27.11.2024, 10:30 Uhr
«Warum es bis zur Parität zwischen den beiden Währungen noch dauern kann und wo sich dabei bessere Einstiegszeitpunkte ergeben», erläutern Ashok Bhatia und Brad Tank, beide Co-Chief Investment Officer, Fixed...
«Sind niedrigere Staatsschulden, positive Realzinsen und die Finanzierung der Energiewende miteinander vereinbar?», fragt sich Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer, Multi Asset Strategies – EMEA bei Neuberger Berman.
Vor 60 Jahren beschrieben John Fleming und Robert Mundell das «Trilemma» offener Volkswirtschaften. Feste Wechselkurse, freier Kapitalverkehr und eine unabhängige Geldpolitik seien nicht gleichzeitig möglich: Wenn beispielsweise der Zins weltweit 5 Prozent beträgt und eine Notenbank ihren Leitzins auf 3 Prozent festsetzt, führt der freie Kapitalverkehr zu Kapitalflucht und Währungsabwertung. Zwar lässt sich der Wechselkurs durch den Verkauf ausländischer Aktiva verteidigen, aber nur so lange, wie die Reserven reichen.
Letzte Woche schrieb Joe Amato über das Trilemma der Notenbanken. «Ein ähnliches Trilemma halten wir in den nächsten Jahren auch an den Kapitalmärkten für möglich», schreibt Niall O’Sullivan im jüngsten CIO Weekly.
Kann man wirklich gleichzeitig Staatsschulden und Staatsausgaben senken, bei freiem Kapitalverkehr einen positiven Realzins in altbekannter Höhe erreichen und ausreichend in Infrastruktur investieren, damit die Anpassung an den Klimawandel und die Dekarbonisierung der Wirtschaft gelingen?
Es gebe viele konkrete Prognosen zu einem oder zweien dieser Punkte – aber der dritte werde meist ausser Acht gelassen, fügt er an. «Wie können wir etwa die Energiewende finanzieren, wenn die Staatsschulden fallen und die Zinsen steigen müssen?»
Die Gesellschaft müsse sich entscheiden. Verschiedene Länder könnten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, die für langfristige Investoren stets wichtig seien. «Wenn sich die Vergangenheit wiederholt, könnte sich der Staat in einem Umfang in die Wirtschaft einschalten, wie man ihn vor allem aus Emerging Markets kennt. Im Westen ist uns das fremd», glaubt der Chief Investment Officer, Multi Asset Strategies – EMEA bei Neuberger Berman.
«Nehmen wir zunächst an, dass die nötigen Investitionen für die Energiewende und die Anpassung an den Klimawandel wirklich stattfinden. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die viele Billionen US-Dollar kostet. Wir glauben, dass dieses Ausmass staatliche Interventionen erfordert. Die Erfahrungen mit ähnlich grossen Ausgaben in der Vergangenheit – etwa durch Krieg und Wiederaufbau – sprechen dafür, dass die Staatsschulden ceteris paribus steigen. Auf welche der beiden anderen Ziele unseres Trilemmas müssen wir dann verzichten?», fragt er sich.
Manche Regierungen richteten begehrliche Blicke auf die hohen inländischen Ersparnisse und die Kapitalanlagen der Versicherungen, weil viel Kapital bei geringeren Risiken und mit besseren Ertragsaussichten anderswo investiert wird. In Europa etwa wollen sowohl die EU als auch Grossbritannien nach dem Brexit die Solvency-II-Regeln für Versicherungen ändern. Sie sollen mehr in inländische Sachwerte investieren, und zwar langfristig.
Im traditionellen Herbststatement sagte der britische Finanzminister Jeremy Hunt letztes Jahr, dass eine Reform «zig Milliarden Pfund» für Infrastrukturinvestitionen freimachen soll. Andere wollen stattdessen die Notenpressen anwerfen und versuchen, den Finanzbedarf zum Teil mit Geldschöpfung und gezielten Reformen des Bankensektors zu decken.
