22.11.2024, 13:09 Uhr
Die Kerninflation in Japan lag im Oktober bei 2,3 Prozent, das ist etwas weniger als noch im September. Aber minimal mehr als erwartet worden war.
China und USA auf Kollisionskurs, die Eurozone mit schleppender Wirtschaftstätigkeit, und angesichts der schwachen Dynamik allgemein wenig Handlungsspielraum in der Weltwirtschaft, um exogene Schocks zu absorbieren: Marc-Antoine Collard von Rothschild & Co Asset Management analysiert die zunehmend risikobehafteten Entwicklungen.
Die Dynamik der Weltwirtschaft blieb auch im ersten Halbjahr 2019 schwach, wie die Bewegungen an den Obligationen- und Devisenmärkten zeigen. Die Renditen fielen auf historische Tiefststände und der US-Dollar – eine antizyklische Währung – blieb auf dem höchsten Niveau seit Anfang der 2000er-Jahre. "Gleichzeitig weitete sich die Divergenz zur Börse stark aus, da Aktienanleger schlechte Konjunkturmeldungen als gute Nachrichten interpretiert haben. Denn diese Meldungen halten die Fed und andere Zentralbanken von einer Straffung der Geldpolitik ab, was wiederum den Konjunkturzyklus verlängert. Dieses 'Goldilock'-ähnliche Szenario ist jedoch höchst ungewiss", folgert Marc-Antoine Collard Chief Economist, Director of Economic Research bei Rothschild & Co Asset Management.
Die jüngste Ankündigung von Präsident Trump, dass die US-Regierung am 1. September Zölle in Höhe von 10 Prozent auf die verbleibenden Importe aus China mit einem Wert von 300 Mrd. US-Dollar erheben wird, hat den Handelskrieg zwischen den beiden grössten Volkswirtschaften der Welt erneut angefacht und die geopolitische Unsicherheit noch verschärft. Mittlerweile hat die amerikanische Regierung bekanntgegeben, die Einführung gewisser Zölle auf chinesische Produkte (Mobiltelefone, Laptops, Bildschirme, bestimmtes Spielzeug, gewisse Schuhe und Kleider) bis am 15. Dezember 2019 hinauszuzögern. "Tatsächlich operiert die Weltwirtschaft auf unbekanntem Terrain, getrieben von einer US-Politik, die das regelbasierte System des internationalen Handels bedroht" sagt Collard. Dieses Welthandelssystem besteht seit der Unterzeichnung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) im Jahr 1947, das 1995 in die Welthandelsorganisation (WTO) mündete.
China reagierte auf die Androhung von Zollerhöhungen, indem es staatlichen Unternehmen untersagte, US-Agrarprodukte einzuführen und seine Währung zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt auf mehr als 7 Yuan pro Dollar steigen liess. Eine schwächere Währung würde zwar dazu beitragen, die Auswirkungen höherer Zölle auf chinesische Waren auszugleichen, ein unkontrollierter Rückgang ist laut dem Experten jedoch nicht ohne Risiko. Tatsächlich führte die Abwertung Mitte 2015 zu Portfolioabflüssen, die eine strengere Kapitalkontrolle und den massiven Einsatz von Devisenreserven erforderten, um die globalen Märkte zu stabilisieren. Die jüngste Abwertung löste auch weitere Vergeltungsmassnahmen der Trump-Regierung aus, die China als Währungsmanipulator bezeichnete. Darüber hinaus wird Chinas Entscheidung die Zentralbanken der meisten Schwellenländer in die Defensive treiben und Lockerungen ihrer Geldpolitik behindern, da eine Zinssenkung in diesem Umfeld den Abwärtsdruck auf die Währungen erhöhen würde.
"Eine Vorhersage und Quantifizierung der gesamten wirtschaftlichen Folgen einer Eskalation der Handelsstreitigkeiten ist angesichts der grossen Komplexität und Vernetzung der Wertschöpfungsketten kompliziert", findet der Chefökonom. Die Einführung von Zollschranken erhöhe die Unsicherheit, was das globale Wachstum zweifellos beeinträchtige. "Dabei spielt das sinkende Vertrauen der Unternehmen eine zentrale Rolle bei der Ausbreitung dieses Schocks, und die meisten Marktanalysten waren von der Breite und Tiefe des Ausmasses überrascht", so Collard. Weltweit steht das verarbeitende Gewerbe zu Beginn des dritten Quartals 2019 weiterhin auf einem schwachen Fundament: Der Markit-Index fiel im Juli auf 49,3, den niedrigsten Stand seit Oktober 2012, und signalisierte im dritten Monat in Folge einen Rückgang. Bislang gab es nur begrenzte Auswirkungen auf Dienstleistungen und Arbeitsmärkte. "Da die Produktions- und Dienstleistungssektoren jedoch nicht isoliert arbeiten, ist es unwahrscheinlich, dass die Entwicklungen auf unbestimmte Zeit entkoppelt bleiben", meint Collard.
