Schlägt jetzt die Stunde der Anleihen?

Unternehmensanleihen preisen eher einen Abschwung als eine Rezession ein. Das Leben bleibt hektisch. (Bild: M&G)
Unternehmensanleihen preisen eher einen Abschwung als eine Rezession ein. Das Leben bleibt hektisch. (Bild: M&G)

Möglicherweise hat die Inflation in den USA ihren Höhepunkt erreicht. Allerdings könnten sich inflationsdämpfende Faktoren wie die Globalisierung abschwächen. Für flexible und diversifizierte Anleger dürften sich laut Jim Leaviss von M&G Investments bei festverzinslichen Wertpapieren nach den Kurskorrekturen langfristige Chancen ergeben.

12.10.2022, 09:45 Uhr

Redaktion: ras

Auch wenn die Unsicherheit hoch bleibt: Jim Leaviss von M&G Investments sieht Anzeichen, dass die Inflation in den USA ihren Höhepunkt überschritten haben könnte und der Preisauftrieb im weiteren Verlauf des Jahres nachlässt. Die Lieferketten normalisieren sich allmählich wieder. Auch die Preise für Kupfer, Öl und andere Rohstoffe haben nachgegeben.

Auf der Nachfrageseite dürften höhere Zinssätze und eine restriktivere Finanzpolitik das Wirtschaftswachstum abkühlen, und dies sollte sich dämpfend auf die Inflation auswirken. Hinzu kommen starke Basiseffekte. Leaviss hält es daher für möglich, dass die Inflation in den USA bis zum nächsten Jahr unter 4% fallen könnte. Doch gibt es natürlich viele Faktoren, die diese Entwicklung schnell umkehren könnten.

2023 könnte es für die Fed schwieriger werden als früher, die Inflation unter 2% zu halten. Viele der Triebkräfte für die seit Jahren niedrige Inflation könnten allmählich nachlassen. Besonders die Globalisierung dürfte in Zukunft weniger Wirkung entfalten. Das zeigt sich etwa bei der Rückverlagerung von Lieferketten ins Inland sowie dem verstärkten Einsatz von Zöllen und anderen Handelsrestriktionen.

Neutrale Positionierung bei der Duration

Ein Umfeld mit allmählich sinkender Inflation und nachlassendem Wachstum könnte den globalen Anleihemärkten zugutekommen. "Wir sind mit einer deutlich untergewichteten Duration in das Jahr 2022 gegangen. Im bisherigen Jahresverlauf haben wir das Zinsrisiko in unseren Portfolios schrittweise erhöht; derzeit bevorzugen wir bei der Duration eine eher neutrale Positionierung", schreibt Leaviss in seiner aktuellen Marktanalyse.

Auch die Märkte für Unternehmensanleihen sind im Jahr 2022 unter Druck geraten. Die harte Haltung der US-Notenbank war erneut ein Hauptgrund für die verschlechterte Stimmung. Die Renditen von US-Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating sind jetzt höher als auf dem Höhepunkt der COVID-19-Krise. Der grösste Unterschied zu damals besteht laut Leaviss darin, dass der Renditeanstieg diesmal hauptsächlich auf einen höheren risikofreien Zinssatz zurückzuführen ist. Die Risikoaufschläge dagegen haben sich recht gut gehalten.

Abschwung wahrscheinlicher als Rezession

Derzeit scheinen die Märkte für Unternehmensanleihen einen Abschwung einzupreisen, aber keine echte Rezession. Daher hält der Anlageexperte den Zeitpunkt für günstig, um ein etwas höheres Kreditrisiko einzugehen. Allerdings wird weiterhin ein sehr selektives Vorgehen empfohlen mit Fokus auf hochwertigere, eher defensive Titel, die sich im Falle eines rezessiveren Szenarios besser halten sollten.

