05.12.2024, 10:13 Uhr
56 Prozent der Schweizer Investoren halten eine Rezession im Jahr 2025 für wenig wahrscheinlich, trotz geopolitischer und inflationsbedingter Unsicherheiten. Dies ein Fazit des «Institutional Investor Survey» von...
Jedes Jahr das Gleiche, und trotzdem halten die Akteure an den Finanzmärkten jeweils den Atem an, als gäbe es das Stelldichein zum ersten Mal – das Treffen der Notenbanker in Jackson Hole, das Corona-bedingt erneut virtuell stattfindet. Die zentrale Frage lautet: Wann beginnt die US-Notenbank, ihren üppigen Geldstrom zu drosseln?
Höhepunkt des Meetings ist wie immer, was die amerikanische Notenbank zur aktuellen Lage und – so hoffen alle Finanzmarktbeteiligten – zur zukünftigen Ausgestaltung ihrer Geldpolitik zu sagen hat. Das hat Einfluss auf den monetären Kurs auch in anderen Ländern.
Die Ausgangslage ist bekannt: Die Wirtschaft brummt, und nach langer Abstinenz zeigen sich vorab in den USA – der Vorreiterin der globalen Wirtschaftsentwicklung – inflationäre Tendenzen. Die historisch einmalige exorbitante Geldschwemme, als Notwehr gegen die Finanzkrise 2008 und gut zehn Jahre später zur Abwehr einer wegen Corona akut drohenden Weltrezession weitergeführt, hat ihren Dienst geleistet.
Ein System überbordender Liquidität mit negativen Zinsen, das Schuldner belohnt und Investoren bestraft, wendet sich auf Dauer gegen sich selbst und die guten Absichten seiner Initianten. Da mag sich die Börse noch so sehr über den üppigen Geldfluss freuen. Eine auf Dauer immer grössere Fehlallokation von Kapital bringt die Wirtschaft eines Tages um ihre Früchte und bedeutet der Anfang vom Ende des wirtschaftlichen, politischen und sozialen Friedens.
Bekannt ist aber auch, dass die neue Delta-Variante von Corona rasant um sich greift, und setzt sich der Trend fort, sind neue Gegenmassnahmen und eine konjunkturelle Eintrübung kaum aufzuhalten. Was also tun? Welchen Fingerzeig, wenn überhaupt, wird Fed-Chef Jerome Powell in seiner Rede am Jackson-Hole-Meeting am Freitag geben?
Sébastien Galy, Senior-Makrostratege von Nordea Asset Management, hält ein Einläuten des Taperings, eine Rückführung der expansiven geldpolitischen Massnahmen, was die Märkte zumindest kurzfristig erschrecken würde, für unwahrscheinlich. Die Delta-Variante breite sich aus, und der Anstieg der Inflation habe die Stimmung der Verbraucher gedämpft – dieser Zustand könne weiter andauern.
Weshalb die Märkte besorgt über die Drosselung der Anleihenkäufe durch die Federal Reserve seien, liegt laut Galy darin, dass ein Zurückfahren einen Teil der positiven Wirkung der quantitativen Lockerung (Quantitative Easing) zunichtemachen könnte – zu einer Zeit, in der viele Vermögenswerte teuer und die Verschuldung hoch sei. Das Beispiel des Taper-Tantrums von 2013 hätten viele noch frisch in Erinnerung, und jetzt sei die Realität komplexer.
Generell rechnet Nordea AM aber nicht damit, dass eine Ankündigung des Taperings einen Kursschock auslösen werde, auch wenn die Kurve der US-Staatsanleihen letztlich wieder steiler werden dürfte. "Der Markt hatte viel Zeit, sich auf das Tapering vorzubereiten. Der wirkliche Schock wird kommen, wenn die Debatte über einen weiteren Zinserhöhungszyklus der Fed beginnt", sagt Galy.
Letzteres hänge entscheidend von der Situation ab, inwieweit die Inflation nur vorübergehend sei – erste Anzeichen deuteten darauf hin. "Wir bevorzugen weiterhin Lösungen wie nordamerikanische Aktien und Multi-Asset-Anlagen, die eine stilübergreifende Diversifizierung bieten und flexibel sind. Zudem ist ESG eine säkulare Kraft", hält der Stratege fest.
"Wer am Freitag ein Feuerwerk erwartet, ist an der falschen Stelle", dämpft James McCann, Deputy Chief Economist von Aberdeen Standard Investments, die Erwartungen. Die Begeisterung über das Wirtschaftswachstum und die Furcht vor Inflation lasse bereits wieder nach. Das Protokoll der letzten Fed-Sitzung verdeutliche, dass man sich im Ausschuss über die Lage der Wirtschaft völlig uneins sei. Das mache die Aufgabe für Powell nicht einfach.
