06.12.2024, 12:01 Uhr
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Durch digitale Zentralbankwährungen dürften die Zentralbanken Verbrauchern und Unternehmen näherkommen, meint Tomasz Wieladek von T. Rowe Price. Die Anleger an den Anleihe- und Devisenmärkten müssten aber verstehen, welche Folgen die mögliche Einführung dieser neuen Instrumente für den Umfang und die Wirkungsweise der Geldpolitik hat.
Digitale Zentralbankwährungen ( CBDCs) sind die nächste wichtige Weiterentwicklung des derzeitigen Zahlungssystems. "CBDCs werden nicht nur seit Langem bestehende Probleme des Fiatgeldsystems lösen und die finanzielle Inklusion vorantreiben, sondern auch dazu beitragen, das geldpolitische Instrumentarium der Zentralbanken zu erweitern. Dies könnte den Zentralbanken ermöglichen, die Wirtschaft anzukurbeln, indem sie direkte Transferzahlungen an Verbraucher und Unternehmen effizienter gestalten und die effektive Untergrenze für das Zinsniveau senken – was für Anleger an den Anleihe- und Devisenmärkten erhebliche Konsequenzen hätte", sagt Tomasz Wieladek, Internationaler Ökonom von T. Rowe Price.
Seit der globalen Finanzkrise bewegen sich die Leitzinsen in den G7-Ländern nahe ihrer effektiven Untergrenze (vgl. Abbildung). Die Zentralbanken haben darauf mit dem Einsatz alternativer geldpolitischer Instrumente reagiert, darunter die quantitative Lockerung (QE) und Liquiditätsmassnahmen mit dem Ziel, die Banken zu einer stärkeren Kreditvergabe zu bewegen.
Die Einführung digitaler Währungen könnte nach Wieladeks Ansicht den Zentralbanken ermöglichen, einige dieser Instrumente effektiver einzusetzen. Das Konzept, dass Zentralbanken bestimmte Bankdienstleistungen für Privatkunden anbieten, sei zwar nicht neu (bei der Bank of England konnten vom 19. bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch Privatkunden ein Konto unterhalten). Doch private Einlagenkonten seien von den Zentralbanken bisher nicht für geldpolitische Zwecke genutzt worden.
Dies würde sich durch die Einführung von CBDCs ändern, denn die Zentralbanken könnten dann in Krisenzeiten die Wirtschaft ankurbeln, indem sie innerhalb ihrer Bilanz direkte Transferzahlungen auf Privatkundenkonten vornehmen – ähnlich wie beim Konzept des "Helikoptergelds" (der Ausweitung der Geldmenge durch die Verteilung hoher Geldbeträge an die Bevölkerung). Dies lasse sich beispielsweise durch eine einmalige hohe Zinszahlung auf CBDC-Bestände realisieren, so der Ökonom.
Die jüngsten Anreizzahlungen der US-Regierung an Privathaushalte ähnelten diesem Verfahren in der Praxis; sie wurden jedoch nur durch einen beispiellosen parteiübergreifenden Konsens ermöglicht und ihre Umsetzung wurde durch operative Probleme verzögert. Aufgrund der Geschwindigkeits- und Effizienzvorteile digitaler Währungen könnten sich Gelder unverzüglich von einer Zentralbank auf CBDC-Konten privater Kunden überweisen lassen.
Wie Wieladek weiter ausführt, sind viele Zentralbanken dank ihrer Unabhängigkeit zudem besser in der Lage, schnell auf wirtschaftliche Schocks zu reagieren, und stehen unter geringerem politischen Druck. Zentralbanken könnten Konjunkturmassnahmen auch schnell zurückschrauben, falls diese neuen Instrumente dazu führen, dass das Inflationsziel deutlich überschritten wird.
Ein weiterer Vorteil von CBDCs sei, dass Zentralbanken auch gezielte Transferzahlungen vornehmen könnten, um bestimmte Wirtschaftszweige während einer Krise zu unterstützen. Beispielsweise könnten sie Gelder auf CBDC-Konten von Dienstleistern mit starkem Kundenkontakt überweisen, die von der Coronavirus-Pandemie besonders betroffen sind.
Im Rahmen der Bilanz einer Zentralbank Geld zu drucken und zu verteilen, dürfte politisch umstritten sein. Doch eine unabhängige Zentralbank hat laut Wieladek mindestens drei Möglichkeiten, Transferzahlungen an Kontoinhaber zu leisten, ohne neues Geld zu schaffen:
"Wir schätzen die Konjunkturwirkung dieser Massnahmen auf 0,5% bis 1,5% des Bruttoinlandsprodukts, was ausreichen würde, um kleinen bis mittleren Rezessionen entgegenzuwirken", sagt der Ökonom. "Diese Transferzahlungen werden die Nachfrage jedoch nicht ankurbeln, wenn die Haushalte und Unternehmen die erhaltenen Gelder sparen, statt sie auszugeben. Da sich die Merkmale von digitalen Währungen programmieren lassen, könnten die Zentralbanken auch bestimmte Bedingungen für CBDCs festlegen, etwa einen negativen Zinssatz oder ein Verfallsdatum für überwiesene Gelder, um private Empfänger zu raschen Konsum- und Investitionsentscheidungen zu bewegen", erläutert er weiter.