Ein weiterer positiver Aspekt: Die Ausfälle in den meisten Teilen des Marktes dürften niedrig bleiben. Viele Unternehmen haben die Gelegenheit genutzt, ihre Refinanzierung für mehrere Jahre auf den Weg zu bringen. Insgesamt ist M&G der Meinung, dass die Anleger für die Übernahme von Kreditrisiken im Hochzinssegment gut entschädigt werden. Es gibt jedoch einige Bereiche, bei denen zur Vorsicht geraten wird. Dazu gehören etwa Hochzinsanleihen mit einem Rating von CCC. Bei diesen könnten die Ausfälle gemäss Einschätzung des Investmenthauses beträchtlich zunehmen. Eine Reihe von Sektoren könnten unter Druck geraten, besonders Einzelhändler und europäische Immobiliengesellschaften.

Attraktive Schwellenländer

Schwellenländeranleihen sind ein weiterer Bereich, den Leaviss im historischen Vergleich für attraktiv hält. Die Anlageklasse hat in diesem Jahr erhebliche Rückgänge verzeichnet, und die Renditen sind inzwischen sehr hoch. Trotz der anhaltenden Stärke des US-Dollars und des weltweiten wirtschaftlichen Gegenwinds erscheinen einige Bereiche dieses Marktes derzeit sehr attraktiv bewertet. Die Wertentwicklung in Regionen wie Lateinamerika beispielsweise ist relativ gut von den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine abgeschirmt. Viele der dortigen Länder profitieren weiterhin von den hohen Rohstoffpreisen.

Der US-Dollar verzeichnete im Jahr 2022 eine herausragende Wertentwicklung. Er wertete gegenüber fast allen wichtigen Währungen stark auf. Dies ist auf seine Rolle als «sicherer Hafen» und auf das attraktive Zinsgefälle gegenüber anderen Währungsräumen zurückzuführen, etwa der Eurozone und Japan. Falls die Fed eine weiche Landung schafft – also Zinserhöhungen ohne einen grösseren wirtschaftlichen Abschwung –, könnte der US-Dollar wieder schwächer notieren.

Setzt der US-Dollar seine Rallye fort?

Kommt es dagegen zu einer harten Landung und einem stärkeren Konjunkturabschwung, wird er wahrscheinlich weiter aufwerten. Am anderen Ende der Skala hat sich der japanische Yen in den letzten Jahren sehr schwach entwickelt. Ein Grund dafür war ebenfalls das Zinsgefälle: Die Bank of Japan hält die langfristigen Zinssätze bei Null.

Angesichts der weiterhin hohen Inflation können Anleger den Eindruck bekommen, als gäbe es immer weniger «Parkplätze» für ihr Geld. Allerdings sind die Märkte im bisherigen Jahresverlauf bereits stark eingebrochen. Daher ist Leaviss überzeugt, dass Obligationenanleger jetzt viele langfristige Möglichkeiten haben.

Übermässige Zinsrisiken zu vermeiden, hat sich während des Ausverkaufs im bisherigen Jahresverlauf als vorteilhaft erwiesen. Für M&G ist jedoch jetzt die Zeit reif, um einige dieser Positionen umzukehren. Basiseffekte dürften dazu führen, dass die Inflation im Laufe von 2023 zurückgeht. Dies dürfte sich positiv auf die Anleihemärkte auswirken, zumal der von den USA angeführte Zinserhöhungszyklus nun fast vollständig eingepreist sei.

Breite Diversifikation wichtig

Die Inflation wird jedoch wahrscheinlich auch für den Rest des Jahres das beherrschende Thema an den Märkten bleiben. In den nächsten Monaten werden die Märkte zudem mit mehreren wichtigen politischen Ereignissen konfrontiert, etwa den Zwischenwahlen in den USA. Auch die Lage in der Ukraine und die Auswirkungen auf die europäische Gasversorgung werden weiterhin im Mittelpunkt stehen.

In einem unsicheren Umfeld zählt ein flexibler und diversifizierter Ansatz. Bei festverzinslichen Wertpapieren muss man also Duration, Kreditrisiko und Währungsengagement an sich rasch verändernde makroökonomische Situationen anpassen können. In diesem Umfeld ist es wichtig, in eine breite Palette festverzinslicher Titel zu investieren. Dazu gehören klassische Staats- und Unternehmensanleihen sowie Instrumente, die für ein inflationäres Umfeld besser gerüstet sein sollten – etwa inflationsgebundene Anleihen und variabel verzinste Anleihen bzw. Floater (Floating Rate Notes).

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