Ob es dem Markt gefalle oder nicht, "dies wird wohl keine Rede mit klaren Worten. Was nicht bedeutet, dass Powell das Thema Tapering vollständig vermeiden wird. Er mag den bereits gefallenen Andeutungen zu einem gewünschten Start in diesem Jahr noch etwas hinzufügen", meint McCann.
Aber der Fed-Chef werde dieser Entscheidung am Freitag kaum vorgreifen. Deutlichere Signale seien erst im September zu erwarten, nachdem die Notenbankspitze an ihrer Sitzung diesbezügliche Beschlüsse gefasst habe. Powell dürfte die Verbindung zwischen der Reduktion der Wertpapierkäufe und möglichen Zinsanpassungen herunterspielen und damit das Thema auf die lange Bank schieben.
Grössere Erwartungen ans Sommersymposium der US-Zentralbank stellt Mondher Bettaieb-Loriot, Chef Corporate Bonds bei Vontobel Asset Management. Das Meeting sei ein wichtiger Datenpunkt für die Finanzmärkte, es liefere wertvolle Anhaltspunkte für die geldpolitischen Massnahmen in den folgenden zwölf Monaten. "Dieses Jahr wird keine Ausnahme sein, und die Anlegergemeinschaft sollte genau hinhören. In der Regel tut sie das jedoch nicht, was einerseits zu Marktvolatilität, andererseits aber auch zu Chancen führt."
An der letztjährigen Sitzung stellte das Fed den neuen Inflationsrahmen "Average Inflation over Time" (AIT) vor. Daran habe sich die Notenbank festgehalten. Fed-Chef Powell habe immer wieder betont, dass man die Zinsen nicht präventiv aufgrund von Befürchtungen vor einer Überhitzung des Arbeitsmarkts oder einer beschleunigten Inflation anheben werde.
"Eine Schlüsselkomponente ihres neuen AIT-Rahmens ist, dass sie tatsächliche Daten und nicht nur Prognosedaten sehen will, zumal ihre Inflationsprognosen von 2012 bis 2020 wiederholt verfehlt oder unterschritten wurden. Wir haben in den letzten zehn Jahren bis zur Pandemie eine Disinflation erlebt", argumentiert die Bond-Expertin, "daher geht das Fed sehr vorsichtig vor."
Ins gleiche Horn stösst Brad Tank von Neuberger Berman. Das Fed dürfte behutsam vorgehen, um eine ähnliche Marktreaktion wie 2013 zu vermeiden. Die Investoren diskutierten über die voraussichtlichen Massnahmen der US-Notenbank und die Auswirkungen auf die Renditen, übersahen dabei aber ein Stück weit den Zusammenhang zwischen Staats- und Hypothekenanleihen.
"Ein Drittel der monatlichen Nettowertpapierkäufe des Federal Reserve in Höhe von 120 Mrd. USD entfällt auf die hypothekenbesicherten Wertpapiere. Die Notenbank hat klar gesagt, dass sie die Käufe proportional verringern will", erklärte Tank in einem letzte Woche bei investrends.ch erschienen Beitrag (Keine Furcht vor dem Tapering).
So oder so, das Thema bleibt auf dem Tisch. Doch Anlegerinnen und Anleger sollten darob nicht nervös werden. Garrett Melson, Portfoliostratege von Natixis Investment Managers Solutions, bringt es im deutschen "Private Banking Magazin" auf den Punkt: "Die Reduzierung der Anleihekäufe ist kein Signal für den Pfad der Zinserhöhungen. Die einzige wirkliche Verbindung besteht darin, dass das Tapering vor den Zinserhöhungen abgeschlossen werden soll."
Beide geldpolitischen Hebel folgten deutlich unterschiedlichen Reaktionsmustern, sagt er: "Zinserhöhungen setzen das Erreichen der Preis- und Beschäftigungsziele der Fed voraus, eine viel weiter gefasste und umfassendere Definition als in früheren Zyklen: "Die einzig wirkliche Verbindung besteht darin, dass das Tapering vor den Zinserhöhungen abgeschlossen werden soll."
Was immer Jackson Hole und die darauffolgenden Monate bringen werden: Den Marktlärm ignorierende, langfristig orientierte Investorinnen und Investoren wäre es lieber, es geschehe bald, was sich ohnehin nicht aufschieben lässt und sich im Grunde alle wünschen: Zurück zur Normalität. Das gilt für die Pandemie und genauso für die aus dem Ruder gelaufene Geldpolitik.