13.11.2024, 13:49 Uhr
«Das grosse Interesse an risikoreichen Titeln könnte bis zum Jahresende anhalten. Aber dann wird es schwieriger», schreibt Shannon Saccocia, Chief Investment Officer bei NB Private Wealth.
Das zweite Quartal 2024 schien für Investoren in Unternehmensanleihen, zumindest im Investment Grade-Bereich, zunächst als langweilig in die Geschichte einzugehen. «Das änderte sich, als der französische Präsident Macron unerwartet vorgezogene Parlamentswahlen ausrief», schreibt Sander Bus, CIO High Yield, Portfolio Manager & Matthew Jackson, Portfolio Manager bei Robeco.
Bisher war die daraus resultierende Volatilität am stärksten bei französischen Bank- und Staatsanleihen zu spüren. Die Hauptsorge des Marktes scheint sich nicht auf einen «Frexit» zu fokussieren, sondern auf die Aussicht auf eine grosszügige Fiskalpolitik. Dies würde die ohnehin schon angespannten Kreditkennzahlen des Staates weiter verschlechtern.
Aktuell ist das endgültige Ergebnis der französischen Stichwahlen noch nicht bekannt. «Dennoch ruft uns das Geschehen rechtzeitig ins Bewusstsein, dass unerwartete Ereignisse zu erheblichen Kursschwankungen führen können. Dies macht sich natürlich umso deutlicher bemerkbar, wenn die Bewertungen hoch sind und der Konsens der Marktteilnehmer stark in die gleiche Richtung geht», schreibt der Experte von Robeco.
Sein Fazit: «Wir streben eine neutralere Positionierung in Investment-Grade- und Schwellenländern an und konzentrieren uns auf die Generierung von Alpha durch die Emittentenauswahl. Bei den Hochzinsanleihen bleiben wir unserer Qualitätsausrichtung treu, was zu einem Beta unter der Benchmark führt.» (Siehe den Ausblick des Global Macro Teams)
Die Konjunkturdaten aus den USA zeichnen weiterhin das Bild einer robusten Wirtschaft. In der Tat haben die meisten Kommentatoren die Ansicht aufgegeben, dass die Wirtschaft aufgrund der schärfsten Zinsanhebungen der letzten Jahre letztlich einbrechen oder abstürzen muss. Ein «Goldlöckchen»-Szenario mit schwächerem Wachstum, abkühlender Inflation und der Aussicht auf bevorstehende Zinssenkungen bleibt der breite Marktkonsens. Sollte sich dies bewahrheiten, dürfte dies festverzinslichen Anlagen, sowohl bei Zinsen als auch bei Krediten, soliden fundamentalen Rückenwind geben.
In Europa stellt sich die Debatte differenzierter dar. Anfang Juni nahm die Europäische Zentralbank die erste Zinssenkung vor, obwohl EZB-Präsidentin Lagarde betonte, dass künftige Schritte datenabhängig erfolgen würden. Zwar haben sich die Erwartungen für das Wirtschaftswachstum seit Jahresbeginn verbessert und das Verbrauchervertrauen ist erkennbar gestiegen. Dennoch erschweren die jüngsten politischen (und anhaltenden geopolitischen) Turbulenzen die Prognose der weiteren Entwicklungen zusätzlich.
Die Fundamentaldaten der Unternehmen erscheinen laut Robeco insgesamt solide. Im Investment Grade-Bereich hat die ausgeprägte langfristige Refinanzierung von Anleihen zu sehr niedrigen Zinsen nach der Corona-Krise viele Schuldner eindeutig vor steigenden Zinsen bewahrt. Der Verschuldungsgrad der Unternehmen sowohl im Investment Grade-Segment als auch im High-Yield-Bereich hat sich gegenüber den jüngsten Tiefstständen zwar etwas erhöht, scheine aber kaum Anlass zur Sorge zu geben. Die Zinsdeckungsquoten sind ebenfalls zurückgegangen, befinden sich aber immer «noch auf einem gesunden Niveau». Insgesamt blieben die Margen und die Liquidität robust.
Die Ausfallquoten bei Hochzinsanleihen haben in den letzten Quartalen zwar zugenommen, bleiben aber relativ niedrig. Das Volumen der anstehenden Fälligkeiten bei Hochzinsanleihen scheint zumindest für den Rest dieses Jahres und das kommende Jahr überschaubar. Die gestiegenen Fremdkapitalkosten könnten sich für einige Schuldner als schmerzhaft erweisen, könnten aber auch einen starken Anreiz zum Abbau von Schulden darstellen.
Ein Blick auf die 20-jährige Geschichte zeigt, dass die Spreads von US-Investment Grade-Anleihen derzeit sehr knapp bemessen sind. Dies gilt insbesondere für Industrieanleihen, deren Spreads sich derzeit etwa im 4. Perzentil ihrer historischen Werte befinden. Im Euroraum erscheinen die Bewertungen im Vergleich dazu nicht ganz so hoch. Dort bewegen sich die Spreads in Bezug auf denselben Zeitraum um das 50. Perzentil herum. In beiden Fällen scheinen Anleihen von Emittenten aus dem Finanzsektor laut dem Experten einen höheren relativen Wert als Nicht-Finanztitel zu bieten.
Ein ähnliches Bild ergebe sich bei den Hochzinsanleihen. Der US-Markt erscheine im Vergleich zum EU-Markt teuer. Allerdings sei es schwierig, bei einem Spread-Niveau von etwa der 23. Perzentile, einen überzeugenden Wert des EU-Marktes für sich genommen zu erkennen. Eine bemerkenswerte Ausnahme sei das Rating-Segment CCC, in dem sich die stärker unter Druck stehenden Emittenten befinden. Einen Grossteil davon wird als «Phantomrendite/-spread» bezeichnet, da es unwahrscheinlich sei, dass sie realisiert wird.
Im letzten Quartal 2023 schien das Kreditwesen die Aussicht auf beträchtliche Zinssenkungen im Laufe des Jahres 2024 und darüber hinaus zu begrüssen. Gleichzeitig schwächten sich zeitweilige Befürchtungen einer Rezession ab. Der entscheidende Faktor des laufenden Jahres sei dagegen die Rücknahme dieser Erwartungen, sowohl was den Zeitpunkt als auch das Ausmass der geldpolitischen Lockerung angeht.
Es möge daher widersinnig erscheinen, dass sich die Creditspreads weiter eingeengt haben, während die Wahrscheinlichkeit von «higher for longer» Zinssätze gestiegen sei. «Warum also ist die Kredit-Nachfrage weiterhin so stark – trotz engeren Spreads und einem Überangebot? Die Antwort liegt in der Gesamtrendite, wobei die Spreads für viele Anleger von untergeordneter Bedeutung sein dürften», erläutert Bus.
Wie bereits dargelegt, erscheinen die Credit-Spreads auf dem derzeitigen Niveau alles andere als günstig. «Betrachtet man jedoch die Gesamtrenditen, ergibt sich ein anderes Bild. Rückblickend auf die letzten zehn Jahre liegen die Renditen der meisten globalen Credits derzeit im >80 Prozent-Perzentil ihrer historischen Werte.»
Man müsse zwar die technischen Gegebenheiten am Markt verstehen und berücksichtigen, doch die Erfahrung zeige auch, dass sie sich sehr schnell ändern können. Ein unausgewogenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage könne dazu führen, dass die Spreads viel teurer oder günstiger gehandelt werden, als es die Fundamentaldaten sonst nahelegen würden. Dieser Zustand könne über lange Zeiträume anhalten.