Nach der jüngsten Bankenkrise könnte die erforderliche umfassendere Einlagensicherung mit einer strengeren Regulierung einhergehen, mit strengeren Regeln für Kreditvergabe und Investitionen. Damit die Energiewende «gerecht» wird, wurde auf der COP27-Konferenz letztes Jahr auch eine höhere Kreditvergabe der Weltbank und anderer Entwicklungsländer vorgeschlagen, ohne dass ihre staatlichen oder privaten Eigentümer zusätzliches Eigenkapital einzahlen müssen. Vorgeschlagen wurde auch die Emission von Sonderziehungsrechten im Wert von Hunderten Milliarden US-Dollar, um beim IWF einen internationalen Klimaschutzfonds (Global Climate Mitigation Trust) einzurichten.
Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Sicher werde die Inflation kurz- bis mittelfristig das wichtigste Thema bleiben. Man dürfte aber mit der Idee liebäugeln, einen Teil der Schulden durch eine höhere Teuerung zu beseitigen und die Realzinsen zu steuern. Schon oft wurden Schuldner gegenüber Gläubigern bevorzugt. So war es zuletzt, als die Schuldenstandsquoten aufgrund der Inflation fielen, aber auch von 1945 bis 1980, als die Realzinsen in den Industrieländern während der Hälfte der Zeit negativ waren.
«Die unklare Aufgabenverteilung zwischen Regierungen, Notenbanken und Märkten während und nach der internationalen Finanzkrise und der COVID-19-Pandemie ebnet solchen Überlegungen den Weg.»
Das Thema sei wichtig, wurde aber so lange auf Eis gelegt, wie die Inflation fast zweistellig war. Die Realzinsen mussten steigen. «Aber es kann eine Grenze geben, sodass sie nicht wieder ihr altes Niveau erreichen.»
Gesellschaften und Regierungen würden sich vielleicht an höhere Schuldenstandsquoten gewöhnen müssen. Das mache das Finanzsystem anfälliger. Auch Anleihen könnten unter Druck geraten, wie Grossbritannien letztes Jahr schmerzhaft erfahren musste. Ausserdem werde es für die Notenbanken schwieriger, gleichzeitig für Wachstum, Preisstabilität und Finanzstabilität zu sorgen.
Natürlich lasse sich das Trilemma auch auf andere Weise lösen. Ausgaben könnten von anderen Projekten umgeleitet werden, um die Energiewende zu finanzieren. Man könnte auch die Steuern erhöhen, einschliesslich CO2-Steuern und CO2-Grenzabgaben. Aber das sind schwierige politische Entscheidungen. Die Versuchung, Geld zu drucken und die Schulden durch Finanzrepression abzubauen, könnte gross sein.
«Wir sehen sowohl Risiken als auch Chancen. Die Energiewende wird viel Kapital und Arbeitskraft brauchen. Sie dürfte das Wirtschaftswachstum stärken und für Anlagechancen unter anderem durch Infrastrukturinvestitionen sorgen», schreibt Niall O’Sullivan. Viele Wirtschaftszweige würden davon profitieren, aber vielleicht nütze die Entwicklung anderen Aktienmarktsektoren mehr als den zuletzt führenden. Für die Energiewende und die Anpassung an den Klimawandel braucht man Rohstoffe.
«Ähnlich wie nach der internationalen Finanzkrise könnten staatliche Massnahmen wie die Neufassung von Solvency II eine Chance für institutionelle Investoren sein. Andererseits könnte Finanzrepression drohen, sodass vor allem sehr lang laufende Festzinstitel an Wert verlieren. Am wichtigsten ist aber, dass wir uns des Trilemmas bewusst sind und uns aktiv an der Diskussion beteiligen. Es ist einfach, heute die Rückkehr positiver risikoloser Realzinsen und disziplinierter Anleihenemissionen zu feiern und uns morgen über Ertragschancen durch die Energiewende zu freuen. Vielleicht kann man nicht alles gleichzeitig haben. Wenn sich die Investoren der Risiken aber nicht bewusst sind, kann es sein, dass nicht sie entscheiden. Die Entscheidung könnte ihnen dann leicht abgenommen werden», folgert Niall O’Sullivan.