23.12.2024, 08:37 Uhr
Der Spezialkunststoff-Hersteller Gurit will sich künftig ganz auf profitablere Regionen und Geschäftsbereiche konzentrieren. Im Zuge der angekündigten Restrukturierung sollen Werke in Dänemark, Indien und der...
Die weltweiten Lieferengpässe erreichen auch die Automobilindustrie. Besonders stark betroffen sind Halbleiter und Elektronikbauteile. Philipp Stumpfegger von DJE Kapital erwartet keine Entspannung vor Mitte 2022.
Resilinc, ein global führendes Unternehmen im Supply Chain Monitoring, berichtet für das 1. Halbjahr 2021 einen Anstieg um 638% bei Störungen der Lieferketten. Die Knappheit an Bauteilen führt zu starken Preisanstiegen – sowohl bei Rohstoff- als auch Logistikkosten (mehr als 500% seit Mitte 2020, World Container Index / Drewry). "Das grössere Problem aber ist die Verfügbarkeit der Elektronikteile, welche die Produktionskapazitäten aktuell stark einschränken", sagt Philipp Stumpfegger, Portfolio Manager und Analyst für den Automobil- und Industriesektor bei der DJE Kapital. Die Automobilindustrie leide primär aus zwei Gründen besonders stark unter dem Engpass: Erstens, weil in der ersten Welle der Corona-Krise Aufträge für Vorprodukte unglücklicherweise radikal abbestellt wurden und nun die Kapazitäten der Lieferanten anderweitig ausgebucht sind. Zweitens, weil die Bauteile für die Hersteller tendenziell niedrigmargig sind und somit wenig Anreiz besteht, bei Vollauslastung hierfür "Platz zu schaffen» bzw. mehr zu produzieren.
Infolge der Chip-Knappheit wurden in den letzten Monaten die von der Industrie viel beachteten globalen IHS-Auto-Produktionsplanungszahlen mehrfach reduziert. Inzwischen erwartet IHS für das 2. Halbjahr einen Produktionsrückgang um -7,6% im Vergleich zur ersten Jahreshälfte. Auch für 2022 hat IHS im Laufe des Jahres seine Schätzungen um nahezu 7% reduziert.
Das knappe Angebot trifft laut Stumpfegger auf eine ungebrochen hohe Nachfrage. Die gerade neu auf der IAA präsentierten iX Modelle von BMW seien beispielsweise für das Jahr 2021 schon komplett ausverkauft, und diverse andere Hersteller, wie beispielsweise Daimler, berichteten für deren EQE (elektrische E-Klasse) ähnliches. Diese Kombination von eingeschränktem Angebot und starker Nachfrage führe bei den Automobilkonzernen zu hoher Preisdisziplin und taktischen Verschiebungen in Richtung profitablerer Baureihen, die sich wiederum in Rekordmargen der Konzerne widerspiegelten, so der Experte. Im 1. Halbjahr hätten die deutschen Automobilhersteller beispielsweise eine durchschnittliche Nettogewinn-Marge in Höhe von nahezu 8% erzielt, welche weit über dem Durchschnitt von 5,1% der letzten 15 Jahre liege. Ein Vorstandsvorsitzender eines grossen deutschen Automobilherstellers brachte die aktuelle Situation im Rahmen der IAA kurz und prägnant auf den Punkt: "Geld sucht Auto».
Für die Automobilzulieferer ist die aktuelle Situation hingegen schwieriger, da sie noch volumenabhängiger sind als die OEMs (Original Equipment Manufacturer bzw. Automobilhersteller) und keinen Spielraum bei der Preis-, Discount- und Mixgestaltung haben. Dies hat sich in den letzten Monaten auch durch eine schlechtere Performance der entsprechenden Aktien widergespiegelt. Auch bei den Margen im Vergleich zum historischen Durschnitt hinken die Zulieferer hinterher. Soweit der Status quo. Der Weg wird für Autoproduzenten in der zweiten Jahreshälfte und aller Vermutung nach auch noch Anfang nächsten Jahres deutlich steiniger, da die Lagerbestände in der Industrie mittlerweile stark dezimiert, diverse Optimierungsmöglichkeiten schon ausgereizt sind und sich die Lieferengpässe noch weiter zugespitzt haben. Es ist davon auszugehen, dass die Produktionszahlen sequenziell fallen werden, die Automobilhersteller vorerst den Margengipfel überschritten haben und auch die Analystenschätzungen für das 2. Halbjahr noch Anpassungsbedarf nach unten haben.
Der Markt wird nach Ansicht Stumpfeggers höchstwahrscheinlich in den nächsten sechs Monaten anfangen, ein Ende der Lieferkettenkrise zu antizipieren. "In solch einem Szenario können gut positionierte Zulieferer ihre Stärken ausspielen: Sie profitieren von der Volumenerholung und werden nicht von einer potenziellen Normalisierung der OEM-Margen getroffen. Zudem, und hier muss man in der Einzeltitelauswahl umsichtig agieren, sollten diese bei Umsatz und vor allem auch Gewinnen nicht durch den mittel- und langfristigen Trend zur Elektrifizierung von Fahrzeugen beeinträchtigt werden. Ein klassisches Beispiel im Small- und Mid-Cap-Bereich hierfür wäre Stabilus, die weltweit bei Gasfedern für Heckklappen mit einem Marktanteil von ca. 70% führend sind und von dem E-Mobility-Trend nicht betroffen sind."
