27.11.2024, 10:30 Uhr
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Die Gewinne der grössten europäischen Unternehmen wachsen voraussichtlich stärker als die ihrer US-Pendants. Joseph Amato von Neuberger Berman sagt, dass Analysten ihre Prognosen nicht schnell genug an die wirtschaftliche Erholung angepasst haben.
Inflationserwartungen, Notenbankpolitik, steigende Staatsanleiherenditen und die Fiskalpolitik sind im Finanzsektor in aller Munde. Da überrascht es nicht, dass Aktieninvestoren vor allem die Zinssensitivität der Aktien-Bewertungen im Blick haben und das Tauziehen zwischen Wachstumswerten mit langer Duration und Substanzwerten mit kurzer Duration beobachten.
"Auf längere Sicht ist Gewinnwachstum für die Aktienerträge allerdings wichtiger als die Bewertungen der Titel. Spätestens seit den 1960ern korreliert das Gewinnwachstum bei einer Haltedauer von über drei Jahren zu 80% bis 90% mit den Aktienmarktrenditen", sagt Joseph Amato, Neuberger Bermans President und CIO Equities. Diese Woche beginne die Berichtssaison für das zweite Quartal. Da mit aussergewöhnlich hohen Gewinnen gerechnet werde, sei es besonders wichtig für Investoren, fundamentale Entwicklungen im Blick zu behalten.
Die Weltwirtschaft macht gute Fortschritte und die Weltbank rechnet für dieses Jahr mit einem Anstieg des globalen Bruttoinlandproduktes um 5,6%. Für die USA erwartet das Conference Board dieses Jahr 6,6% Wachstum und für das zweite Quartal – annualisiert – sogar beeindruckende 9%. Das dürfte sich laut Amato auch in den Unternehmensgewinnen zeigen.
Im Vorjahresvergleich haben die Gewinne der S&P-500-Unternehmen im ersten Quartal um fast 50% zugelegt. Den grössten Anstieg erwarten die Analysten aber im gerade zu Ende gegangenen zweiten Quartal. Nach den jüngsten Konsensschätzungen von Refinitiv I/B/E/S erwarten sie ein Plus von 65,1% zum Vorjahr. War die Weltwirtschaft vor zwölf Monaten noch ungewöhnlich schwach, so war sie doch seit der Erholung von der Finanzkrise im Jahr 2009 von derart guten Zahlen weit entfernt.
Bei Neuberger Berman geht man davon aus, dass die S&P-500-Unternehmen dieses Jahr 205 USD Gewinn je Aktie erwirtschaften, 47% mehr als im Vorjahr. An der Spitze dürften der Finanz- und der Energiesektor stehen, die beide sehr konjunktursensitiv sind. Auch mehrere Dienstleistungsbranchen aus dem Konsumverbrauchsgütersektor dürften sehr gute Zahlen vorlegen – Gastgewerbe, Unterhaltung, Restaurants und Luftfahrt haben sich noch nicht wieder vollständig vom Lockdown erholt.
"Das hohe relative Gewinnwachstum hat viel mit der niedrigen Vergleichsbasis auf dem Höhepunkt der Corona-Krise vor einem Jahr zu tun – aber nicht nur. Wenn die Gewinne im zweiten Quartal um 65% steigen, wären sie auch um 10% höher als im zweiten Quartal 2019", erklärt Amato. Zudem beschränken sich die guten Zahlen keineswegs auf die USA. Nach Refinitiv I/B/E/S waren die Gewinne der STOXX-Europe-600-Unternehmen im ersten Quartal um 96% höher als vor einem Jahr. Für das zweite Quartal werden sogar 104% Zuwachs erwartet, nicht zuletzt wegen der konjunktursensitiven europäischen Exportwirtschaft.
"Es kommt nicht oft vor, dass die Gewinne der grössten europäischen Unternehmen stärker wachsen als die ihrer US-Pendants, aber dieses Jahr könnte es so sein. Auch die Unternehmen des MSCI Emerging Market Index haben das Potenzial, die US-Firmen zu übertreffen: Hier wird 2021 mit 50% höheren Gewinnen gerechnet als im Vorjahr", so Amato.
Es ist allseits bekannt, dass sich – gute wie schlechte – Erwartungen in den Aktienkursen widerspiegeln. Was bedeutet all das also für den Ausblick für die kommenden sechs bis zwölf Monate?
"Hier werden die Bewertungen dann doch noch relevant. Mit Kennziffern ähnlich wie in der Dotcom-Zeit sind weder amerikanische noch europäische Aktien zurzeit besonders günstig. Es ist anzunehmen, dass die hohen Gewinne des zweiten Quartals in den Kursen schon berücksichtigt sind", meint der CIO Equities von Neuberger Berman und fügt an: "Dennoch könnten bei einem derart grossen Anstieg die Schätzungen auch stark danebenliegen. In den letzten Monaten haben die Analysten ihre Prognosen oft nicht schnell genug an die Erholung angepasst. Viele Unternehmen halten sie noch immer für zu pessimistisch. Von den 103 S&P-500-Unternehmen, die sich vorab zu ihren Zweitquartalsgewinnen geäussert haben, stellen 66 ein Ergebnis über den Medianerwartungen der Analysten in Aussicht – so viele wie noch nie. Das jedenfalls ergibt sich aus den FactSet-Zahlen vom 25. Juni."
Wie Amato weiter ausführt, steigen und fallen Märkte in der Regel nicht linear. Keine Hausse kommt ohne Volatilität aus, vor allem, wenn die Notenbanken bei einer einsetzenden Erholung ihre Geldpolitik ändern. Und doch sei davon auszugehen, dass die Investoren vor allem auf die Gewinne achten sollten – und nicht darauf, ob die Zehnjahresrendite 1,5% oder 2% beträgt. Dies gelte umso mehr, wenn die Gewinne so stark wachsen wie jetzt.
"Wenn die Gewinndynamik anhält – und davon ist man bei Neuberger Berman überzeugt – kann der Markt auch dann stabil bleiben, wenn die Notenbanken umdenken. Mit dem Beginn der Berichtssaison könnten Aktien daher noch zulegen – nicht nur in diesem Quartal, sondern auch in den Folgenden", sagt Amato abschliessend.