Anatomie einer Marktturbulenz

Mikio Kumada, Global Strategist bei LGT Capital Management.
Mikio Kumada, Global Strategist bei LGT Capital Management.

Seit Freitag erleben wir den ersten Erholungsversuch nach der jüngsten Börsenkorrektur. Die Anleger könnten die höheren Kurse natürlich für Verkäufe nutzen. Viele Experten warnen daher, dass erst der Verlauf der Erholung zeigen werde, ob die Hausse noch stark ist. Doch diese Aussage ist immer wahr: Wir wissen immer erst in der Zukunft, was in der Zukunft sein wird. Aus objektiver Sicht wirkt die aktuellste Marktturbulenz bisher jedenfalls eher harmlos. Lesen Sie hier den aktuellen Marktkommentar von Mikio Kumada, Global Strategist von LGT Capital Management.

13.08.2014, 11:22 Uhr

Redaktion: dab

Jedes Mal, wenn die Finanzmarkvolatilität zunimmt und die hässlichen Schlagzeilen dominieren, klingen viele Analystenstimmen wieder vorsichtig. Manchmal scheint es, sie tasten sich im dunklen Wald behutsam von Baum zu Baum weiter. An der wiederkehrenden Ungewissheit ist an sich nichts auszusetzten, dann letztlich kann niemand die Zukunft voraussagen. Allerdings muss diese Tatsache auch nicht allzu breit getreten werden - insbesondere dann nicht, wenn eine klare Meinung gefragt ist.

Sehr bescheidener Anstieg der Volatilität in den USA
In diesem Sinne wollen wir nochmal das Gesamtbild betrachten, d.h. den Wald als Ganzes. Seit Beginn der Hausse im März 2009 hat der auch global richtungweisende S&P 500 in den USA dreizehn Mal mehr als 5% innerhalb einer kurzen Zeitspanne verloren, ohne seinen Aufwärtstrend nachhaltig zu verlassen. In sieben Fällen betrug der temporäre Verlust mehr als 7%, in drei mehr als 10% und einmal sogar knapp 20%. Im Schnitt gab es alle fünf Monate grössere "Korrekturen". Die letzte Talfahrt vom 24. Juni bis 7. August brachte ein Minus von knapp 4%. Solche kleineren Rückschläge kommen aber fast zu häufig vor, um sie zu zählen. Der jüngste Volatilitätsanstieg ist in den USA also eher moderat ausgefallen. Die Entwicklung in Europa war zugebenerweise volatiler, blieb aber letztlich auch innerhalb historischer Normen. Ohne den "Angstfaktor", denn die Ereignisse im Nahen Osten und in der Ukraine ins Spiel bringen, würden die momentanen Marktschwankungen wahrscheinlich kaum jemanden verunsichern.

Marktbreite: Keine problematischen Entwicklungen
Als nächstes betrachten wir die "Marktbreite". Eine ordentliche Hausse umfasst mit der Zeit in der Regel immer breitere Segmente. Ist dies nicht mehr der Fall, ist etwas Vorsicht angesagt. Hierbei kommt es allerdings häufig zu Missverständnissen. In einer Schwächephase nimmt die Marktbreite kurzfristig immer ab. Ein mögliches Warnsignal besteht aber nur dann, wenn die Markbreite trotzt eines weiter steigenden Index abnimmt. Dazu kommt, dass selbst in diesem Fall wesentliche Marktsegmente jahrelang weiter haussieren können. Ein Beispiel: Während des Internet-Booms sank US-Marktbreite von März 1998 bis März 2001 kontinuierlich und der der NASDAQ legte bis März 2000 trotzdem um 180% zu. Der S&P 500 stieg bis Juli 2001 weiter, um insgesamt 40%. Der Hauptindex, der rund zwei Drittel des US-Marktes repräsentiert, tendierte also 28 Monate lang trotzt sinkender Marktbreite weiter höher. Im damaligen Fall spiegelte sich in dieser Divergenz nur die Tatsache, dass Internet-Titel und Blue Chips trendmässig lange besser liefen als "traditionelle" kleinere Börsenfirmen ("Small Caps"), wie sie beispielsweise im Russell 2000 repräsentiert werden. Ein ähnliches Phänomen können wir schliesslich in den letzten Jahren auch auf globaler Ebene beobachten. Es besteht nämlich seit geraumer Zeit eine Divergenz - weil viele «Emerging Markets» nicht (oder nicht in gleichem Masse) an der seit 2009 von den USA angeführten Aktienhausse teilnehmen.

