Nicht die Zeit für 60/40

Ein Portfolio mit defensiven Etrags- und Wertsicherungsstrategien unterscheidet sich von einem klassischen 60/40-Ansatz. (Bild: Shutterstock.com/Create Jobs 51)
Ein Portfolio mit defensiven Etrags- und Wertsicherungsstrategien unterscheidet sich von einem klassischen 60/40-Ansatz. (Bild: Shutterstock.com/Create Jobs 51)

Angesichts der schwer überschaubaren Entwicklungen am Kapitalmarkt und in der Realwirtschaft sieht Erik Knutzen von Neuberger Berman die Zeit gekommen, Ertrags- und Wertsicherungsstrategien defensiv zu positionieren. Ziel sei es, auf Wachstum zu setzen, ohne dabei zu stark auf Staatsanleihen angewiesen zu sein.

24.09.2021, 05:00 Uhr

Redaktion: rem

Erstmals seit fast einem Jahr lag die US-Inflation letzte Woche unter den Erwartungen. Enttäuschend war nach Meinung von Erik Knutzen, CIO Multi-Asset Class bei Neuberger Berman, auch der jüngste Arbeitsmarktbericht, und auch andere Zahlen würden ebenfalls für eine schwächere Dynamik sprechen. Hinzu komme, dass Geld- und Fiskalpolitik weniger expansiv werden. "Beiderseits des Atlantiks steht das Tapering der Wertpapierkäufe unmittelbar bevor und die Diskussion bei den Demokraten spricht dafür, dass die amerikanische Fiskalpolitik zumindest etwas gestrafft werden könnte", so Knutzen.

Die Delta-Variante und die Lieferengpässe haben ihren Teil zu den schwächeren Zahlen beigetragen. Eine Rolle spiele aber auch, dass die Wirtschaftserholung zu Ende gehe und sich die Konjunktur normalisiere. "Das Wachstum mag nachlassen, kommt aber nicht zum Stillstand. Entscheidend ist, wie stark es zurückgeht und inwieweit das bereits in den Kursen berücksichtigt ist. Da darüber hinaus die langfristige Entwicklung höchst ungewiss ist, Aktien teuer sind und sich die Anleihen-Renditen auf Rekordtiefs befinden, könnten niedrigere Erträge drohen – bei hoher Volatilität und einer überdurchschnittlichen Korrelation von Aktien und Anleihen", sagt der CIO Multi-Asset Class.

Kein Königsweg

Was bedeutet das für die Asset-Allokation? Über 60% der Teilnehmer eines Neuberger Berman Kunden-Webinars rechneten vergangene Woche damit, dass Aktien in den nächsten zehn Jahren volatiler sein werden als in den zehn Jahren zuvor. Je nach Assetklasse gaben zudem 15% bis 40% der Teilnehmer an, anstelle klassischer Staatsanleihen auch unterschiedliche alternative Anlagen in Betracht zu ziehen. An der Spitze standen Private Assets und Liquid Alternatives. Den Investoren sei aber bewusst, dass es keinen Königsweg gibt.

Wie Knutzen erklärt, steht Neuberger Berman letztlich vor zwei Aufgaben: Erstens wolle der Vermögensverwalter mit risikobehafteten Titeln Gewinne erzielen, es aufgrund des drohenden Volatilitätsanstiegs aber gleichzeitig nicht übertreiben. Hier seien "defensive Ertragsstrategien" gefragt. Zweitens wollten sie Portfoliorisiken verringern, ohne in überteuerte Staatsanleihen zu investieren. Das erfordere "defensive Wertsicherungsstrategien".

Defensive Ertragsstrategien

"Für defensive Ertragsstrategien eignen sich Aktien, Anleihen und alternative Anlagen. Bei Aktien kann eine höhere Gewichtung von Qualitätstiteln helfen, vor allem, wenn sie von langfristigen Wachstumsthemen profitieren können", sagt Knutzen. Nach einem Jahr Mehrertrag von Substanzwerten und Zyklikern spreche jetzt viel für Qualitätsaktien. Wer sich eine längere Kapitalbindung leisten könne, könne auch auf nicht börsennotierte Titel setzen.