Dass die Zentralbanken bei ihrer Geldpolitik in den letzten zehn Jahren so stark auf QE gesetzt haben, liege vor allem daran, dass für das Zinsniveau eine effektive Untergrenze existiert, die in vielen Ländern bei null liegt. Einige Länder haben den Einlagesatz zwar auf ein Niveau von unter null reduziert. Doch aufgrund der Besorgnis, den sogenannten Umkehrzins (Reversal Rate) zu erreichen, ab dem sich weitere Leitzinssenkungen als kontraproduktiv erweisen, wurden die Zinsen bisher nur geringfügig in den negativen Bereich gesenkt.
In modernen Bankensystemen wird der Grossteil der Reserven, die mit dem Leitzins vergütet werden, von Banken gehalten. "Ist das Bankensystem bereits in schwacher Verfassung, sodass Negativzinsen kaum an die Kunden weitergegeben werden, dürften weitere Leitzinssenkungen die Nettozinsmarge und die Rentabilität der Banken verringern. Werden die Zinsen zu stark in den negativen Bereich gesenkt, könnten die Banken daher versuchen, ihre Rentabilität zu sichern, indem sie die Kreditzinsen erhöhen. Ein Anstieg der Kreditzinsen als Reaktion auf eine expansive Geldpolitik wäre im Hinblick auf eine Belebung der Gesamtnachfrage höchst kontraproduktiv", meint Wieladek.
Die Erfahrungen der Europäischen Zentralbank (EZB) mit ihrer Negativzinspolitik verdeutlichten diese Problematik: Als die EZB ihren Einlagesatz Anfang 2016 auf -0,40% senkte, stiegen die Zinsen für Hypothekendarlehen in Frankreich und Deutschland zunächst an. Sie verringerten sich erst wieder, als die EZB begann, den Banken über ihr Programm für gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO) Kredite zum negativen Einlagesatz zu gewähren und damit den Druck auf die Gewinnmargen der Banken auszugleichen. CBDCs könnten nach Meinung des Experten dazu beitragen, den Umkehrzins des Bankensystems – und somit die effektive Untergrenze für die Leitzinsen – zu senken, indem sie privaten Haushalten einen direkten Zugang zur Bilanz der Zentralbank verschaffen.
Der Druck auf die Gewinnmargen der Banken, der durch negative oder niedrige Zinsen entsteht, wäre geringer, wenn die Banken weniger Reserven halten müssten. "Der Hauptgrund für den hohen Bestand an Reserven im heutigen Bankensystem ist, dass die Wertpapierkäufe der Zentralbank durch einen entsprechenden Betrag an Reserven finanziert werden müssen. Würden die Zentralbanken ihre Wertpapierkäufe stattdessen durch die direkte Ausgabe von CBDCs an Privatkunden finanzieren, müssten sie geringere Reserven halten, was wiederum den Druck auf die Gewinnmargen privater Banken reduzieren würde", erklärt Wieladek.
Banken mit solideren Bilanzen seien zudem besser in der Lage, die Kosten der Negativzinspolitik zu verkraften. Mittelfristig könnte die Einführung von CBDCs die Widerstandsfähigkeit der Banken stärken. Aufgrund ihres hohen Bestands an Einlagen von Privatkunden seien Geschäftsbanken gegenwärtig derart systemrelevant, dass ihre Insolvenz nicht akzeptabel wäre. Die Verlagerung eines erheblichen Teils dieser Einlagen in die Bilanzen der Zentralbanken dürfte die Systemrelevanz der Geschäftsbanken verringern.
"Wenn sich ihre Relevanz für das Finanzsystem verringert, könnten die Geschäftsbanken künftig nicht mehr auf eine implizite staatliche Unterstützung zählen. Damit würden sich ihre Fremdkapitalkosten erhöhen, der Disziplinierungsdruck seitens der Investoren würde zunehmen und wahrscheinlich würden die Finanzmärkte von den Banken verlangen, ihre Aktiva durch höhere Eigenmittel zu decken", folgert Wieladek. Dies dürfte die Banken widerstandsfähiger gegen wirtschaftliche Schocks machen, die ihre Ertragsströme belasten, beispielsweise negative Zinsen auf ihre Reserveguthaben bei der Zentralbank. Dieser Prozess der Einlagenumschichtung von Geschäfts- zu Zentralbanken müsste langsam ablaufen und sorgfältig gesteuert werden, um unbeabsichtigte Auswirkungen auf die Stabilität des Finanzsystems zu vermeiden. "Wir denken jedoch, dass die Entwicklung in diese Richtung geht, auch wenn dieser Prozess Jahre dauern wird", sagt der Ökonom von T. Rowe Price.
