02.12.2024, 10:49 Uhr
«Europa steht wirtschaftlich unter Druck und muss seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen globalen Wirtschaftsmächten – insbesondere den USA – verbessern», heisst es im neuesten Marktausblick des...
Corona als Katalysator für die Entwicklung auf den Büromärkten schaffe eine neue Realität mit klaren Gewinnern und Verlierern, sagt Alex Lund von M&G Real Estate.
Als Büros auf der ganzen Welt als Reaktion auf die Eindämmungsmassnahmen der Regierungen geschlossen wurden, verlegte sich der Arbeitstag im Handumdrehen in unsere Küchen, Schlaf- und Wohnzimmer. "Die CEOs beglückwünschten ihre Teams zu der Geschwindigkeit dieses Übergangs. Doch schon bald stellte sich die Frage, ob dies zu einem dauerhaften Wandel führen würde", sagt Alex Lund, Manager European Research and Strategy bei M&G Real Estate. Die Antwort ist sehr von den jeweiligen persönlichen Umständen abhängig. Zwar wurden die Home-Office-Richtlinien massenhaft angenommen, doch die individuellen Erfahrungen waren bei weitem nicht einheitlich. Sie waren und sind abhängig von der Kinderbetreuung, der Möglichkeit eines privaten, ruhigen Arbeitsplatzes, der Fähigkeit nach getaner Arbeit abzuschalten, der richtigen IT- und Schreibtischausstattung, sozialen Aspekten und vielem mehr.
Die psychologischen Auswirkungen der Lockdowns seien entscheidend für die Sehnsucht der Mitarbeiter nach einer Rückkehr ins Büro, so Lund. Viele seien zum Beispiel (noch) nicht bereit, wieder den öffentlichen Personen-Nahverkehr zu nutzen. "Doch die Geschichte lehrt uns, dass Erinnerungen schnell verblassen. Nach dem Terroranschlag von 9/11 in New York prophezeiten Kommentatoren das Ende des Wolkenkratzers. Offensichtlich war dies nicht der Fall." Sobald ein Impfstoff gefunden wird, könnte es einen ersten neuen Ansturm auf die Büros geben: Viele Arbeitnehmer seien isolationsmüde und suchten Sozialkontakte bei der Arbeit. Wir glauben fest an die Zukunft der Büroimmobilien. Die eigentliche Frage ist vielmehr, wie das moderne Büro aussehen sollte und ob die bestehenden Gebäude in einer Post-Virus-Welt noch angemessen sind", sagt der Real-Estate-Experte.
Der Übergang zu flexibler Arbeit ist seit einigen Jahren im Gange. Inzwischen ist es allgemein anerkannt, dass die Mitarbeiter nicht mehr von neun bis fünf Uhr, an fünf Tagen in der Woche im Büro sein müssen. Es mache Sinn, dass sich agiles Arbeiten immer mehr in unserem Leben verankert, so Lund. Aber Flexibilität bedeute auch, die Möglichkeit zu haben, in einem Büro zu arbeiten. Oft hänge diese Wahl von den Umständen ab. Es sei ausserdem wichtig, zwischen verschiedenen Kulturen und Branchen zu unterscheiden. Während Länder wie die Niederlande oder Schweden fortschrittlich seien, habe Japan sein Stereotyp vom "Angestellten" noch nicht abgeschüttelt. "Auch hat sich das flexible Arbeiten in bestimmten Branchen naturgemäss stärker entwickelt. Und es gibt Unterschiede zwischen den Bereichen oder dem Stadium der Karriere einer Person. Jüngere Mitarbeiter unter 35 Jahren wollen viel seltener von zu Hause aus arbeiten als die über 50-Jährigen. All dies deutet auf einen unterschiedlichen Bedarf an Flexibilität und Raum hin", stellt Lund fest.
Das Bürogebäude werde bleiben, wobei der Schwerpunkt auf Qualität statt Quantität liegt. Die typische moderne Büroumgebung sei heute mehr als Reihen identischer Kabinen. Das Büro sei ein Teil der Kultur einer Organisation. Im Kampf um Talente sei dies von entscheidender Bedeutung. Berufsanfänger hätten oft bereits klare Vorstellungen rund um soziale Interaktion, Wohlbefinden und Arbeitsethik. "Es ist wohl diese demografische Entwicklung, die von den Unternehmen am meisten berücksichtigt werden muss", meint Lund. Veraltete Schreibtischflächen wurden durch Break-out-Kaffeeplätze, Innovationszentren und Wohlfühleinrichtungen ersetzt. Während also der Platz pro Mitarbeiter zurückgegangen ist, sind die Einrichtungskosten und Servicekosten tendenziell gestiegen.
"Verlierer sind die Flächen, die unter den modernen Bürostandards liegen: Back-Office-Standorte in ausserstädtischen Gewerbegebieten oder in kleineren Städten. Callcenter oder Branchen, in denen die Technologie seit langem vorhanden ist, werden den Übergang in die heimische Wohnung ermöglichen. So wird der Bürosektor wie der Einzelhandel wahrscheinlich ein zweistufiger Markt werden. Büroimmobilien zählen dabei weniger auf kurzfristige Gewinne, sondern werden langfristig geplant. Ein weiterer Aspekt: Die Struktur von Büroimmobilien eignet sich gut für den Umbau in Wohngebäude", so der Experte.
Gewinner seien die zentralen Lagen. Die Verlagerung der Nutzer in zentral gelegene Front-Offices hat viele Gründe: Bessere Anbindung, Agglomerationsvorteile, Talentbindung oder ein geringerer CO2-Fussabdruck. Wichtig sei dabei, dass wir sehr sorgfältig über die Gestaltung von Büroraum nachdenken und gleichzeitig längerfristige ESG-Ziele berücksichtigen. Der Schwerpunkt des Designs müsse sich um Flexibilität, Annehmlichkeiten, das Wohlbefinden der Mitarbeiter und den menschlichen Aspekt der Arbeit drehen. "Die hohe Qualität der Flächen wird eine höhere Ertragssicherheit mit sich bringen. Vermieter älterer Gebäude oder von Gebäuden ausserhalb der attraktiven Lagen müssen sich möglicherweise an geringere Cashflows gewöhnen", sagt Lund.
"Unternehmen werden versuchen, verlorene Erträge durch Umstrukturierung und Kosteneinsparungen wieder hereinzuholen. Der traditionelle Bürogrundriss wird dabei wahrscheinlich im Mittelpunkt stehen. Wie sich Investoren an das Tempo der künftigen Veränderungen anpassen, wird wahrscheinlich in zehn Jahren über ihren Erfolg entscheiden, da Büroimmobilien eine sich langsam verändernde Assetklasse sind. Langfristig wird es der Nutzer sein, der die globalen Büroflächen prägt", kommentiert der Real-Estate-Experte.