23.12.2024, 08:37 Uhr
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Neben Naturkatastrophen sichern Cat Bonds auch menschgemachte Risiken wie Cyber- oder terroristische Attentate ab. Gemäss dem ILS-Experten John Seo sollten solche Anleihen nicht nur beobachtet, sondern auch beachtet werden.
Am Versicherungsmarkt heisst es, die Zerstörung eines einzigen Hauses durch einen Wirbelsturm stelle auch dann für den Eigentümer eine Katastrophe dar, wenn sie noch keine Katastrophe für den Versicherer ist. Das sei zwar richtig, doch in Bezug auf das grosse Ganze werden Aktivitäten von Menschen – ganz gleich, welche verheerenden Auswirkungen diese haben – durch das Zerstörungspotenzial von Mutter Natur bei Weitem in den Schatten gestellt. Ein Erdbeben oder Orkan setzt in der Regel die Energie von hundert Atombomben frei. "Daher übersteigen versicherte Verluste aus Naturereignissen – also nicht von Menschen verursachte Schäden – häufig die Kapazität von Versicherungs- und Rückversicherungsmärkten", erklärt John Seo von Fermat Capital, Manager der ILS-Strategien von GAM-Investments. Infolgedessen würden in der Regel mehr Naturkatastrophenrisiken an den Markt für "Versicherungsgebundene Wertpapiere" (ILS) gebracht als vom Menschen verursachte Risiken ("exotische Risiken", zum Beispiel Pandemie-, Terrorismus- oder Cyberrisiken). Grundsätzlich sind aber vom Menschen verursachte ILS-Risiken nicht ausgeschlossen und können gar eine attraktive Diversfikationsmöglichkeit bieten.
Vom Menschen verursachte Risiken sind gar ein fester Bestandteil der Versicherungsmärkte. Obwohl menschliches Verhalten beispielsweise kein Hurricane auslösen kann, wirkt sich der Umfang der Forderungen einzelner Versicherungsnehmer dennoch auf die Gesamtsumme aus, die nach einem Hurricane für die daraus resultierenden Schadenforderungen gezahlt werden muss. Wenn es um ILS-Risiken geht, seien die Unsicherheiten in Bezug auf das Verhalten von Versicherungsnehmern nach Seos Einschätzung relativ gut eingegrenzt – zumindest im Vergleich zu den signifikanten Unsicherheiten im Zusammenhang mit globalen makroökonomischen Risiken. Dennoch bleibe die Tatsache bestehen, dass ein Faktor der letztendlichen Versicherungsforderung verhaltensbedingt ist.
Um die Abdeckung von ILS-Risiken angemessen zu quantifizieren, muss zuerst eine vernünftige Obergrenze für das geschätzte Risiko und somit ein Risiko-Ertrags-Verhältnis festgelegt werden können. Jedoch gibt es häufig Zweifel daran, ob und wie gut sich ein Risiko am Modell abbilden lässt.
"Manchmal wird behauptet, das Risiko von Naturkatastrophen liesse sich modellieren, nicht jedoch die sogenannten vom Menschen verursachten Risiken. Ich teile diese Ansicht nicht."
Obwohl Seo einräumt, dass diese Annahme durchaus seine Berechtigung habe, sei der Katalog der quantifizierbaren, vom Menschen verursachten Risiken umfangreich. "Das Hauptproblem liegt jedoch darin, dass diese Risiken häufig nicht gut vom Markt kompensiert werden", argumentiert er. In der Praxis ergebe sich die "Modellierbarkeit" aus der Höhe der zulässigen Fehlertoleranz, also dem Grad an Unsicherheit, der bei der Modellierung akzeptiert wird. Sollte ein Risiko nicht gut kompensiert werden, müsse die Risikoeinschätzung häufig genauer sein als es praktisch machbar ist. Werde ein Risiko aber ausserordentlich gut kompensiert, ist es nach Auffassung von Seo gut möglich, eine vernünftige Obergrenze für das Risiko festzulegen und diese als angemessene Grundlage für eine vernünftige Anlageentscheidung heranzuziehen.
Als Beispiel für ein vor Kurzem lanciertes exotisches ILS nennt Seo die ausschliesslich auf Terror-Katastrophen ausgerichtete Anleihe von Pool Re, einem öffentlich-privaten Versicherungspool zur Deckung von Terrorrisiken, der Rückversicherungen für Schäden an Gewerbeimmobilien und Betriebsunterbrechungen durch Terroranschläge in Grossbritannien übernimmt. Diese Anleihe mit dem Namen Baltic PCC wurde im ersten Quartal 2019 mit einem Volumen von GBP 75 Millionen emittiert. Zweck der Anleihe ist die Schaffung eines grösseren Abstands zwischen dem britischen Schatzamt und dem britischen Steuerzahler gegenüber Forderungen im Falle eines grossen Terroranschlags. Diese Transaktion war aus zwei Gründen beachtenswert, meint Seo: "Erstens wurde sie an den Markt gebracht, um vordergründig ein Problem von nationaler Bedeutung anzugehen. Zweitens waren die Risiken ausreichend detailliert beschrieben, sodass die Anleger die Risikomodellierung der Anleihe nachvollziehen und ihre eigenen Sensitivitäts- und Modell-Stresstests durchführen konnten."
Die einzige Überraschung sei, dass diese Transaktion überhaupt an den ILS-Markt gebracht wurde. "So abschreckend Terrorrisiken auch sein mögen, werden sie doch vom traditionellen Rückversicherungsmarkt gut abgedeckt", meint der ILS-Experte. Zudem verfüge Pool Re verdientermassen über eine starke Unterstützung auf dem privaten Rückversicherungsmarkt. "Hinter der Motivation des Transaktionssponsors steckt offenbar der Wunsch, gute Beziehungen zum ILS-Markt aufzubauen", glaubt Seo. Der ILS-Markt stellt nicht nur eine andersartige, diversifizierende Kapitalquelle des traditionellen Rückversicherungsmarktes dar, er dürfte aufgrund der Tatsache, dass er Teil eines grösseren Kapitalmarktes ist, auch die ergiebigste Kapitalquelle darstellen und somit in der Lage sein, Verluste besser zu verkraften als jede andere Versicherungslösung.
Nicht zuletzt deswegen wird Seo bei ILS-Konferenzen häufig gefragt, ob es weitere Terrorrisiko-Anleihen oder sogar Cyberrisiko-Anleihen geben wird. Obwohl er nicht weiss, wie sich der Markt entwickeln wird, ist er der Ansicht, dass exotische Risiken – zumindest gemessen am nominalen ausstehenden Risikoengagement – auf kurze Sicht weiterhin einen geringeren Teil des ILS-Marktes ausmachen werden. Diese Einschätzung beruht auf der Beobachtung, dass Naturkatastrophenrisiken um ein Vielfaches grösser sind als exotische ILS-Risiken.
Da die Menschheit und die Produktivität fortschreiten, werden zunehmend neue physische und virtuelle Risiken auftauchen. Einige davon werden möglicherweise zu versicherten Verlusten führen, die den aktuellen Sachrisiken aus Naturkatastrophen gleichkommen oder diese sogar übertreffen. "Daher ist es langfristig gut möglich, dass die Nachfrage nach Risikokapazitäten allmählich das verfügbare Rückversicherungsangebot übersteigt. In zehn Jahren könnten ILS-Risiken, die wir derzeit als exotisch bezeichnen, deshalb vielleicht gar nicht mehr so exotisch sein", prophezeit der Experte. Für ihn ist dies ein guter Grund, diese Anlagechancen, die derzeit entstehen, schon heute genau zu beobachten.