Da der sogenannte "Stall Speed" der Weltwirtschaft auf rund 3 Prozent geschätzt wird - also nahezu das derzeitige Niveau - biete die schwache Entwicklung der letzten Quartale wenig Handlungsspielraum, um exogene Schocks zu absorbieren. In China verlangsamte sich das BIP-Wachstum angesichts der schwachen Inlands- und Exportnachfrage und erreichte im zweiten Quartal 2019 6,2 Prozent gegenüber 6,4 Prozent im ersten Quartal – der niedrigste Stand seit 1992. Obwohl sich die Stimuli der Kredit- und Steuerausgaben verstärkt haben, hat sich das Wirtschaftswachstum noch nicht erholt. Marktteilnehmer erwarten, dass die Behörden die Kürzungen der Mindestreservequote (RRR) der Banken rechtzeitig nutzen. Allerdings werden bis Ende 2019 zwei weitere RRR-Reduktionen von 50 Basispunkten erwartet. "Die Risiken für die Finanzstabilität sind aufgrund der bereits stark verschuldeten Unternehmen immens und der Handlungsspielraum des chinesischen Staats ist höchstwahrscheinlich begrenzt", denkt Collard.
In der Eurozone hat sich die Wirtschaftstätigkeit im zweiten Quartal 2019 auf 0,2 Prozent halbiert. Bei einem Wachstum unter den Erwartungen riskiert die EZB, sich weiter von ihren Zielen zu entfernen. Ohne Lebensmittel und Energie sank die Inflation in der Tat wieder unter 1 Prozent, obwohl die Arbeitslosigkeit im Juni mit 7,5 Prozent ein 11-Jahres-Tief erreichte. Dementsprechend wird erwartet, dass die EZB auf ihrer Sitzung am 12. September ein Massnahmenpaket schnürt, das eine Senkung des Einlagensatzes um 10 Basispunkte (auf -0,5 Prozent) beinhalten könnte. Dabei könnte laut dem Experten allerdings ein Stufensystem eingeführt werden, um mögliche negative Auswirkungen auf die Banken zu mildern. Der EZB-Rat könnte auch eine Wiederaufnahme des Wertpapierkaufprogramms andeuten. Allerdings bleibe abzuwarten, welche Auswirkungen diese Massnahmen auf das zukünftige Wirtschaftswachstum haben.
Wie allgemein erwartet, senkte die Fed ihren Zinssatz um 25 Basispunkte auf 2,25 Prozent. Sie unterstrich damit ihre Einschätzung, dass die US-Wirtschaft eine solide Wachstumsdynamik aufweist und der Arbeitsmarkt 'stark‘ sei. Die Zinssenkung wurde jedoch als vorbeugende Massnahme begründet, um die Wirtschaft vor einer Wachstumsverlangsamung in China und Europa sowie vor Unsicherheit über Handelsspannungen und Geopolitik zu schützen. Beides wird voraussichtlich noch länger bestehen bleiben. Tatsächlich scheinen sich China und die USA auf Kollisionskurs zu befinden, ohne dass eine einfache Lösung in Sicht ist. "Diese Spannung könnte auf andere Politikbereiche übergreifen und gefährliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben", befürchtet Collard. Unterdessen ist zudem die Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit-Szenarios in jüngster Zeit sprunghaft gestiegen, da der neu gewählte britische Premierminister Boris Johnson angekündigt hat, die EU bis zum 31. Oktober zu verlassen, komme, was wolle – auch wenn dies bedeutet, ohne ein Abkommen zu gehen.
Während der Pressekonferenz beschrieb der Vorsitzende der Fed, Jerome Powell, die Entscheidung als Anpassung der Geldpolitik auf mittlere Sicht – eine Absicherung, die das Risikomanagement erleichtert – im Gegensatz zu einem langwierigen Zinssenkungszyklus. Die Risiken für die Weltwirtschaft liessen auf ein niedrigeres Wachstum als erwartet schliessen, was die Fed zu aggressiveren Zinssenkungen zwingen würde, als sie es vorsieht. "Sind das wirklich gute Nachrichten", fragt Collard rhetorisch.