09.11.2024, 16:46 Uhr
Nach 13 Jahren tritt David Hunt als CEO von PGIM zurück. Sein Nachfolger war zuletzt Co-Leiter von Morgan Stanley Investment Management.
«Wir sind derzeit vorsichtig optimistisch in Bezug auf Staats- und Unternehmensanleihen», sagt Rochus Appert, Länderchef Schweiz von PGIM Investments im Interview. Er beobachtet hier einen Fokus auf tendenziell defensivere Anlageformen und auf Strategien, die sich an langfristigen Trends orientieren.
Wir stehen nahe an den Allzeithochs an den Börsen, gleichzeitig sinken die Zinsen und doch scheinen viele Anleger verunsichert. Wie schätzen Sie die aktuelle Marktlage ein, insbesondere im Hinblick auf mögliche Rezessionsrisiken?
Rochus Appert: Eine Rezession ist sicherlich noch nicht vom Tisch. Sie scheint immer noch möglich aber eher unwahrscheinlich. Unserer Einschätzung nach ist ein Soft Landing das wahrscheinlichste Szenario für die US-Wirtschaft. Die zentrale Frage ist derzeit vermutlich die nach den Folgen der US-Wahl, insbesondere hinsichtlich möglicher Zölle. Die Einführung auch nur einer der kolportierten Zölle - bis zu 60 Prozent auf Importe aus China, 10 Prozent auf alle Importe oder Ad-hoc-Zölle von 10 bis 200 Prozent auf eine Vielzahl von Produkten und Ländern – würde zum höchsten effektiven Zollsatz seit Jahrzehnten führen. Die Umsetzung aller drei Massnahmen würde den effektiven Zollsatz auf ein Niveau bringen, das seit dem Smoot-Hawley Act von 1930 nicht mehr erreicht wurde.
Mit welchen Konsequenzen?
Die Konsequenz wäre vermutlich ein kurzfristig negativer Wachstumsschock und ein Anstieg der Inflation. Die Frage der Zölle und deren Auswirkungen ist damit die Schlüsselvariable die bis mindestens 2025 der dominierende makroökonomische Treiber sein könnte.
Für Europa und insbesondere die EU bedeutet das nichts Gutes. Denn trotz des rasanten Wachstums der chinesischen Wirtschaft bleiben die USA der wichtigste Exportmarkt der EU. Da die EU bereits mit wirtschaftlichem Gegenwind konfrontiert ist, kommt die Aussicht auf erneute Handelsspannungen und höhere Zölle durch die USA zu einem besonders schwierigen Zeitpunkt. Sie wäre wahrscheinlich Grund für eine weitere Erosion der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und Gegenwind für das Wachstum.
Kommen wir zurück auf das Zinsumfeld. Wie ist PGIM als einer der grössten Anleihenmanager der Welt mit Blick auf Staats- und Unternehmensanleihen derzeit positioniert?
Wir sind derzeit vorsichtig optimistisch in Bezug auf Staats- und Unternehmensanleihen. Nachdem die Zinssätze ihren Höhepunkt erreicht haben, erwarten wir eine Phase stabiler oder niedrigerer Renditen, was die Aussichten für Anleihen unterstützt. Im Unternehmensanleihenbereich bleiben wir konstruktiv, achten jedoch auf die Risiken eines wirtschaftlichen Abschwungs und halten uns bei der Duration eher zurück. Gleichzeitig sehen wir in Unternehmensanleihen nach wie vor Chancen, insbesondere bei ausgewählten Sektoren und bonitätsstarken Emittenten. Wir erwarten, dass sich die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen zwischen 3,8 Prozent und 5,0 Prozent einpendeln, ohne in den Bereich der letzten Jahre zu fallen. Aus Sicht der Asset Allocation ist das Risiko-Rendite-Verhältnis deutlich ausgewogener als in der Vergangenheit.
In einem solch volatilen Marktumfeld suchen viele Anleger nach langfristiger Performance. Welche langfristigen Trends erachten Sie derzeit als besonders vielversprechend?
Die Schweiz ist nicht unbedingt ein Land der Hochrisiko-Investoren. Im aktuellen wirtschaftlichen und geopolitischen Umfeld hat sich diese Tendenz noch einmal verstärkt. Der Fokus liegt daher tendenziell auf defensiveren Anlageformen und auf Strategien, die sich an langfristigen Trends orientieren.
Nehmen wir etwa die rapide zunehmende Relevanz von Künstlicher Intelligenz (KI), die naturgemäss auf hohes Interesse seitens der Investoren stösst: Unabhängig von den konkreten Anwendungsformen ist heute schon klar, dass es für KI ein starkes und solides Fundament an Rechenleistung brauchen wird, das weit über das heutige Angebot hinausgeht. Unternehmen, die diese Rechenkapazität liefern können, und die dafür notwendigen Rechenzentren, werden also vermutlich zu den langfristigen Gewinnern zählen.
Datacenter sind eine Schlüsselkomponente der digitalen Infrastruktur und profitieren stark vom steigenden Datenaufkommen. Was macht diesen Bereich für Investoren attraktiv?
