22.11.2024, 13:09 Uhr
Die Kerninflation in Japan lag im Oktober bei 2,3 Prozent, das ist etwas weniger als noch im September. Aber minimal mehr als erwartet worden war.
Seit April 2011 hat die EZB die Zinsen nicht mehr erhöht. Nun sind die Klimadebatte und der digitale Wandel auf die Agenda gerückt. Zeit, Bilanz zu ziehen und eine in die Jahre gekommene Institution zu modernisieren, meint Paul Diggle von Aberdeen Standard Investments.
In diesem Monat jährt sich die letzte Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) zum zehnten Mal. Damals wütete die Schuldenkrise und Portugal stand kurz davor, als letztes Land ein Hilfspaket zu beantragen. Dies hielt den damaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet aber nicht davon ab, den Leitzins auf 1,25% zu erhöhen, um einen fiktiven Inflationsdruck zu bekämpfen. Heute wird dies – zu Recht – als bedeutender politischer Fehltritt angesehen.
Die EZB hat ihre Lehren aus jener Zeit gezogen. So stellte Trichets Nachfolger Mario Draghi nach diesen bitteren Erfahrungen außerordentliche Unterstützung für die Wirtschaft bereit, was während der Schuldenkrise den Fortbestand der Eurozone sicherte. In ähnlicher Weise hielt die aktuelle Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, in der Zeit der Coronakrise die Anleihenrenditen niedrig und ermöglichte den Regierungen in Europa, massive fiskalpolitische Hilfspakete zu schnüren, um die Folgen der Krise abzumildern.
Paul Diggle, Senior Economist bei Aberdeen Standard Investments, ist der Meinung, dass die Lernkurve aber noch weitergehen müsse und zwar jetzt. Der EZB biete sich eine exzellente Chance, dies im Rahmen der strategischen Überprüfung ihrer Geldpolitik in den nächsten sechs Monaten zu tun.
So wäre es zum Beispiel angezeigt, bei der Definition des Inflationsziels mutiger zu sein, so der Experte. Die EZB solle es klarer, eindeutiger formulieren als ihr aktuelles recht schwammiges Ziel von "unter, aber nahe 2%". Die Uneindeutigkeit der bisherigen Formulierung führe im EZB-Rat zu Uneinigkeit darüber, was die EZB nun wirklich erreichen wolle, anstatt die Diskussion auf die so drängende Frage zu lenken, wie ihr dies am besten gelingen könne. Schliesslich könne "unter, aber nahe 2%" für das eine EZB-Ratsmitglied 1,6%, für ein anderes dagegen 1,9% bedeuten.
Der aktuelle Wortlaut höhle zudem das eigentliche Ziel aus. Die Aussage klinge so, als würde die Zentralbank es eher vorziehen, dass die Inflation unter 2% liegt, eine Inflation über 2% aber nicht wirklich tolerieren wolle. Wenn man ein Inflationsziel festlegt, sollten dadurch die Erwartungen verankert werden, aber nicht die Aussicht untergraben werden, dass das Ziel auch erreicht wird.
Die US-Notenbank (Fed) könnte als Inspiration für die EZB dienen. Laut dem Ökonomen von Aberdeen Standard Investments solle die EZB eher eine durchschnittliche Inflation anstreben, wie es die Fed macht. Phasen mit einer Inflation unter 2% könnten dann durch Phasen mit einer Inflation über 2% ausgeglichen werden – so würde die Inflation im Durchschnitt bei 2% liegen. Mit einer solchen Vorgabe hätten zum Beispiel die Zinserhöhungen durch Trichet im Jahr 2011 wahrscheinlich verhindert werden können. Ein solcher Ansatz würde aktuell auch sicherstellen, dass sich die Wirtschaft von der Pandemie weiter erholen kann.
