"Die Bewertungslücke zwischen Growth und Value ist noch längst nicht da, wo sie früher war"

Paolo Corredig, Country Head Schweiz bei T. Rowe Price
Paolo Corredig, Country Head Schweiz bei T. Rowe Price

Paolo Corredig, Country Head Schweiz bei T. Rowe Price, spricht im Interview über die Auswirkungen der ultralockeren Geldpolitik, die Anlagechancen in Schwellenländern sowie den Reflationstrade. "Damit sich die Rallye bei Risikoanlagen fortsetzen kann, muss das Reflationsszenario in eine solide Wachstumsstory übergehen", sagt er.

02.06.2021, 15:44 Uhr

Redaktion: rem

In den USA sind die langfristigen Zinsen gestiegen. Wird das schon in absehbarer Zeit zu einem allgemeinen Problem für Risikoanlagen?

Paolo Corredig:
Grundsätzlich sind steigende Zinsen sowohl für Aktien als auch Fixed Income-Kunden ein Grund zur Beunruhigung. Wichtig ist aber, sich vor Augen zu halten, was in den nächsten Quartalen auf uns zukommt, nämlich eine möglicherweise starke Beschleunigung des Wirtschaftswachstums und ein Anziehen der Inflation. Die grossen Zentralbanken werden dies jedoch aufmerksam beobachten und alles daransetzen, dass der Zinsanstieg nicht zu schnell erfolgt. Daher konzentrierte sich die Zinsvolatilität laut unserem Global-Fixed-Income-Team auf lange Laufzeiten und hat kaum Auswirkungen auf die Risikomärkte. Gleichwohl sehen wir eine Gefahr, dass die Märkte die Entschlossenheit der US-Notenbank testen, was auch bei Anleihen mit kurzen Laufzeiten zu einer vorübergehenden Korrektur führen könnte. Unserem Fixed-Income-Team zufolge besteht das Ziel der Fed darin, das Tempo der Zinserhöhungen zu steuern und nicht darin, eine Obergrenze festzulegen, wie weit die Renditen steigen können.

Viele Experten fragen sich, wie lange der Reflationstrade noch weitergehen wird.

Damit sich die Rallye bei Risikoanlagen fortsetzen kann, muss das Reflationsszenario in eine solide Wachstumsstory übergehen. Bis dahin sind jedoch noch viele Hürden zu überwinden. Die Bewertungslücke zwischen Growth und Value hat sich in den letzten Monaten zwar ein Stück weit geschlossen. Aber sie ist noch längst nicht da, wo sie früher war. Auch der hohe Optimismus der Märkte in Bezug auf Wachstumsaktien spricht dafür, dass ein grosser Teil der Growth-Phantasie bereits eingepreist ist. Wir sehen Potenzial für zinssensitive Aktien aus den Bereichen Finanzen, Energie und Rohstoffe.

Wie sehen Sie die weitere Zinsentwicklung und wo liegen die Gefahren der Geldschwemme durch staatliche Programme und die Notenbanken?

Nach Ansicht unseres Multi-Asset-Teams stellt die Geldschwemme noch kein Risiko dar. Erst wenn das zusätzliche Kapital in der Realwirtschaft ankommt, besteht die Gefahr einer Inflation und in der Folge auch von steigenden Zinsen. Noch gibt es aber Überkapazitäten und die von den Notenbanken geschaffenen Gelder fliessen in die Kapitalmärkte, die deshalb boomen. Zudem weist das Team darauf hin, dass viele preistreibende Faktoren vorübergehend sein könnten. Gleichzeitig sind einige säkulare deflationäre Kräfte wie etwa der demografische Wandel, Disruption und die Globalisierung noch immer vorhanden und könnten die Teuerung auf einem niedrigeren Niveau als in der Vergangenheit verankern. Dennoch sollten Anleger nicht die ungewöhnlich niedrigen Inflationsraten des letzten Jahrzehnts fortschreiben.

Die Fed und die EZB haben Inflationsziele um die 2% bzw. unter aber nahe 2%. Wie beurteilen Sie die Gefahr, dass die Inflation aus dem Ruder läuft und wie würden sie in diesem Fall in ihrer Anlagepolitik reagieren?