Die vorstehend erläuterten Argumente beruhen auf der Annahme, dass die privaten Haushalte und Unternehmen bereit wären, CBDCs zu halten. Private Banken werden wahrscheinlich eine höhere Verzinsung bieten können als CBDCs – nicht nur aufgrund ihres Bedarfs an Kundeneinlagen, sondern auch, weil sie in der Lage sind, risikoreichere (und somit renditestärkere) Kredite zu vergeben. Für Unternehmen und Privathaushalte müssten daher Anreize geschaffen werden, CBDCs zu halten.
Da das Halten grosser Geldbeträge bei der Zentralbank im Vergleich zum begrenzten Schutz durch Einlagensicherungssysteme ein höheres Mass an Sicherheit bietet, bestünde für Unternehmen ein erheblicher Anreiz, sich für digitales Zentralbankgeld zu entscheiden. Für private Haushalte müssten CBDCs jedoch Vorteile bieten, die den Nachteil der niedrigeren Verzinsung ausgleichen, beispielsweise eine grössere Sicherheit und geringere Transaktionskosten. Insbesondere viele kleinere Unternehmen im Einzelhandel werden möglicherweise nur geringfügige Transaktionen in CBDCs akzeptieren, da eine Transaktion unwirtschaftlich werden könnte, wenn sie im teureren Zahlungsnetzwerk des Einzelhandels erfolgt.
"Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Unternehmen und Privathaushalte negativ verzinste CBDC-Guthaben wahrscheinlich akzeptieren würden, solange sie einige Merkmale aufweisen, die ihre Nutzung im Vergleich zu normalen Bankkonten komfortabler macht. Die Höhe dieser 'Komfortrendite' wird letztlich darüber entscheiden, in welchem Umfang CBDCs dazu beitragen können, den Umkehrzins und somit die effektive Untergrenze der Leitzinsen zu senken", sagt Wieladek.
Für eine Zentralbank werde die Existenz von CBDCs in ihrer Bilanz auch erhebliche Auswirkungen auf den Umfang ihrer Aktiva haben. CBDCs stellen eine Verbindlichkeit gegenüber der breiten Öffentlichkeit dar, sodass die Zentralbank einen entsprechenden Gegenposten auf der Aktivseite ihrer Bilanz halten muss. Da die CBDC-Verbindlichkeiten voraussichtlich einen erheblichen Umfang haben werden, werde die Zentralbank die Aktivseite ihrer Bilanz dauerhaft ausweiten müssen.
Als Vermögenswert, den die Zentralbank als Gegenposten für CBDCs halten kann, bieten sich natürlich Staatsanleihen an, die in Industrieländern als risikofrei gelten. Da die Zentralbank stets in gewissem Umfang an den Staatsanleihemärkten aktiv sein wird, kann laut Wieladek die Möglichkeit einer verstärkten quantitativen Lockerung nie völlig aus den Kursen herausgepreist werden. Daher könnte die Einführung von CBDCs indirekt zu einer dauerhaften Senkung der Laufzeitprämien beitragen.
Unabhängig davon, für welchen geldpolitischen Kurs sich die Zentralbanken mithilfe von CBDCs entscheiden – und dieser Artikel biete in dieser Hinsicht nur einen kurzen Überblick –, ist nach Meinung Wieladeks eines offensichtlich: "Die Anleger an den Anleihe- und Devisenmärkten müssen verstehen, welche Folgen die mögliche Einführung dieser neuen Instrumente für den Umfang und die Wirkungsweise der Geldpolitik hat. Bei einem Rückgang der Umkehrzinsen werden die Zentralbanken glaubwürdiger sein, wenn sie eine Senkung der Leitzinsen in Aussicht stellen, was die betreffenden Währungen belasten wird. Andererseits könnte die problemlose Bereitstellung von 'Helikoptergeld' auch zur Folge haben, dass die Renditekurven in einer Rezession zu einem früheren Zeitpunkt steiler werden als in der Vergangenheit. Und schliesslich dürfte der dauerhaft grössere Bestand an Staatsanleihen, den die Zentralbanken als Gegenposten zu ihren CBDC-Verbindlichkeiten halten müssen, die Laufzeitprämien sinken lassen, sodass die langfristigen Zinsen unter sonst gleichen Bedingungen wahrscheinlich niedriger sein werden."