bilanzausweitung setzen, unterscheiden sich die fiskalpolitischen Hilfsmassnahmen aufgrund unterschiedlicher Steuer- und Sozialsysteme sowie unterschiedlicher politischer Prioritäten.
Die US-Regierung hat ein Hilfspaket im Wert von rund 2 Bio. US-Dollar geschnürt, das Direktzahlungen an Privathaushalte, Rettungsschirme und Kredite für Unternehmen, höhere und längere Zahlungen von Arbeitslosengeld, mehr Mittel für das Gesundheitssystem und Unterstützung für kleine Firmen umfasst. "Damit hat der US-Kongress zwar relativ schnell reagiert. Mit weniger als 10% des BIP ist das Volumen des Rettungspakets aber relativ begrenzt und wird vermutlich hinter dem Umfang der Fed-Programme zurückbleiben", meint Invesco-Chefökonom John Greenwood.
In der Eurozone haben sich die Mitgliedstaaten auf höhere Ausgaben für das Gesundheitswesen, staatliche Hilfe für Branchen und Unternehmen sowie Lohnsubventionen geeinigt, die sich zusammen bislang auf rund 2% des BIP der Eurozone summieren. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission staatliche Garantien für Bankkredite an Unternehmen im Wert von rund 13% des BIP angekündigt. Ähnlich wie in den USA sind die Massnahmen in der EU damit bisher relativ eingeschränkt, obwohl die Europäische Kommission den Stabilitätspakt ausgesetzt hat, der normalerweise die Schuldenaufnahme der Mitgliedstaaten begrenzt.
Der Chefökonom von Invesco geht jedoch davon aus, dass die EU noch mehr Mittel bereitstellen wird, wenn sich die Krise weiter zuspitzt, und dass einzelne Mitgliedstaaten unter Berufung auf Sonderfaktoren oder besondere lokale Umstände Sonderfreistellungen und zusätzliche Hilfsgelder beantragen werden. Gleichzeitig gehen grosse Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich eigene Wege und stocken ihre geplanten Ausgaben auf. Hinzu kommen Einkommensbeihilfen wie Arbeitslosengeld, die automatisch greifen, wenn Volkswirtschaften in eine Rezession rutschen. Greenwood zufolge könnten sich diese zusätzlichen Ausgaben auf weitere 2 bis 3% oder mehr des BIP belaufen, was zu Haushaltsdefiziten von insgesamt bis zu 5% des BIP führen könnte.
Anders als die USA und die Eurozone hat Grossbritannien unbegrenzte Staatshilfen angekündigt ("was auch immer nötig ist"), um die Krise zu bekämpfen. Das Hilfspaket der britischen Regierung umfasst staatlich garantierte Kredite für alle Unternehmen, weitreichende Lohnsubventionen, gezielte Unterstützung für Selbstständige und Geldzahlungen an kleine Unternehmen sowie zusätzliche Mittel für das Gesundheitswesen.
Im Gegensatz zu der EU hat Grossbritannien kein verbindliches fiskalisches Regelwerk und kann daher deutlich flexibler und entschlossener reagieren. Im Vergleich zu ihrem US-amerikanischen Gegenpart profitiert die britische Regierung zudem von einer einfacheren politischen Lage. In Grossbritannien kann die regierende Konservative Partei dank ihrer klaren Mehrheit im Parlament schnell neue Gesetze umsetzen, während die US-Administration mit einem zwischen Demokraten und Republikanern geteilten Kongress arbeiten muss, wodurch es immer wieder zu Rückschlägen und Verzögerungen kommen kann.
Abgesehen von den spezifischen Ausprägungen sieht der Volkswirt von Invesco aber auch zahlreiche Gemeinsamkeiten in den fiskalpolitischen Krisenprogrammen der USA, der EU und Grossbritanniens: "Die politischen Entscheidungsträger haben begriffen, wie wichtig es ist, schnell umfassende Hilfsprogramme umzusetzen", sagt er. "In allen drei Wirtschaftsräumen stellen die Regierungen Überbrückungsgelder bereit, um die Existenzgrundlagen von Unternehmen und Arbeitnehmern zu sichern, damit die Wirtschaft, wenn die Erholung erst einmal einsetzt, rasch wieder auf das Niveau vor der Coronavirus-Krise zurückkehren kann.»
Was die wirtschaftlichen Auswirkungen der angekündigten Massnahmen angeht, rechnet Greenwood kurzfristig weiter mit einem deflationären Umfeld. Langfristig wird die Inflationsentwicklung seiner Ansicht nach vor allem davon abhängen, wie die jeweilige staatliche Schuldenaufnahme finanziert wird. Sollte sie – wie in Japan in den letzten zehn Jahren – vor allem durch Ersparnisse des privaten Sektors mit einem sehr geringen Geldmengenwachstum finanziert werden, würde die Inflation seiner Ansicht nach weiter hinter dem Zielwert von 2% zurückbleiben.
Sollten die Staatsdefizite dagegen entweder direkt von den Zentralbanken finanziert werden, was Greenwood für unwahrscheinlich hält, oder durch eine rasche Geldschöpfung im Bankensystem, würde er eher mit einem Anziehen der Inflation rechnen. "Grösste Sorge der Aufsichtsbehörden ist praktisch überall immer noch die Stabilität des Bankensystems, was sich in zahlreichen Bilanzbeschränkungen wie Vorgaben zur Kapitalausstattung, dem maximalen Verschuldungsgrad und der Liquiditätsdeckung ausdrückt. Daher halten wir eine Fortsetzung des schwachen Wirtschaftswachstums bei deutlich unter dem Zielwert liegenden Inflationsraten für das wahrscheinlichere Szenario», so Greenwood.
Wie der Chefökonom von Invesco betont, muss das kurzfristig wichtigste Anliegen aber die Eindämmung des Virus sein. Von der Entwicklung der Infektionsraten in den nächsten zwei bis drei Wochen werde auch abhängen, wie viel staatliche Hilfe letztlich nötig ist. Daher müssten umfassende, wissenschaftlich fundierte Massnahmen zur Bekämpfung der Gesundheitskrise bis auf weiteres auch höchste Priorität für die Regierungen haben. "Die Länder, die frühzeitig drakonische Massnahmen umgesetzt haben – wie Südkorea, Singapur, Hongkong und, nach anfänglichen Fehltritten, China – zahlen einen moderaten Preis.»