«Small und Mid Caps sind bereit für die Aufholjagd»

Stéphanie Bobtcheff, CFA, leitet das Small- und Mid-Cap-Team von La Financière de l’Échiquier: «Wir mögen Schweizer Aktien, aber sie sind leider ziemlich teuer.» (Foto: pd)
Stéphanie Bobtcheff, CFA, leitet das Small- und Mid-Cap-Team von La Financière de l’Échiquier: «Wir mögen Schweizer Aktien, aber sie sind leider ziemlich teuer.» (Foto: pd)

Die Aktien kleiner und mittelgrosser Firmen entwickeln sich oft besser als die Titel von Grossunternehmen. Aber seit letztem Jahr ist es umgekehrt. Weshalb? Und kehrt die Dynamik der Small und Mid Caps zurück? Stéphanie Bobtcheff von der französischen Fondsgesellschaft La Financière de l’Échiquier (LFDE) ist davon überzeugt.

04.10.2023, 15:14 Uhr
Aktien

Autor: Hanspeter Frey

Frau Bobtcheff, seit Oktober letzten Jahres, als sich die Aktienmärkte vom Zinsanstieg zu erholen begannen, fehlt den Small und Mid Caps der Schwung. Was ist passiert?

Bobtcheff: Wenn wir es genau nehmen, sind die Aktien von kleineren und mittelgrossen Firmen schon seit Anfang 2022 im Rückstand. Das ist atypisch. Historisch handeln Small und Mid Caps mit einer Bewertungsprämie von 20 Prozent zu Large Caps. Er basiert auf der starken Stellung vieler KMU in attraktiven Nischenmärkten und ihrer Flexibilität, auf Veränderungen rasch reagieren zu können. Dieser Aufschlag ist verschwunden, die Prämie beträgt aktuell gleich null.

Das ruft doppelt nach einer Erklärung. Was liegt dem Rückstand der Small und Mid Caps zugrunde?

Bobtcheff: Ich sehe im Wesentlichen drei Gründe. Der erste ist die im Sommer 2021 erreichte Überbewertung. Small und Mid Caps handelten damals mit einer Prämie von fast 40 Prozent zu Large Caps. Eine Korrektur drängte sich unter diesen Umständen fast auf. Ausgelöst wurde sie durch die Zinswende. Wenn die Zinsen steigen, bekunden Aktien aus der zweiten und dritten Reihe besonders Mühe. Das hat mit dem Bewertungsaufschlag zu tun; je teurer eine Aktie, desto stärker korrigiert sie bei einem Zinsanstieg. Ein zweiter Grund ist eine ungewöhnliche Konstellation an den Märkten im vergangenen Jahr. Die Börsen waren von Makrofaktoren getrieben: Inflation, Zinsen und Wachstumssorgen. Unternehmensspezifische Faktoren und Stock Picking, wie sie bei der Vielfalt von Small und Mid Caps üblich sind, gerieten in den Hintergrund. Bei dieser Entwicklung haben auch technische Aspekte mitgeholfen.

Was meinen Sie damit?

Bobtcheff: Large Caps beziehungsweise die Summe der im Index vertretenen schwergewichtigen Titel wuchsen stärker als die kleineren Unternehmen. Das Gewinnwachstum kam jedoch nur von wenigen Sektoren, war dafür aber umso kräftiger: Von der Handvoll der Branchenleader im IT-Sektor und dank explodierenden Energie- und Rohstoffpreisen von den Öl-, Gas- und Rohstoffkonzernen. Diese Bereiche sind in den populärsten Aktienindices stark vertreten, wogegen Small- und Mid Caps nicht mithalten konnten.

Und der dritte Grund?

Bobtcheff: Die Risikoscheu. Wenn die Zinsen steigen, die geopolitische Lage sich verändert und das Wirtschaftswachstum ungewiss ist, ziehen sich viele Investorinnen und Investoren aus Small und Mid Caps zurück. In den letzten zwei Jahren war der Mittelabfluss beträchtlich, und wenn die Abgaben auf einen Markt treffen, der weniger liquide ist als bei Large Caps, ist der Kursdruck entsprechend grösser.

Wie beurteilen Sie die Chance einer Trendwende für die Aktien kleinerer und mittelgrosser Unternehmen? Unter welchen Umständen kehrt Leben in diese Titelkategorie zurück?

Bobtcheff: Falls sich die Zinsen stabilisieren und eine harte Landung der Wirtschaft ausbleibt – ein hard landing wäre im Gegensatz dazu für alle Aktien schlecht –, kann es schnell gehen. Was die Konjunktur angeht, ist die unmittelbare Zukunft offen. Unsere Erwartung tendiert eher zu einer weichen Landung. Eindeutiger ist die Situation bei den Zinsen. Folgt man den Worten von EZB-Chefin Christine Lagarde, bleiben die Zinsen in Europa zwar noch lange hoch, aber es sollte keine weitere Verteuerung mehr geben. In den USA steht im November voraussichtlich nochmals ein Zinsschritt bevor, danach dürfen aber auch da die Zinsen ruhen. Vor diesem Hintergrund, und nachdem die Bewertungsprämie weggefallen ist, sind Small und Mid Caps so günstig wie noch selten. Ich würde sagen: Der Boden für die Aufholjagd ist geebnet, zumal mit M&A ein weiterer Motor zur Seite steht.