Rechenzentren sind als Investment äusserst attraktiv, da sie das physische Rückgrat der digitalen Infrastruktur bilden. Mit einem erwarteten jährlichen Wachstum von 30 Prozent bei der Datenerzeugung bis 2035, was einem Volumen von über 2.100 Zettabyte entspricht, steigt die weltweite Nachfrage nach Rechenzentren rapide an. Dieser zunehmende Bedarf trifft auf ein begrenztes Angebot, da der Bau von Rechenzentren mit erheblichen Herausforderungen verbunden ist – von der Suche nach geeigneten Standorten in städtischen Gebieten über die Sicherstellung einer stabilen Energieversorgung bis hin zur Einhaltung von ESG-Standards. Investitionen in diesen Bereich bieten daher eine einzigartige Gelegenheit, von diesem Wachstum zu profitieren, insbesondere im Zuge der verstärkten Fokussierung auf alternative Anlagen. Rechenzentren sind somit gut positioniert, um langfristig stabile Renditen zu liefern.
Die Entwicklung von Datacentern bringt auch Herausforderungen mit sich, insbesondere in Bezug auf Energieversorgung und ESG-Standards. Wie gehen Unternehmen und Investoren mit diesen Herausforderungen um?
Die gesamte Branche, das heisst Hyperscale-Mieter und Colocation-Betreiber, hat sich nachdrücklich dazu verpflichtet, den CO₂-Fussabdruck auszugleichen, der durch das kontinuierliche und unvermeidliche Wachstum der Rechenzentrumskapazität entsteht. Dies führt in zunehmendem Masse dazu, dass die Akteure der Branche die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen aktiv unterstützen und in diese investieren, um den Bedarf ihrer Anlagen zu decken.
Ebenfalls zu beachten ist, dass ein Hyperscale-Service Level Agreement (SLA) ähnliche Merkmale wie ein Green Lease aufweist, da der Mieter zusätzlich zur Grundmiete für den verbrauchten Strom zahlt. Angesichts des erheblichen Anteils der Stromkosten an der Kostenbasis hat ein Hyperscale-Mieter somit einen starken Anreiz, die Effizienz seines Stromverbrauchs zu maximieren, und zwar sowohl durch die Wahl der Hardware als auch durch die Suche nach Rechenzentren mit einem niedrigen Power Usage Effectiveness-Wert (PUE).
Wir bewegen uns hier in einer Nische, was es für Investoren nicht unbedingt einfacher macht. Wie finden Sie Zugang?
Ich sehe Parallelen zwischen Rechenzentren und der Entwicklung der Logistikbranche. Früher galt Logistik/Infrastruktur als hochspezialisiert und zog nur wenige institutionelle Direktinvestoren an, heute ist sie fester Bestandteil der meisten institutionellen Portfolios. Ich prognostiziere eine ähnliche, aber schnellere Entwicklung für Rechenzentren. Wir verfügen über eine Global Data Center Strategie, welche auf die Entwicklung in diesem Sektor angesetzt ist.
Der Übergang zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft ist auch ein langfristiger Trend und erfordert immense Investitionen. Welche Chancen sehen Sie für Anleger in diesem Bereich?
Ein entscheidender Aspekt für Anleger besteht darin, in den Übergang zu investieren, anstatt nur auf bereits grüne Unternehmen zu setzen. Growth Equity Manager wie Jennison Associates konzentrieren sich auf Unternehmen, die Technologien anbieten, welche eine Schlüsselrolle im Dekarbonisierungsprozess spielen, aber oft in klassischen ESG-Strategien übersehen werden.
Sie sprechen von einer Strategie, die nicht nur auf «grüne» Unternehmen setzt, sondern auch auf solche, die den Übergang aktiv gestalten. Welche Beispiele aus Ihrem Portfolio zeigen, dass dies ein erfolgversprechender Ansatz ist?
Ein Beispiel ist der Einsatz von Flüssigerdgas (LNG) als Ersatz für Öl. LNG ist zwar keine perfekte Lösung, trägt aber wesentlich zur Reduzierung von CO₂-Emissionen bei. Ein weiterer Fokus liegt auf Scope-4-Emissionen, also den vermiedenen Emissionen, die wichtig sind, um den Beitrag eines Unternehmens zur Dekarbonisierung zu verstehen. Diese komplexe Analyse erfordert, dass Unternehmen auf einer detaillierten Ebene bewertet werden, um ihre Rolle im Klimawandel zu erfassen.
Wie trägt Digitalisierung dazu bei, die Dekarbonisierung voranzutreiben und gleichzeitig Renditen zu erzielen?
Digitalisierung hilft, den Einfluss von Investitionen auf den Klimawandel präziser zu messen und zu steuern. Beispielsweise nutzen wir bei PGIM Fixed Income unser «Temperature Alignment Tool», das den Einfluss von Anleihen auf die globale Erwärmung analysiert. So können Investoren ihre Portfolios gezielt auf CO₂-Reduktionsziele wie das Pariser Abkommen ausrichten und dabei den Übergang zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft unterstützen.
Rochus Appert ist seit November 2023 Länderchef Schweiz von PGIM Investments und gleichzeitig Vertriebsleiter. Er bringt 30 Jahre an Erfahrung in der Schweizer Finanzbranche mit. Zuletzt arbeitete er bei Columbia Threadneedle als Leiter Discretionary Sales Switzerland. Zuvor war er in diversen Führungspositionen tätig, unter anderem als Head of Intermediary Sales Central Europe bei BMO Global Asset Management – vor der Übernahme durch Columbia Threadneedle – sowie bei State Street Global Advisors, der Grossbank Credit Suisse und der deutschen West LB.
PGIM Investments ist die Asset-Management-Tochter des amerikanischen Versicherers Prudential Financial (nicht zu verwechseln mit dem britischen Versicherer gleichen Namens).