«No pain, no gain» – J.P. Morgan mahnt zur Vorsicht

Nicht mehr Energie und Nahrungsmittel treiben die Inflation. Im Euroraum sind es die Löhne, die stark nach oben weisen. (Bild: Shutterstock.com/pogonici)
Nicht mehr Energie und Nahrungsmittel treiben die Inflation. Im Euroraum sind es die Löhne, die stark nach oben weisen. (Bild: Shutterstock.com/pogonici)

Trotz sinkender Inflation ist die Hoffnung auf Zinssenkungen trügerisch, sagt Tilmann Galler, globaler Kapitalmarktstratege von J.P. Morgan Asset Management. Vor allem steigende Löhne treiben inzwischen die Inflation. Die Kerninflation bleibt so hoch und das Inflationsziel der EZB von 2% in näherer Zukunft unrealistisch. «No pain, no gain», hält Galler fest.

07.07.2023, 10:28 Uhr

Redaktion: hf

Die Inflation hat zuletzt einiges an Schrecken verloren: In der Eurozone fiel sie vom Spitzenwert von 10,6% im Oktober 2022 auf 5,5% im Juni dieses Jahres. In den USA sank sie von 7,7% auf 4,0% im Mai. An den Aktienmärkten hat dies die Volatilität deutlich reduziert: der S&P500 (VIX) fiel im genannten Zeitraum von 33 auf 15.

«Die Aktienmärkte sind offenbar der Ansicht, dass sich das Inflationsproblem ohne größere Verwerfungen aus der Welt schaffen lässt», sagt Kapitalmarktstratege Tilmann Galler von J.P. Morgan Asset Management. Die damit verbundene Hoffnung ist, dass die Notenbanken gewillt sein könnten, die Zinsen relativ schnell zu senken, bevor die höheren Finanzierungskosten der Ertragskraft der Unternehmen und den Privathaushalten grösseren Schaden zufügen.

«Doch das wäre zu schön, um wahr zu sein, warnt Galler vor verfrühter Zuversicht. Denn inzwischen treiben vor allem steigende Löhne die Inflation an. Das Lohnwachstum dürfte dafür sorgen, dass die Kerninflation hoch bleibt. «Das Inflationsziel der EZB von 2% scheint in näherer Zukunft unrealistisch», schätzt Galler.

Neuer Inflationstreiber

Das Inflationsgeschehen hat sich seiner Meinung nach in den letzten Monaten stark verändert. Im vergangenen Oktober dominierte die Energiekrise, als hohe Gas- und Treibstoffpreise mit Abstand die Haupttreiber der Inflation waren. Inzwischen ist jedoch die Energieinflation verschwunden, und in den kommenden Monaten dürfe man sogar deflationäre Effekte erwarten.

Nahrungsmittel sind aktuell der grösste Preistreiber – im Mai trugen sie in der Eurozone über 40% zur Inflation bei. auf sie. Allerdings sinken die Preise für Agrarrohstoffe nach dem Ukraine-Schock im Vorjahr wieder, und auch die Ab-Hof-Preise fallen. Beides waren gemäss Galler in der Vergangenheit recht zuverlässige Indikatoren für die zukünftige Entwicklung der Nahrungsmittelpreise.

Kräftiger Lohnanstieg in der Eurozone

Für problematischer hält der Kapitalmarktstratege die Situation bei der Kerninflation (ohne Energie und Nahrungsmittel). Die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen werde nicht nur durch die Überschussersparnisse aus der Pandemiezeit gespeist, sondern immer mehr auch aufgrund steigender Löhne.

In der Eurozone sind die Löhne im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum so stark gestiegen wie noch nie seit Bestehen der Währungsunion. J.P. Morgan AM zufolge wird sich das Lohnwachstum weiter beschleunigen. Das stärkt die Kaufkraft der Haushalte und hält entsprechend die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen aufrecht, wodurch ein neuerlich inflationärer Druck entsteht.

Abkühlung der Wirtschaft erscheint notwendig

Lohn-Preis-Spiralen sind der Alptraum für Notenbanken, weil sie nicht nur zur Überhitzung der Nachfrage beitragen, sondern auch zu einer «Ent-Ankerung» der niedrigen langfristigen Inflationserwartungen führen können. Die Europäische Zentralbank EZB, aber auch das US-Fed würden alles daransetzen, mit einer restriktiven Zinspolitik den überhitzenden heimischen Arbeitsmarkt abzukühlen – notfalls zum Preis einer Rezession, führt Galler aus.

Aufgrund des aktuellen Arbeitskräftemangels könne dieses Unterfangen sehr viel langwieriger sein, als von den Märkten erhofft. «Wahrscheinlich muss sich die Wirtschaft noch viel stärker abkühlen, bevor steigende Arbeitslosigkeit den Lohndruck mindert», betont der Ökonom.

Marktneutrale Strategien widerstehen dem Druck

Eine längere Periode hoher Zinsen beeinträchtigt den finanziellen Spielraum von Unternehmen, Privat- und Staatshaushalten und erhöht das Risiko einer harten Landung der Konjunktur.

Für die Kapitalmärkte bedeutet dies, so Galler, dass es wieder turbulenter werde und die Volatilität steige. In solchen Marktphasen könnten Makro- und marktneutrale Strategien ihre Stärke ausspielen und helfen, das Portfolio zu stabilisieren, erläutert er mögliche Folgerungen für Anlegerinnen und Anleger.

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