Übernahmefantasie? Wer sind die Käufer und welche Sektoren oder Themen kommen als Übernahmeziel in Frage?

Bobtcheff: Potenziell kommt die ganze Breite des Marktes in Frage, und auch die Käufer sind breit gestreut. Private-Equity-Fonds greifen zu, die gezwungen sind, ihre teils hohen Barmittel einzusetzen. Industrieunternehmen halten Ausschau, um ihren Markt zu konsolidieren, oder Firmen kaufen Titel zurück. Des Öfteren beobachten wir, wie Familienaktionäre ihre Firma von der Börse nehmen, weil sie der Ansicht sind, dass der Markt ihr Unternehmen nicht richtig bewertet.

Fundamental braucht es für einen Kursaufschwung einen Impuls von der Ertragsseite. Wie entwickeln sich die Gewinne im Small- und Mid-Cap-Bereich?

Bobtcheff: Die Aussichten verbessern sich. Für das laufende Jahr erwarten wir für Small- und Mid-Cap-Unternehmen ein durchschnittliches Gewinnwachstum von 5 bis 6 Prozent pro Aktie, wogegen bei den Large Caps der Gewinnverlauf flach sein dürfte. Für die Unternehmen in unseren beiden aktiven Small- und Mid-Cap-Fonds – einer deckt ganz Europa ab und der andere Euroraum – liegt die Latte höher: plus 8 Prozent in diesem und plus 10% im nächsten Jahr.

Weshalb spiegelt sich diese Konstellation nicht oder noch nicht in den Kursen des Segments?

Bobtcheff: Wegen den Zinsen und der Angst der Anleger vor einer harten Landung der Wirtschaft. Noch ist die Skepsis der Investoren gross. Aber je näher der Zinsgipfel kommt, umso mehr rücken Small und Mid Caps wieder in den Fokus. Statt Makrothemen werden die klassischen Bewertungskriterien und die individuelle Aktienbeurteilung wieder an Bedeutung gewinnen.

Worauf legen Sie in den genannten Fonds den Schwerpunkt bei der Titelauswahl?

Bobtcheff: Wir konzentrieren uns auf Unternehmen mit hoher Gewinnvisibilität, starker Wettbewerbsposition, Preissetzungsmacht, Margenausweitung, dem Generieren von freiem Cashflow und einer einwandfreien Bilanz. Oder anders gesagt: Wir fokussieren uns auf qualitativ hochwertige, defensive Wachstumstitel von Firmen mit hoher Ertragskraft. Im aktuellen, von erhöhter Unsicherheit und Volatilität geprägten Umfeld sind diese Eigenschaften für die Aktienselektion zentral.

Gibt es Sektoren, die diesbezüglich besonders positiv hervorstechen?

Bobtcheff: Obschon wir Stock Picker sind und grundsätzlich keine Sektorvorliebe haben, sind einzelne Schwerpunkte in den Portfolios zu erkennen: Technologie, Medizinaltechnik, Industrie- und dauerhafte Konsumgüter – Branchen, die in der Regel ein starkes und nachhaltiges Ertragswachstum aufweisen. Nicht investiert sind wir in der Automobilindustrie, bei Rohstoffen, Öl und Gas sowie im Finanzsektor, weder bei Banken noch bei Versicherungen. Zyklische Sektoren und Aktien mit hoher Volatilität meiden wir.

Unter den Top-Ten der Europa-Fonds von LFDE sind zwei französische Titel zuoberst: Edenred, ein Kartenanbieter für Essensgutscheine und andere Benefits für Mitarbeitende, und Neoen, ein Produzent von erneuerbarer Energie. Auch in der Länderliste dominiert Frankreich. Ist das die Heimatliebe, oder sind französische Unternehmen einfach die besten?

Bobtcheff: (lacht). Nein, das hat nichts mit Heimatliebe zu tun. Wir suchen unabhängig vom Land solide Wachstumstitel zu vernünftigem Preis. Dass wir den französischen Markt sehr gut kennen, liegt in der Natur der Sache. Und weil die genannten Titel stark performen, ist eben auch ihr Gewicht in den Portfolios gewachsen.

Blicken Sie auch in die Schweiz? Schweizer Aktien könnten allein aus Währungsüberlegungen aufgrund des starken Frankens zum Euro erfolgversprechend sein.

