Anleger und Staatsanleihen: Eine Hassliebe?

Ad van Tiggelen, Senior Investment Specialist, Investment Content Management bei ING Investment Management, Den Haag
Ad van Tiggelen, Senior Investment Specialist, Investment Content Management bei ING Investment Management, Den Haag

Die Beziehung zwischen Anlegern und Staatsanleihen war selten ambivalenter. In den westlichen Medien heisst es, wir seien mit einer Schuldenkrise konfrontiert und die Schuldenquote nähere sich im Verhältnis zum BIP einem Wert von 100 Prozent. Gleichzeitig notieren die Renditen für die überwiegende Mehrheit von Staatsanleihen (Papiere aus den USA und den Kernländern des Euroraums) nahe ihren historischen Tiefständen.

02.08.2011, 10:00 Uhr

Redaktion: kab

Die Beziehung zwischen Anlegern und Staatsanleihen war selten ambivalenter. In den westlichen Medien heisst es, wir seien mit einer Schuldenkrise konfrontiert und die Schuldenquote nähere sich im Verhältnis zum BIP einem Wert von 100 Prozent. Gleichzeitig notieren die Anleiherenditen für die überwiegende Mehrheit von Staatsanleihen (Papiere aus den USA und den Kernländern des Euroraums) nahe ihren historischen Tiefständen. Die realen Renditen liegen sogar nahe Null. Wie ist dies möglich? Und werden die Renditen auf Dauer niedrig bleiben?

Derzeit liegen die Prämien für einen Ausfallschutz für rund 25 Prozent der 300 grössten Unternehmen ausserhalb des Finanzsektors in den USA und Europa unter den Prämien für einen Ausfallschutz ihrer Heimatländer. Man sollte zwar in die Preise für Ausfallversicherungen (CDS) nicht allzu viel hineininterpretieren, aber sie geben doch einen gewissen Hinweis darauf, wie stark einerseits Staatsanleihen unter Druck geraten sind und wie günstig andererseits die finanziellen Fundamentaldaten im Unternehmenssektor ausfallen.

Zahlreiche Unternehmen ausserhalb des Finanzsektors profitieren von Exporten in die Schwellenländer, einem moderaten Lohnwachstum und historisch niedrigen Unternehmenssteuersätzen. Ihnen hat das wirtschaftliche Rettungspaket genützt, das die Regierungen finanzieren mussten. Trotz ihrer Finanzkraft müssen jedoch selbst die grössten internationalen Konzerne im Vergleich zu Staaten noch einen Renditeaufschlag zahlen.

Keine Alternative zu Staatsanleihen
Die Kernländer der westlichen Welt müssen sich diese Fähigkeit zur günstigen Kreditaufnahme bewahren. Sie werden Ausgabenkürzungen und/oder (Unternehmens-)Steuererhöhungen beschliessen müssen. Möglicherweise müssen wir uns an strukturell höhere Schuldenquoten gewöhnen. Diese können jedoch nicht weiter exponentiell ansteigen. Die USA und Europa werden den Haushalt ins Gleichgewicht bringen müssen – und die Finanzmärkte werden darüber wachen.

Das Problem liegt darin, dass es schlicht keine liquide Alternative zu Staatsanleihen gibt. Und wir leben in einer Welt, in der die Nachfrage nach solchen Anleihen noch weiter ansteigen dürfte. Da die Staaten zunehmend nicht mehr dazu in der Lage sind, für ihre Bürger zu sorgen, werden diese immer stärker selbst vorsorgen müssen – und dazu werden sie grossenteils in Staatsanleihen investieren.

Dies gilt möglicherweise für die rasch alternden europäischen Länder in noch stärkerem Masse als für die USA. Unsere nicht kapitalgedeckten, staatlichen Rentensysteme werden nicht mehr tragfähig sein, wenn sich das Verhältnis zwischen steuerzahlenden Berufstätigen und Rentnern unausweichlich verschlechtert. Das Renteneintrittsalter wird steigen, und die Rentenzahlungen werden wahrscheinlich niedriger ausfallen. Die Menschen werden etwas tun müssen, um ihre staatliche Rente aufzubessern.

Und die demografische Alterung ist nicht der einzige Grund, aus dem die Nachfrage der privaten Anleger nach Investitionen mit geringen Risiken ansteigt. Der Mangel an Anlagealternativen mit hohen Renditen spielt ebenfalls eine Rolle. In den westlichen Ländern besitzen den bei weitem grössten Anteil des Nettovermögens Menschen über 55 Jahre. Sie haben ihre Hypotheken weitgehend getilgt und in vollem Umfang vom kräftigen Anstieg der Hauspreise, Aktienkurse und Anleihekurse in den Achtziger- und Neunzigerjahren profitiert, zumal der einmalige Rückgang der Zinsen von 12 auf 4 Prozent in dieser Zeit zu einem Vermögenspreisboom führte. Dabei handelt es sich jedoch um ein seltenes historisches Phänomen, das sich in den kommenden Jahrzehnten nicht wiederholen dürfte.

Im aktuellen Umfeld dürften die Anlagerenditen und der Hauspreisanstieg moderat bleiben, was es schwieriger macht, ein Vermögenspolster für die Zukunft aufzubauen. Für junge Leute wird ihr Erbe möglicherweise die wichtigste Vermögensquelle sein. Diejenigen, die nicht allzu viel zu erwarten haben – also die grosse Mehrheit –, werden zunehmend für die Zukunft investieren müssen – hauptsächlich in Fonds, die in Staatsanleihen anlegen.

Die Wachstums- und Inflationsraten in den westlichen Ländern dürften nach Meinung von Ad van Tiggelen sehr moderat bleiben und die Nachfrage nach Staatsanleihen wird wahrscheinlich weiter ansteigen. ING Investment Management geht davon aus, dass die Regierungen der wichtigen Länder einen Ausgleich ihrer Staatshaushalte anstreben werden. In diesem Fall spricht immer noch mehr für als gegen Staatsanleihen.

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