Ein weiteres Thema, das in den nächsten Monaten potenziell noch weiter an Fahrt aufnehmen und auch international noch deutlich höhere Wellen schlagen könnte, sei "Common Prosperity» (allgemeiner Wohlstand) in China, so Stumpfegger. Auch wenn China in der letzten Dekade einige marktwirtschaftliche Züge angenommen habe, sei und bleibe es ein kommunistisches Land, dem neben anderen einschlägigen Themen unter anderem die Ungleichverteilung von Wohlstand und die Macht mancher privater Konzerne missfalle. Die Zielsetzung der Unternehmen solle laut chinesischer Regierung nicht die Maximierung von Gewinnen, sondern die Optimierung des Gemeinwohls sein. In den vergangenen Wochen und Monaten gab es in diversen Sektoren reihenweise staatliche Interventionen, unter anderem auch Aufrufe zu "freiwilligen» Spenden, welche alles andere als unerheblich ausfallen. Allein die Technologieriesen Tencent und Alibaba haben bekanntgegeben, kumuliert nahezu 20 Mrd. Euro spenden zu wollen (bzw. müssen).
Wie der Portfolio Manager und Analyst weiter ausführt, ist der Automobilsektor bisher von konkreten Massnahmen verschont geblieben, allerdings habe der chinesische Staat auch hier die Marschroute vorgegeben: Elektroautos seien zu teuer, da für den chinesischen Allgemeinbürger nicht leistbar. Zudem gäbe es zu viele verschiedene Automobilfirmen, die Elektroautos herstellen. Während Letzteres sicherlich eher an die ca. 300 chinesischen Elektromobilitäts-Start-ups gewandt ist, könnten Einschränkungen bezüglich der Preissetzung auch internationale Konzerne treffen.
"Weiteres staatliches Eingreifen seitens der chinesischen Regierung, das die Autobranche auf diverse Weise treffen könnte, ist folglich durchaus denkbar. Eine potenzielle Stellschraube, die bislang noch halbwegs harmlos ist, könnte die Erhöhung der schon existierenden Luxussteuer auf Autos sein, aber auch drastischere Massnahmen kann man derzeit nicht ausschliessen", meint Stumpfegger. Die Folgen für Autokonzerne mit hohem Absatz in China könnten erheblich sein. Daimler beispielsweise verkauft ca. 38% seiner Autos der Marke Mercedes Benz in China – und erzielt nach Berechnungen von DJE Kapital somit ca. 27% des Konzernergebnisses in China.
Mittlerweile deutet laut dem Experten alles stark darauf hin, dass Elektromobilität das Rennen um die zukünftig vorherrschende PKW-Fortbewegungstechnologie gewonnen hat. Ob dies nun die richtige oder sinnvollste Entscheidung sei, berge sicherlich Gesprächsstoff für eine spannende Diskussion, sei aber aus Aktienanalysesicht wenig relevant. Die Weichen seine gestellt – und wenn das "Fit for 55»-Paket, wie von der EU-Kommission vorgesehen, ab 2035 ausschliesslich Neuzulassungen ohne jeglichen CO2-Ausstoss zulasse, dann sei nicht nur der Tod des Verbrenners, sondern auch des Hybrids in Europa besiegelt.
Relevanter für Investoren seien allerdings die enormen Investitionskosten, die für die Energiewende der Automobilindustrie benötigt werden: Volkswagen allein plane beispielsweise Elektromobilitätsinvestitionen in Höhe von nahezu 73 Mrd. Euro. Zudem müsse man beachten, dass die Profitabilität der E-Autos und auch einiger Komponenten nicht zuletzt auch aufgrund der mangelnden Skalierung den Produktmix der Konzerne margenseitig über die nächsten Jahre negativ beeinflussen werde.
Aktuell sei in manchen Bereichen nicht final geklärt, welche Aufgaben bei der Produktion von elektrischen Fahrzeugen von Zulieferern übernommen werden und welche von den Herstellern. Hier verhielten sich die Automobilhersteller sehr unterschiedlich, so Stumpfegger. Als Beispiel hierfür nennt er die E-Achse (die Kombination von E-Motor, Getriebe und Leitungselektronik). Historisch gesehen sei der Motor in aller Regel eine Kernkompetenz der OEMs gewesen – Elektromotoren seien allerdings technologisch deutlich unkomplizierter und auch in der Fertigung weniger anspruchsvoll. "Gerade das Argument der Skalierung spricht für Zulieferer, was vor allem im Vergleich zu Autobauern mit geringen Stückzahlen gilt. Aktuell lassen sich manche OEMs ganze E-Achsen-Einheiten von Firmen wie beispielsweise Vitesco (vormals ein Teil von Continental) liefern, während andere sich nur einzelne Komponenten schicken lassen, um diese dann selbst zusammenzubauen", weiss der Experte.
Es gebe aktuell wohl kaum einen Sektor, bei dem so viel im Umbruch ist wie im Automobilsektor. Auch wenn auf globaler Ebene die Nachfrage nach PKW ausgesprochen hoch sei, kämpften die Unternehmen sowohl mit den kurzfristigen Problemen der Lieferengpässe, als auch der längerfristigen "Energiewende des Automobilsektors». Diese massiven strukturellen Veränderungen in Richtung Elektromobilität seien mit sehr hohen Investitionen, viel Unsicherheit und mittelfristig oftmals niedrigeren Margen verbunden. "Diese Unsicherheit spiegelt sich in der Bewertung des Automobilsektors zurecht wider, die sowohl absolut als auch relativ nicht als anspruchsvoll zu erachten ist. Grosse Veränderungen bringen aber nicht nur Risiken, sondern auch Chancen, was die selektive Auswahl der Unternehmen in diesem Sektor wichtiger denn je macht. Hier gilt es, die strukturellen Gewinner zu identifizieren und gerade bei volumenabhängigen Geschäftsmodellen auch stark auf das Timing des Investments relativ zu den Markterwartungen zu achten", analysiert Stumpfegger abschliessend.