Auch bei Anleihen seien defensive Ertragsstrategien möglich. Hier lasse sich das Kreditrisiko erhöhen, vor allem mit kürzer laufenden High-Yield-Anleihen. "Ihre Spreads sind im Vergangenheitsvergleich zwar eng, doch hält man sie bei Neuberger Berman wegen der niedrigen Ausfallquotenerwartungen trotz allem für angemessen. Höhere Renditen bieten auch Titel aus Ländern, die zusätzlich von der Flucht in die Qualität profitieren. Ein Beispiel sind chinesische Onshore-Staatsanleihen", so der Experte.

Bei alternativen Anlagen können sich seiner Meinung nach klassische Hedgefonds-Strategien anbieten, die zwar positiv, aber nicht sehr stark mit Aktien korreliert sind. Gute Beispiele seien Long/Short Equity, Long/Short Credit, Event-driven, Distressed und Special Situations. Um aus der Aktienmarktvolatilität eine dauerhafte und vergleichsweise stabile Ertragsquelle zu machen, biete sich der Verkauf gedeckter Puts auf den Aktienindex an – was das Auf und Ab der Märkte etwas abmildere. Hinzu kämen strukturell unkorrelierte Titel, etwa Insurance-linked Securities, auch bekannt als Katastrophenanleihen.

Defensive Wertsicherungsstrategien

Wie Knutzen weiter ausführt, können defensive Wertsicherungsstrategien ähnlich vielfältig sein. Im Aktienbereich könne marktneutral in Qualität investiert werden, indem eine Long-Position in Qualitätsaktien mit einer Short-Position in Aktien geringerer Qualität kombiniert werde. Bei einem Ausverkauf mit einer Flucht in die Qualität führe dies voraussichtlich zu Ertrag.

Im Anleihenbereich könne anstelle einer einfachen Long-Position in klassischen Staatsanleihen mit einer Long/Short-Strategie auf eine Abflachung der Zinsstrukturkurve gesetzt werden. Auch das würde sich bei einer Flucht in die Qualität auszahlen und zugleich das Verlustrisiko bei einem generellen Renditeanstieg mindern. Gerade jetzt sei das wegen der extrem niedrigen Kurzfristzinsen interessant.

"Bei alternativen Anlagen könnten sich Hedgefonds-Strategien anbieten, die bei Ausverkäufen am Aktienmarkt bislang meist stabil waren oder sogar im Plus lagen. Beispiele sind Equity Market-neutral, Short-term Trading, Systematic Trend-following und Global Macro", erläutert Knutzen.

Optionsstrategien, die auf fallende Kurse setzen – etwa der Kauf (und nicht der Verkauf) von Put-Optionen – seien bei ausgeprägten Korrekturen meist recht nützlich. Sie könnten aber teuer werden, wenn die Aktienkurse steigen oder sich seitwärts bewegen. Sinnvoller könnte ein defensiver Ansatz sein, der diese Schwächen nicht habe.

Schluss mit 60/40

Ein Portfolio mit solchen Strategien unterscheidet sich laut dem Experten in zweierlei Hinsicht von einem klassischen 60/40-Ansatz: "Es investiert in zusätzliche Assetklassen und ist bei Aktien und Anleihen innovativer und aktiver. Vielleicht verzichtet man bei einer sehr guten Marktentwicklung auf Ertrag. Zugleich setzt man aber auf Wachstum, ohne bei der Diversifikation und dem Schutz vor Verlusten zu stark auf die schon jetzt sehr niedrig verzinslichen Staatsanleihen angewiesen zu sein", sagt Knutzen und fügt an: "Wir halten dies für eine kluge Diversifikationsstrategie, die ihrem Namen alle Ehre macht – geeignet für einen schon weiter fortgeschrittenen Konjunkturzyklus bei einer ungewöhnlich hohen Ungewissheit."

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