Als aktive Manager versuchen wir, diese Entwicklung zu antizipieren. Dabei hängt die Umsetzung von der Flexibilität des Mandats ab. Im Fixed Income-Bereich etwa lässt sich die Duration anpassen, um Verlustrisiken zu begrenzen. Bei Equity-Mandaten ist dies durch die Beimischung inflationssensitiver Aktien möglich. Unser Head of Multi‐Asset Solutions empfiehlt vor diesem Hintergrund die Beimischung von Assets, die von einer höheren Inflation profitieren könnten. Dazu gehören zyklische Aktien (Value, Small Caps, Schwellenländer), inflationsgebundene Staatsanleihen und "Real Assets" wie Rohstoff- und Immobilienaktien.

Welche Auswirkungen hat die Geld- und Investitionspolitik der USA und Europas auf die Emerging Markets?

Die US-Notenbank hat signalisiert, die Zinssätze für einen längeren Zeitraum niedrig zu halten und eine potenziell höhere Inflation auszublenden. Vor diesem Hintergrund sollten die Renditedifferenzen weiterhin unterstützend für die Währungen der Emerging Markets bleiben, trotz der zuletzt gestiegenen Zinssätze in den Industriestaaten. Unsere Kollegen des Global-Fixed-Income-Teams gehen davon aus, dass sich die daraus resultierende Abschwächung des Greenback positiv auf die Schwellenländer auswirkt, da diese stark vom Dollar abhängig und häufig in der US-Währung verschuldet sind. Sie glauben, dass die langfristigen Gründe für eine Dollar-Schwäche bestehen bleiben und zu einer Aufwertung der Schwellenländer-Währungen führen sollten.

China ist ein Zugpferd der wirtschaftlichen Erholung und wächst – bereits post-Corona – wieder fulminant. Welche Opportunitäten sehen sie im chinesischen Markt und wie ist T. Rowe Price dort investiert?

Wir haben kürzlich unser erstes Analystenbüro in Shanghai eröffnet. Es ist das erste Büro von T. Rowe Price in Festland-China überhaupt. Das Land ist auf einem guten Kurs und bleibt die Wachstumslokomotive der Welt. Das Land richtet seinen wirtschaftspolitischen Kurs neu aus und setzt dabei auf den Export, Anlageinvestitionen und den Konsum. Der Schwerpunkt des Entwurfs für den 14. Fünfjahresplan für die Jahre 2021 bis 2025 liegt auf einem "doppelten Wirtschaftskreislauf", der sich sowohl auf die Binnen- als auch die Aussenwirtschaft stützt. In den vergangenen Jahren hat China erheblich in Forschung und Entwicklung (F&E) investiert und wir glauben, dass es bei vielen aufstrebenden Technologien heute an der Spitze steht. Mit der zunehmenden Technologie- und Innovationskraft nimmt die Wirtschaft im Reich der Mitte einen bedeutenden Richtungswechsel vor, den viele offenbar unterschätzen.

Wo sehen Sie die Risiken und wie gehen Sie damit um?

China ist kein freier Markt, weil Peking mit zunehmender Regulierung auf die wachsende Macht der führenden Unternehmen reagiert. Werden sie zu gross, weist die Politik sie in die Schranken. Ein Beispiel ist der abgesagte Börsengang der Alibaba-Tochter Ant Financial Ende vergangenen Jahres. Wenn Kunden nach China fragen, betonen unsere Asia-Sovereign-Credit-Analysten, dass China immer wieder bewiesen hat, seine Ziele erfolgreich umsetzen zu können. Ich sage den Kunden daher, dass sie sich auf Chinas bisherige Erfolgsbilanz und seine Fähigkeit, seine Ziele zu erreichen, konzentrieren sollten.

In welchen Schwellenländern sehen Sie zudem grosse Chancen und wie gewichtet T. Rowe Price sein Emerging-Market-Portfolio?

Die langfristigen Argumente für unsere Emerging-Markets-Equity-Strategien liegen auf der Hand: In einer Welt mit geringem Wachstum wachsen die Schwellenländer schneller, was die Bevölkerung, den Konsum, das verfügbare Einkommen und letztlich die Unternehmensgewinne angeht. Sie haben sich in den letzten 12 Monaten sehr gut entwickelt, der MSCI Emerging Markets Index erzielte eine Rendite von +48% (Stand 12. Mai 2021). Eine der besten Möglichkeiten, an der Entwicklung des Konsums in den Schwellenländern teilzuhaben, ist jedoch der Sektor der Basiskonsumgüter, der im letzten Jahr deutlich hinterherhinkte.

