15.04.2025, 17:10 Uhr
«US-Staatsanleihen haben eine Achterbahnfahrt hinter sich. Die anfängliche Erholung nach der Ankündigung des Zolltarifs am 2. April wich einem dramatischen Ausverkauf in einem von Liquiditätsengpässen geprägten...
«Verhandlungen oder Revanche? Jetzt kommt es darauf an, wie die Welt auf die überraschend hohen US-Zölle reagiert», schreibt Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities bei Neuberger Berman.
Trumps Zollankündigungen vom Mittwoch blieben nur knapp hinter den schlimmsten Erwartungen zurück. Entsprechend hatten sie weltweit einen heftigen Ausverkauf an den Aktienmärkten ausgelöst – und einen deutlichen Rückgang der Anleihenrenditen.
Interessanterweise sind Kanada und Mexiko von der neuen Zollrunde ausgenommen, und für bestimmte Waren und Rohstoffe werden spezielle Zölle erhoben oder geprüft. Volkswirte schätzen den neuen Durchschnittszoll auf US-Importe auf etwa 20 Prozent. Das gab es zuletzt in den 1930ern. «Was bedeutet das für die Wirtschaft, und wie lange werden die Folgen anhalten? Und vor allem: Hat dieser Wahnsinn Methode?», frägt sich Amato.
Zum Jahreswechsel prognostizierte Neuberger Berman für die USA ein BIP-Wachstum von 2,3 Prozent für 2025. «Da wir mit höheren Zöllen rechneten, senkten wir die Erwartungen in den letzten Wochen auf 1,7 Prozent. Jetzt erwartet unser Anleihenteam weniger als 1 Prozent Wachstum und hält, wenn weitere Zölle und Gegenzölle hinzukommen, auch eine Rezession in den USA für denkbar», schreibt der Chief Investment Officer Equities.
Wenn sich die Lage nicht noch wesentlich verschlechterte, werde das Wachstum vor allem in den nächsten zwei bis drei Quartalen fallen, bevor die Unternehmen Anpassungen vornehmen. Aber solche Anpassungen könnten teuer werden. Vielleicht schrumpfe das langfristige Wirtschaftswachstum um einen viertel oder halben Prozentpunkt.
Ausserdem hält Neuberger Berman einen erneuten Anstieg der amerikanischen Kerninflation auf 3,5 Prozent für möglich. Die Fed stehe dann vor einem Dilemma. «Insgesamt glauben wir, dass sie die preistreibenden Wirkungen der Zölle für vorübergehend hält und mehr auf das Wachstum und den Arbeitsmarkt achtet. Schnell rechnete man am Markt mit vier Zinssenkungen in diesem Jahr. Ohne sehr schwache Arbeitsmarktzahlen in den nächsten Wochen oder einen kräftigen Kurseinbruch halten wir zwei bis drei Senkungen aber nach wie vor für wahrscheinlicher», schreibt Amato.
Neuberger Berman rechne mit weiteren Zöllen auf ausgewählte Güter und Rohstoffe. Aus mehreren Gründen sehe man darin aber vor allem den Startschuss für neue Verhandlungen.
Da sei zunächst die schiere Höhe der Zölle. Ohne eine Korrektur würde sie der Weltwirtschaft enorm schaden. Der amerikanische Finanzminister deutete schon jetzt an, dass es sich bei den Ankündigungen um eine «Obergrenze» handele, und forderte die anderen Länder sofort zu Verhandlungen auf. Der zweite Grund sei die sehr krude, simplistische Berechnungsmethode der Trump’schen Zölle. Der dritte sind die Ausnahmen für Kanada und Mexiko; sie könnten anderen Ländern den Weg zu Verhandlungen ebnen, wie sie in den letzten Wochen mit diesen beiden Ländern geführt wurden. Und viertens falle auf, dass bisher wenige grosse Handelspartner mit aggressiver Rhetorik und/oder Gegenmassnahmen reagiert haben, von China einmal abgesehen.
Vor allem in Europa scheine man jetzt zu Verhandlungen bereit; offensichtlich setzt man mehr auf eine expansivere Fiskalpolitik als auf Gegenzölle. China verkündete am Freitag hingegen höhere Zölle auf US-Güter. Laut staatlichen Medien will man sich mit Südkorea und Japan auf eine gemeinsame Antwort verständigen.