Es gibt keine wirklich stichhaltigen Warnzeichen
Vor diesem Hintergrund sind folgende Beobachtungen interessant: Erstens haben sich während der jüngsten Turbulenzen weiterhin keine grossen Divergenzen im US-Markt herausgebildet. Die Underperformance des Russell 2000 seit März ist zwar ein Faktum, könnte sich aber ebenso gut entweder als temporär oder als eine längere Trendwende zugunsten anderer Marktsegmente im Rahmen einer Hausse herausstellen, wie etwa 1983 oder 1994. Keinesfalls muss diese Entwicklung eine allgemeine Baisse signalisieren. Zweitens haben sich die jahrelang vergleichsweise schwachen Schwellenländer seit Ende Juni deutlich erholt. Damit könnte eine wichtige Schwäche der seit 2009 anhaltenden Hausse - die Nichtteilnahme der "Emerging Markets" am globalen Aktienboom - endlich überwunden werden. Wer von geopolitischen Spekulationen Abstand nimmt und stattdessen auf Marktsignale und Wirtschaftsdatenfluss fokussiert, kommt eher zu folgendem Schluss: Statt einer deutlichen Korrektur oder sogar dem Beginn einer Baisse könnten wir einfach kurz vor einer global noch breiter abgestützten Phase des Bullmarkts stehen.

Volatilitätsanstieg hält sich weiterhin in Grenzen
Die erste Grafik (siehe PDF) zeigt die Differenz zwischen der aktuellen implizierten Marktvolatilität und des längerfristigen durchschnittlichen Volatilitätsniveaus (wir nehmen den gleitenden 200-Wochen-Durchschnitt). Wir sehen, dass der jüngste Anstieg der Volatilität im grossen kaum auffällt und zudem unterdurchschnittlich moderat geblieben ist. Zudem können wir beobachten, dass selbst überdurchschnittliche Volatilitätsphasen nicht zwingend mit einer Baisse einhergehen müssen. In der volatilen Phase zwischen Anfang 1995 und Mitte 1999 hatten wir beispielsweise ein sehr positives Marktumfeld (der S&P 500 stieg in dieser Zeit um 200%).

Weiterhin keine Divergenz zwischen Markbreite und Marktpreis
Im zweiten Chart (siehe PDF) zeigen wir, dass die Marktbreite zwar wichtig, aber nicht allheilig ist. Zuerst sei festgestellt, dass in der aktuellen Phase im Gesamtbild immer noch keine Divergenz zwischen Marktpreisen und Marktbereite auszumachen ist. Wir haben es allenfalls seit März mit einer Underperformance geringer kapitalisierter Aktien (rund 3% des Weltmarktes) zu tun. Dafür laufen aber die "Emerging Markets" (rund 13% des Weltmarktkapitalisierung) wieder besser, auch wenn diese Erholung uns nicht in allen Fällen aus mittelfristiger Sicht voll überzeug. Der NYSE-Indexwert für die US-Markbreite läuft jedenfalls immer noch parallel zum Preis des S&P 500. Doch selbst eine Divergenz zwischen diesen zwei Indikatoren muss nicht zwangsläufig unmittelbarer Vorbote einer Baisse sein, wie der Zeit von März 1998 bis März 2001. Damals ging es mit der Marktbreite jahrelang talwärts. Der S&P 500 stieg aber weiter. Auch wenn wir kleinere Zeiträume betrachtet finden wir gelegentlich kleinere, temporäre Divergenzen, die sich letztlich als nichtig erweisen.



Lesen Sie hier den vollständigen Kommentar von Mikio Kumada, Global Strategist von LGT Capital Management.

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