15.06.2023, 18:27 Uhr
Wie gefährlich ist die globale Verschuldung, getrieben von wachsenden Staatsdefiziten, während gleichzeitig die Zinsen steigen? Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank, ist gegen Alarmismus und mahnt zu...
Die Theorie ist einfach: Floriert die Wirtschaft, laufen die Börsen gut, besonders am Anfang des konjunkturellen Zyklus. Bricht die Wirtschaft ein, geben die Notenbanken mit sinkenden Zinsen Gegensteuer. Auch das gefällt den Börsen. So funktioniert es seit Jahren. Doch wie lange noch? Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank, warnt vor Überheblichkeit.
Noch halten sich die Aktienmärkte an den Fahrplan, "aber die Zinsen haben sich von der wirtschaftlichen Realität abgekoppelt", warnt der Chef des Investment Centers der der St. Galler Kantonalbank. Weiterhin unternehmen die Notenbanken alles, um die Zinsen niedrig zu halten, obschon sich die Wirtschaft rascher und stärker von der Corona-Pandemie erholt hat als erwartet.
Das beobachtet Thomas Stucki, der als früherer Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank die Mechanismen der Notenbanken aus eigener Erfahrung kennt, mit wachsender Skepsis. "Während der langen Wachstumsphase zwischen 2009 und 2019 haben es die EZB und die SNB verpasst, ihre Geldpolitik restriktiver zu gestalten. Die Fed hat Zinsen nach langem Zögern etwas erhöht. Beim ersten Gegenwind im Frühjahr 2020, der zugegebenermassen eine scharfe Böe war, hat sie jedoch sämtliche Zinserhöhung der Jahre zuvor mit einem Schlag wieder rückgängig gemacht", betont er in der jüngsten Ausgabe seiner wöchentlichen "Investment Views".
Die fortgesetzt ultra-lockere Geldpolitik der Notenbanken bereitet ihm Unbehagen. Auch jetzt täten sich die Zentralbanken schwer, den Fuss vom geldpolitischen Gaspedal zu nehmen, "obschon die steigenden Inflationsraten ein Hinweis darauf sind, dass die Geldimpulse und die staatlichen Hilfsprogramme während der Pandemie vielleicht zu viel des Guten gewesen sein könnten."
Weil die Zinsen trotz starkem Wirtschaftswachstum und sinkender Arbeitslosigkeit nicht steigen, fehle den Aktienmärkten ein wichtiges Warnsignal. Das Gegenteil sei der Fall. Die Investoren vertrauten immer stärker darauf, dass die Zentralbanken sie nicht im Stich lassen und ihnen bei Gefahr zur Seite stehen.
Der Swiss Performance Index hat sich seit 2009 vervierfacht. Rückschläge gab es zwar, doch sie dauerten nur kurz. "Ein rechter Teil der
Kursanstiege erklärt sich durch höhere Gewinne der Unternehmen, sehr viel aber durch höhere Bewertungen und durch Umschichtungen aus Obligationen auf der Suche nach Rendite. Wenn Aussagen die Runde machen, dass Aktien mit hohen Dividenden ein Ersatz für die fehlenden Zinsen von Obligationen sind, läuten die Alarmglocken", findet Stucki. Eine solch unkritische Haltung gegenüber den Risiken der Aktienmärkte sei gefährlich.
Dass die niedrigen Zinsen ein starker Treiber für die Aktien sind, lasse sich heute gut beobachten. Die Angst vor einer restriktiveren Geldpolitik der Fed und vor höheren Zinsen beunruhige die Anleger. Unter den Erwartungen ausfallende Daten aus der US-Wirtschaft würden an den Aktienmärkten deshalb als positive Nachricht aufgenommen, "was eigentlich absurd ist", hält der erfahrene Marktkenner, der schon mehrere Börsenzyklen erlebt hat, unmissverständlich fest.
Schlechte Nachrichten liessen die Hoffnung spriessen, dass die Fed die Reduktion ihrer Anleihenkäufe und vor allem Zinserhöhungen weiter in die Ferne schiebt. "Die Folge sind noch höhere Aktienkurse und noch höhere Bewertungen."
Auf Dauer kann dieses Spiel nicht aufgehen, warnt der Anlagechef der St. Galler KB. Die Fed und auch die anderen Zentralbanken täten gut daran, mit einer restriktiveren Geldpolitik nicht lange zuzuwarten, wenn sich die Wirtschaft weiter erholt. Und auch für die Investoren hat er einen Rat parat: "Die Anleger sollten wieder mehr Respekt vor höheren Zinsen bekommen."
Die Börse, auch wenn der Eindruck seit Monaten, wenn nicht seit Jahren, ein anderer ist, ist kein Selbstläufer.