27.11.2024, 10:30 Uhr
«Warum es bis zur Parität zwischen den beiden Währungen noch dauern kann und wo sich dabei bessere Einstiegszeitpunkte ergeben», erläutern Ashok Bhatia und Brad Tank, beide Co-Chief Investment Officer, Fixed...
«Wer den Inflationsausblick für die USA auf Europa überträgt, kann Chancen mit europäischen Kernanleihen verpassen», schreiben Brad Tank, Ashok Bhatia und Patrick Barbe vom Fixed Income Team von Neuberger Berman.
Anleihen sind zurück, und zwar weltweit. Für Europa gilt das aber ganz besonders. Hier lagen die Renditen aller Kern-Staatsanleihen lange unter null, und die deutsche Zehnjahresrendite war fast drei Jahre lang negativ. Mehr und mehr erkennen internationale Anleger, wie attraktiv klassische europäische Investmentgrade-Anleihen sind. «Der Carry durch eine Absicherung in US-Dollar ist zwar seit 2022 gefallen, liegt aber mit 1,4 Prozent noch immer über null. Das ergibt 4 bis 5 Prozent Gesamtrendite», schreiben die Experten.
Zwischen zwei und fünf Jahren schätzt Neuberger Berman die Risikoprämien von Euroraum-Anleihen auf fast einen ganzen Prozentpunkt, so viel wie noch nie. Gerade bei mittleren Laufzeiten sei man sich besonders sicher, «weil wir auch unsere Inflations- und Leitzinsprognosen für sehr zuverlässig halten.» Das sei deshalb so wichtig, weil sie ein wenig vom Marktkonsens abweichen.
Im Juni rechnet zwar niemand mehr mit einer Zinssenkung der Fed, aber die Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung der EZB betrage aus Marktsicht noch immer über 80 Prozent. Was aber danach kommt, scheine weniger sicher – aus zwei Gründen:
Da seien zum einen EZB-Falken wie Joachim Nagel. Letzte Woche deutete er eine Senkung im Juni an, fügte aber gleich hinzu, dass «nicht zwangsläufig eine Zinssenkungsserie folgen» werde.
«Zweitens glauben wir, dass viele Anleger noch immer von den USA auf Europa schliessen: Sie übertragen ihre Sicht zur US-Inflation – die nach den neuen PCE-Daten letzte Woche noch etwas pessimistischer wurde – auf den Euroraum.»
Als die US-Inflation 2022 stieg, folgte der Euroraum mit drei bis sechs Monaten Abstand. Viele glaubten, dass es jetzt wieder so kommt und die europäische Inflation dann ebenso hartnäckig ist wie die amerikanische. «Wir schätzen die Lage aber völlig anders ein», schreibt Neuberger Berman.
Natürlich habe sich die US-Wirtschaft gemäss den Einkaufsmanagerindex- und BIP-Daten der letzten Woche etwas abgekühlt, während sich Europa weiter erhole. Getrieben werde diese Erholung aber fast vollständig vom Dienstleistungssektor, der bislang nur wenig Anteil an der Teuerung hatte. Die Arbeitskräftenachfrage sei auch in Europa hoch, aber weit vom amerikanischen Überschwang entfernt. Die meisten Lohnabschlüsse sein in Europa nicht nur niedriger, sondern auch langfristiger, was die Arbeitskostenentwicklung berechenbarer mache.
In Europa könnte sich die Inflation daher grundlegend anders entwickeln als in den USA, wo vor allem die Coronafolgen auf der Nachfrageseite die Preise trieben. Die Amerikaner hatten viel gespart und gaben ihr Geld jetzt aus. In Europa war aber der Krieg in der Ukraine entscheidend. Hier kam es zu Angebotsstörungen an den Energie- und Nahrungsmittelmärkten. Heute sorgten steigende Löhne in den USA weiterhin für eine nachfrageinduzierte Inflation, während der angebotsbedingte Preisauftrieb in Europa nachlasse.
«Ausserdem glauben wir, dass die Basiseffekte nach der hohen Teuerung im Vorjahr in Europa in den nächsten zwei Quartalen wesentlich günstiger sind als in den USA», schreiben die drei Experten.
Konsens sei, dass die Kerninflation im Euroraum von zurzeit 2,9 Prozent bis zum Jahresende auf 2 Prozent fällt. «Wir meinen hingegen aus den genannten Gründen, dass es schon kurz nach dem Sommer so weit sein kann. Dann könnte die EZB ihren Leitzins dieses Jahr tatsächlich viermal senken – und nicht nur zweimal, wie der Markt erst einmal annimmt. Eine Zinssenkung im Juni halten wir ohnehin für eine beschlossene Sache», heisst es im CIO weekly.
«Wir glauben also, dass die Zinsen in Europa schneller fallen als vom Markt erwartet. Aber warum schätzten wir in unserem letzten Fixed Income Investment Outlook italienische und spanische Staatsanleihen dann nur neutral ein, während wir Kernanleihen übergewichten wollen?» Das liege vor allem daran, dass sich die Peripherieländer-Spreads nach dem Ende der grössten Inflationssorgen ähnlich entwickelt haben wie andere Credit Spreads, statt auf die Zinserwartungen zu reagieren. Sie haben sich dieses Jahr also deutlich verengt. Ein Grossteil der guten Inflationsnachrichten dürfte daher bereits in den Kursen berücksichtigt sein, «auch wenn wir für Spanien und Portugal vorsichtig optimistisch bleiben.»
Konsens sei, dass europäische Anleihen interessant sind. «Diese Position vertreten wir auch, aber mit mehr Enthusiasmus als die meisten anderen. Wir glauben, dass sich Investoren von der hartnäckigen US-Inflation haben beirren lassen. Aber sie ist für Europa nur begrenzt wichtig.»