Bobtcheff: Wir machen keine Währungswetten. Wenn wir eine gute Idee haben, das Geschäftsmodell interessant und Bewertung und Wachstumsaussichten attraktiv sind, investieren wir. Wir haben ein begrenztes Engagement in Schweizer Aktien, wobei wir in der Schweiz und in Grossbritannien zusammen nicht mehr als 25 Prozent des Fondsvermögens halten dürfen. Das schreibt uns das französische Steuerrecht vor. Wir mögen Schweizer Aktien, aber sie sind leider ziemlich teuer.

Welche Priorität hat die Qualität des Managements bei der Titelselektion, und wie bewerten Sie dieses?

Bobtcheff: Wir bevorzugen ein Management, das eine klare Vision hat, wo sein Unternehmen in vier bis fünf Jahren stehen soll, und welche Strategie dahinführt. Es muss nicht nur zu den Haupt-, sondern zu allen Aktionären einen guten Kontakt pflegen, also auch zu den Minderheitsaktionären. Das vermeidet Nebengeräusche und Störeffekte. Und – wir schätzen Manager mit Charisma, für die Vertrauensbildung und Identitätsstiftung in- und ausserhalb des Unternehmens und im Team sehr wichtig ist.

Wie stehen Sie zu ESG – Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung –, die neubegrifflichen, im Grunde aber für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung sehr alte und grundsätzliche Prinzipien?

Bobtcheff: Das Nachhaltigkeit und die Beurteilung von nachhaltigen Faktoren nicht neu sind, da stimme ich überein. Trotzdem hat die Kapitalanlage mit ESG eine erweiterte Dimension erhalten und ist gekommen, um zu bleiben. Wir schauen uns sehr genau an, ob und wie ein Unternehmen die Kriterien erfüllt, mit einem eigenen Rating. Eine von uns in den letzten Jahren durchgeführte Studie zeigt, dass Unternehmen mit starken ESG-Eigenschaften besser abschneiden als andere. Diese Tendenz wird sich noch verstärken.

Die Managements von aktiven Fonds rühmen sich, gute und direkte Kontakte zu den Unternehmensleitungen zu haben. Stimmt das, und wie offen und ehrlich kommunizieren die Firmenchefs und ihre Teams?

Bobtcheff: Eine interessante Frage, und ohne die Manager jetzt schlecht zu reden – die Erfahrung zeigt, dass man bei ihren Äusserungen eine gewisse Vorsicht walten lassen muss. Nicht selten malen sie ein zu rosiges Bild vom Unternehmen und seiner Zukunft. Prüfen und Gegenprüfen ist deshalb Pflicht. Ohnehin muss man als aktiver Fondsmanager oder aktive Fondsmanagerin das Marktumfeld einer Firma genau kennen, die Konkurrenten, externe Experten konsultieren. Erst das ergibt ein zuverlässiges Bild.

Wie sehen Sie die Zukunft des aktiven Fondsmanagements angesichts der Tatsache, dass passive Investments – aus Kostengründen, und weil viele aktive Fonds die Benchmark verpassen – immer beliebter werden?

Bobtcheff: Dass manche aktive Fonds den Gesamtmarkt nicht übertroffen haben, liegt wie erwähnt nicht zuletzt daran, dass die Aktienmärkte in den letzten zwei Jahren hauptsächlich von makroökonomischen Faktoren und nicht von unternehmensspezifischen Themen bestimmt worden sind. Ich bin überzeugt, dass aktives Management eine Zukunft hat, wenn wie erwartet die Zins- und Wirtschaftslage sich einigermassen stabilisiert und normalisiert. Dann wird Stock Picking wieder zu einer Schlüsseldisziplin, gerade bei Small und Mid Caps, wo firmenspezifische Themen stark dominieren und eine sorgsame Auslese das A und O für den Anlageerfolg ist.

Seit fast zehn Jahren leiten Sie das Small- & Mid Cap-Team von L’Échiquier, und seit 18 Jahren sind Sie eine Spezialistin für Titel aus der zweiten und dritten Reihe. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis aus dieser Zeit, was gefällt Ihnen am Umgang mit dieser Aktienkategorie besonders?

Bobtcheff: Ich mag die Anlageklasse, weil sie einem die Möglichkeit bietet, stets Neues zu entdecken. Das Universum ist riesig. Allein in Europa umfassen die Small- und Mid-Cap-Indices über 1000 Titel. Ich schätze den direkten Kontakt zu den Managements im Small- und Mid-Cap-Bereich, während bei Large Caps die Anlaufstelle zumindest am Anfang oft die Investor Relations ist. Es gibt weniger Analysten, die das Small- und Mid-Cap-Universum abdecken, was auch bedeutet, dass der Begriff 'Konsens' weniger relevant ist, so dass man durch eine eingehende Analyse einen echten Mehrwert erzielen kann. Auf diesem Markt wird es einem nie langweilig.

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