In Zeiten des Klimawandels dürften auf die europäische Zentralbank aber auch weitere Aufgaben zukommen. Laut Diggle solle die EZB die Geldpolitik dazu nutzen, den Übergang zu sauberen Energien voranzutreiben. Der Klimawandel sei für die Geldpolitik insofern unmittelbar von Bedeutung, als er zu einer stärkeren Teuerung von Energiepreisen und einem geringeren Wirtschaftswachstum führen könne, was wiederum Einfluss darauf haben würde, wie hoch das angemessene Zinsniveau wäre. Ausserdem sei der Klimawandel mit der Stabilität des Finanzwesens eng verbunden. Die mit dem Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft verbundenen Risiken würden massive Auswirkungen auf Versicherungsverbindlichkeiten, den fairen Wert von Unternehmen und die Finanzmärkte allgemein haben.
Das alleine würde aber nicht ausreichen. Als wichtige Institution sollte die EZB auch bei weitreichenden Massnahmen gegen den Klimawandel eine wichtige Rolle spielen. So ist Diggle der Ansicht, dass die EZB bei ihren Prognosen ausdrücklich alternative Klimaszenarien berücksichtigen und einfliessen lassen müsse. Dies würde auch den letzten Skeptikern klarmachen, dass der Klimawandel für die Konjunkturaussichten bedeutsam sei. Falls sie einen drastischeren Ansatz wählen wolle, solle sie auch in ihrer Bilanz den Fokus stärker auf den Klimaschutz legen. Würde sie die Anleihen "grünerer" Unternehmen bei ihren Wertpapierkäufen bevorzugen, könnte sie die Finanzierungskosten für umweltfreundlichere Unternehmen niedriger halten. In ihrer Funktion als Aufsichtsstelle für Banken solle die EZB abwägen, ob sie auf der Basis von Klimaaspekten unterschiedliche oder gestaffelte Kapitalanforderungen für das Kreditgeschäft von Banken anwenden wolle. Das würde bedeuten, dass Banken Kredite zur Umsetzung grüner Projekte mit weniger Kapital hinterlegen müssen als für andere Arten von Krediten. Auf diese Weise könnten grüne Investitionen gefördert werden.
Die Zukunft ist digital. Währungen sind daher nicht mehr nur physisch denkbar. Als oberster Währungshüter solle die EZB daher einen digitalen Euro ausgeben, sagt Diggle. Die Konsumenten würden Bargeld seltener, digitale Zahlungsmöglichkeiten häufiger nutzen, was durch die Pandemie noch beschleunigt wurde. Dass physisches Bargeld auf dem Rückzug sei, bedeute für die Konsumenten jedoch, dass sie den direkten Zugang zur Zentralbankbilanz verlieren würden. Von einem digitalen Euro würden die Menschen zweifach profitieren: von der Annehmlichkeit eines modernen Zahlungssystems und von der Sicherheit einer direkten Forderung gegenüber der Zentralbank.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang laut Diggle, dass die EZB als oberster Währungshüter – und nicht ein Privatunternehmen – das in Europa gebräuchliche Tauschmittel ausgibt. Sollte in der Zukunft eine stabilere Kryptowährung zum vorherrschenden digitalen Zahlungssystem avancieren, würde die EZB für dieses Geld weder den Leitzins festlegen noch die Inflation beeinflussen können. Konkurrierende digitale Währungen sind eine existenzielles Risiko für die Geldpolitik selbst. Ein digitaler Euro würde gewährleisten, dass die EZB die geldpolitische Souveränität bewahren und weiterhin ihren Aufgaben nachkommen könne.
"Während der Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren goss die EZB mit ihrer unbegründeten Inflationsangst Öl ins Feuer. Bei den politischen Entscheidungsträgern hat mittlerweile ein Umdenken stattgefunden, sodass der Fehler einer zu frühen Straffung der Geldpolitik nicht mehr wiederholt werden dürfte. Heute drohen jedoch andere Risiken. Es könnte nämlich passieren, dass sie bei der Neuformulierung ihrer Rolle für die heutige Zeit nicht entschlossen und energisch genug handelt. Der EZB bietet sich eine grossartige Chance bei der anstehenden Überprüfung ihrer Geldpolitik. Sie sollte sie nicht verspielen", kommentiert Diggle.