17.05.2023, 11:31 Uhr
Der Verwaltungsrat der St.Galler Kantonalbank schlägt der Generalversammlung vom 1. Mai 2024 Cornelia Stengel als neues Mitglied des Verwaltungsrats vor. Damit wäre die Rechtsanwältin die dritte Frau im Gremium,...
Wie gefährlich ist die globale Verschuldung, getrieben von wachsenden Staatsdefiziten, während gleichzeitig die Zinsen steigen? Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank, ist gegen Alarmismus und mahnt zu differenzierter Betrachtung. Entschärfung erwartet er vom wirtschaftlichen Wachstum, das sich im zweiten Halbjahr erholen werde – ein positiver Aspekt auch für den Aktienmarkt.
Seit der Finanzkrise 2008 hat die Schuldenquote vieler Länder hat die Marke von 100% des Bruttoinlandprodukts (BIP) überschritten und Rekorde erreicht. Nullzinsen führten dazu, dass sich Regierungen praktisch gratis finanzieren und ohne unmittelbare Folgen Defizite anhäufen konnten. Mit der Zinswende ist dieses vermeintliche Paradies verschwunden, die Schulden jedoch sind geblieben. Was folgt daraus?
Zunächst gilt es die Musterschüler hervorzuheben, die sich der massiven Höherverschuldung entzogen haben. Das sind laut Chief Investment Officer (CIO) Thomas Stucki von der St. Galler Kantonalbank die Schweiz und Deutschland, wie er am halbjährlichen Medienanlass zu Wirtschaft und Märkte der Bank erklärt. Wobei zu Deutschland anzufügen ist, dass die finanzielle Disziplin unter dem Druck sozialer Begehrlichkeiten und ökologischer und geostrategischer Veränderungen zuletzt immer mehr nachgelassen hat.
«Die Schweiz hat das Tiefzinsumfeld gut genutzt», konstatiert Stucki. Der Anteil ausstehender Staatsanleihen mit einer sehr langen Restlaufzeit sei in unserem Land hoch. Das bedeutet mit anderen Worten: Bis die höheren Zinsen voll auf den Staatshaushalt durchschlagen, dauert es länger als in anderen Ländern.
Auch Italien habe eine ausgewogene Verfallstruktur, erklärt Stucki. Das Gegenbeispiel sind die USA. Diese finanziere sich vergleichsweise kurzfristig, um bei den relativ grossen Ausgabenschwankungen des Landes flexibel zu bleiben. «Da werden die höheren Zinsen relativ rasch durchschlagen.»
Ausser der Verfallstruktur gehört zu Stuckis differenzierter Betrachtung die Frage nach den Gläubigern. Unter dieser Optik ergibt sich in den USA ein positives Bild: Nachdem lange Zeit China dominanter Besitzer von US-Staatsanleihen war und Amerika deshalb verletzlich schien, hat sich seine Abhängigkeit vom generell vom Ausland verringert. Inzwischen ist laut Stucki die US-Notenbank mit einem Anteil von 21% der grösste Halter von US-Treasuries. Die USA hätten heute zwar mehr Schulden, «aber eine verlässlichere Finanzierungsstruktur», hält der CIO beruhigend fest.
Eine geringere Auslandabhängigkeit gilt auch für Europa. «Die Zentralbanken haben die privaten Gläubiger verdrängt. Ausser in der Schweiz, wo die Nationalbank bei der staatlichen Finanzierung keine Rolle spielt und fast keine Staatspapiere hält. Aus Emission ist es ihr nicht erlaubt, und am Sekundärmarkt ist sie kaum aktiv.
Sonst jedoch sind die Zentralbanken fast überall zum wichtigsten Akteur am Markt für Staatsanleihen geworden. Das widerspricht der monetären Lehre einer strengen Gewaltenteilung zwischen Staat und Notenbank. Es hat aber den Vorteil, dass die Notenbanken langfristige Besitzer sind und Marktschwächen aussitzen können.
Alles in allem stellt Thomas Stucki fest: Die Länder sind relativ solide aufgestellt – jedenfalls die Industrienationen. Bei Engagements in Staatspapiere von Entwicklungsländern wäre er vorsichtig. «Wer in Staatsschulden investiert, soll sich nicht von hohen Zinsen locken lassen, sondern auf die Verlässlichkeit des Schuldners fokussieren.»
Die aktuellen Inflationsraten seien hoch genug, um das reale Schuldenwachstum zu begrenzen. Allerdings ist für Stucki eine Inflationierung der Schulden kein gangbarer Weg, wie er vielleicht Politiker vorschwebt. Die Kollateralschäden (soziale Ungleichheit und Unruhe, Arbeitslosigkeit etc.) wären zu gross.
Die Lösung sieht er im wirtschaftlichen Wachstum, und dafür seien die Chancen intakt. Der konjunkturelle Winter sei ausgeblieben, und fürs zweite Halbjahr zeichne sich eine Erholung ab. Um die Schuldenquote zu senken, seien keine Budgetüberschüsse nötig. Die Defizite müssten einfach längere Zeit geringer sein als das nominelle BIP-Wachstum. So könne die Schuldenquote unter Kontrolle bleiben. Ein Defizit unter 5% des BIP müsse das Ziel sein, sagt Stucki, und das realistisch. Anders als früher scheint ein Soft Landing den Notenbanken diesmal zu gelingen, auch wenn sie ihr Augenmerk weiterhin primär auf die Bekämpfung der Inflation richten.
Doch auch da macht die St. Galler KB Lichtblicke aus und nimmt einen abnehmenden Preisdruck wahr. In der Schweiz könnten einzig der Detailhandel und das Gastgewerbe noch Preiserhöhungen durchsetzen. In allen anderen Branchen flacht die Preisdynamik ab.
Auch im Ausland lässt der Teuerungsdruck nach. Die logische Konsequenz davon ist: «Das Ende der Leitzinserhöhungen rückt näher», betonen Stucki und Caroline Hilb Paraskevopoulos, die Leiterin Anlagestrategie und Analyse der Bank. Noch eine Zinserhöhung in den USA, eine im Euroraum (nach dem Schritt von diesem Donnerstag) und eine Zinsverteuerung um 0,5 Prozentpunkte der Schweizerischen Nationalbank in der kommenden Woche erwarten die beiden.
Das sich abzeichnende Ende des Zinsanstiegs rückt die strukturellen Probleme des Euros wieder in den Vordergrund. Die St. Galler KB rechnet deshalb mit einem weiteren Wertverlust der Gemeinschaftswährung gegenüber Franken und Dollar.
Positiv präsentiert sich die Situation derweil für Aktien. Auf die Aktienmärkte habe die Staatsverschuldung ohnehin nur geringen Einfluss, wendet Stucki ein. Caroline Hilb warnt davor, von den wenigen durch die Decke geschossenen US-Techaktien nicht auf den gesamten Markt zu schliessen. Von den wenigen Highflyern abgesehen seien die Bewertungen attraktiv.
«Sehr viele Unternehmen sehen positiv in die Zukunft und erwarten eine Aufhellung im zweiten Halbjahr», stellt sie fest. Potenzial sieht Hilb vor allem in den USA und in der Schweiz, während sie für Europa eher vorsichtig gestimmt ist. Selbst IT-Aktien kann sie längerfristig Positives abgewinnen: «Künstliche Intelligenz ist ein Megatrend und wird nicht verschwinden.»
In einem ausgewogenen Franken-Portfolio für Privatkunden hält die Bank 55% Aktien und 37% Obligationen. Auf Gold entfallen 5% und auf Liquidität 3%.