ESG ist in aller Munde und die Asset Manager überbieten sich mit neuen Produkten und Bekenntnissen. Wie steht T. Rowe Price zu ESG?

Der Nachhaltigkeitstrend ist unumkehrbar und die Nachfrage nach ESG-Investmentprodukten steigt kontinuierlich an. Daher nehmen wir dieses Thema sehr ernst – wobei Nachhaltigkeit für T. Rowe Price kein Novum ist. Wir haben diesen Investmentansatz schon immer berücksichtigt und zählen zu den Unterzeichnern der "Principles for Responsible Investment" der Vereinten Nationen. Die Grundlage für unsere Analysen bildet unser hauseigenes Rahmenwerk, das sogenannte Responsible Investing Indicator Model (RIIM). Es erstellt für jedes Unternehmen ein eigenes Profil für verantwortliches Investieren und bewertet die Emittenten von Unternehmensanleihen mit einem Ampelsystem.

Noch vor wenigen Jahren war die Datengrundlage zur ESG-Analyse und zur Methodologie der ESG-Integration ein ziemlicher Wildwuchs. Der Verdacht auf Greenwashing wurde allenthalben geäussert. Wie beurteilen Sie heute die Situation?

Zunächst gilt es, zwischen den unterschiedlichen Anforderungsprofilen zu differenzieren. Ganz oben steht Impact Investing, gefolgt von Sustainable und Responsible Investing. ESG ist die schwächste Stufe. Im Rahmen der EU-Taxonomie-Verordnung, die ab Januar 2022 in Kraft tritt, wird ein Klassifizierungssystem geschaffen, das die Identifizierung von nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten ermöglichen soll. Dies macht die Situation für Anleger transparenter und schiebt dem Wildwuchs einen Riegel vor. In die gleiche Richtung zielt die Sustainable Finance Disclosure Regulation, deren Umsetzung bis Ende 2022 erfolgen soll.

Wie setzen Sie ESG in Ihrer Anlagepolitik um?

Um das Risiko-Chance-Profil zu bewerten und zu definieren, haben wir das bereits erwähnte RIIM-Modell entwickelt. Sein Hauptzweck besteht darin, bei Investitionen auf erhöhte ESG-Risiken hinzuweisen. Es kann aber auch Unternehmen identifizieren, die besonders gut in dieser Hinsicht agieren. Unsere Portfolio Manager erhalten mit diesem Analyse-Tool eine wichtige Grundlage, die sie dabei unterstützt, bessere Investmententscheidungen zu treffen.

Was können Sie als Asset Manager zu einer "besseren Welt" beitragen bzw. welche Bedeutung hat die Finanzindustrie in der Verbesserung der Situation von Umwelt, sozialer Ungleichheit und vorbildlicher Unternehmensführung?

Insbesondere Pensionskassen müssen sich mit Blick auf die Überalterung der Bevölkerung grossen Herausforderungen stellen. Trotz staatlicher Rahmenbedingungen und steuerlicher Anreize ist de facto der Versicherte für seine Altersvorsorge zunehmend selbst verantwortlich. Hier kommen wir als Asset Manager ins Spiel, denn mit Blick auf die Altersvorsorge verfügen wir über die erforderliche Investment-Expertise. Responsible Investing ist ein weiterer Bereich, in dem wir eine steigende Nachfrage bei unseren Kunden feststellen. Auch hier in der Schweiz zeigt der Trend in Richtung nachhaltiges Investieren. Zudem arbeiten wir hier mit Banken, Versicherungen oder Pensionskassen zusammen, um ihnen mit Blick auf die nach wie vor anhaltende Tiefzinsphase ihre gewünschten Anlagelösungen in Form von Fonds oder Mandaten zu liefern. Oder nehmen Sie das Thema Diversität, Gleichstellung und Inklusion, auf das mich jüngst meine Kollegin Maria Elena Drew aufmerksam gemacht hat. Für sie ist klar, dass dies zentrale Werte für viele Stakeholder von Unternehmen sind: ihre aktuellen und zukünftigen Mitarbeiter, ihre Kunden, ihre Investoren, ihre Führungskräfte und ihre Vorstände. Firmen, die die Erwartungen dieser Stakeholder nicht erfüllen, werden vermutlich eine Erosion ihrer Fähigkeit im Wettbewerb um Talente und Marktanteile erleben.

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