«Jetzt sind kühle Köpfe gefragt, und am Ende dürfte die Vernunft auch obsiegen. Wenn jetzt verhandelt wird, könnten die Verlängerung der Steuersenkungen und die Deregulierungspläne – Trumps vermutlich nächste Schritte – und die deutschen Sondervermögen für die Märkte wieder wichtiger werden als die Handelspolitik», erläutert der Experte.
Und doch müsse man sich bewusst sein, dass viel passieren könne. Vielleicht siege doch nicht die Vernunft, und vielleicht folgten andere Länder dem chinesischen Beispiel und greifen zu Gegenzöllen. Selbst wenn verhandelt werde, könnte das Monate dauern. «Seit Trump die Wahlen gewonnen hat, schreiben wir, dass wir für das Wachstum langfristig optimistisch sind, der Übergang vom Zeitalter der Globalisierung zu einer Zeit der Nullsummenspiele, des Merkantilismus und des Protektionismus aber volatil würde. Genau das passiert jetzt, und da sind steigende Risikoprämien nur recht und billig.»
Am stärksten dürften Zölle amerikanische Firmen treffen, die sehr viele Vorprodukte aus dem Ausland beziehen. Laut Bank of America Global Research gilt das etwa für Branchen wie Raffinerie- und Kohleprodukte (33%), Autos und Autoteile (24%), Computer und Elektronik (24%), Maschinenbau (21%) und Chemie (21%).
Hier waren die Revisionen der letzten drei Monate meist auch am negativsten: Im Grundstoffsektor, vor allem in der Chemie, und in der Industrie gingen die Gewinnschätzungen für das 1. Quartal um 13,7 beziehungsweise 6,8 Prozent zurück. Das passe auch zu den Erwartungen für Europa: Vom Energiesektor abgesehen, wo die Gewinne vor allem aufgrund von Basiseffekten nach dem sehr erfolgreichen Vorjahr schrumpfen, seien langlebige Konsumgüter der STOXX-Europe-600-Sektor mit dem voraussichtlich stärksten Gewinnrückgang im 1. Quartal – und hier sind es vor allem die Automobilwerte.
Die Kursreaktionen der letzten Tage zeigten sich vor allem in hohen Risiken für den Einzelhandel, und hier insbesondere für die Bekleidungsbranche. Schliesslich wurden einige der höchsten Zölle auf Importe aus Asien verhängt.
Auffällig ist für Amato auch der heftige Ausverkauf amerikanischer Small Caps in der letzten Woche. Laut Bank of America könnten ihre Gewinne bei einem echten Handelskrieg dreimal so stark betroffen sein, wie die von Large Caps, wenn Kostensteigerungen in gleichem Umfang an die Verbraucher weitergegeben werden.
Als Indikator für die Marktbreite beobachtet Neuberger Berman den Anteil der 163 Teilsektoren des S&P 500, deren Gewinne in den kommenden zwölf Monaten vermutlich steigen. Der langfristige Median beträgt 75 Prozent. Im Mai 2023 waren es nur noch gut 50 Prozent, aber danach stieg der Anteil wieder in Richtung des Langfristdurchschnitts. Allerdings hat das Momentum seit Jahresbeginn nachgelassen. Ausserdem dürfte der IT-Sektor trotz des enormen Wachstums in den letzten zwei Jahren im 1. Quartal laut Amato derjenige mit dem zweithöchsten Gewinnwachstum sein.
Und doch seien sich die Analysten laut FactSet weitgehend einig, dass sich das Gewinnwachstum des IT-Sektors und das der anderen Branchen annähern. Vor einem Jahr sind die Gewinne der übrigen 493 S&P-500-Unternehmen um 9 Prozent gefallen, während die der Magnificent 7 um 52 Proent zulegten. Diese Lücke hat sich seitdem immer weiter geschlossen. Es wird erwartet, dass die Gewinne der übrigen 493 Unternehmen bis zum 4. Quartal dieses Jahres um 8,7 Prozent steigen, gegenüber 13,6 Prozent bei den Magnificent Seven.
Hinzu komme, dass der europäische Computer- und Elektroniksektor stark von Importen abhängt und die grossen US-Technologieunternehmen bei einem Scheitern der Verhandlungen in den nächsten Wochen wohl ein wichtiges Ziel europäischer Gegenzölle werden.