Die neue Energieunabhängigkeit der USA: Fakt oder Fiktion?

In letzter Zeit konnte von einer neuen Energieunabhängigkeit der USA gelesen werden. In einer aktuellen Studie von Investec wird die vermeintliche Energieunabhängigkeit genauer analysiert und relativiert.

02.04.2013, 16:04 Uhr

Redaktion: jf

Seit der "State of the Union" Rede von Richard Nixon im Jahre 1974 als Reaktion auf das arabische Ölembargo ist die Energieunabhängigkeit ein oft wiederholtes Mantra der US Politik. Lange jedoch schien die Energieunabhängigkeit der USA, vor allem bei den fossilen Energieträgern Erdöl und Gas, mehr Wunschdenken als machbare Wirklichkeit zu sein. Dies hat sich geändert, nachdem mit der Einführung neuer Fördermethoden, genannt Fracking, die Produktionsraten von Erdöl und Flüssiggas seit 2005 massiv ansteigen.

Die gesteigerten US Produktionsraten haben zu einer wahren Euphorie und zu einem fast schon unrealistischen Optimismus geführt. So gehen die meisten Konsens-Schätzungen heute davon aus, dass die USA spätestens 2020 von einem Nettoimporteur zu einem Nettoexporteur von Erdöl und Gas werden. Verschiedenste Medienberichte sprechen gar von einem neuen "Saudi-Arabien des Westens". Eine neue Studie von Investec Asset Management zeigt jedoch, dass diese Vorhersagen mit Vorsicht zu geniessen sind.

Energieunabhängigkeit der USA unrealistisch

Charles Whall und Tom Nelson, Co-Portfolio Managers des Investec Global Energy Funds und Autoren der Studie, glauben nicht an eine baldige Energieunabhängigkeit der USA. Ihrer Meinung nach beruhen wesentliche Konsens-Schätzungen auf zwei unwahrscheinlichen Prämissen: Einerseits dass die USA die Produktion von Flüssiggas und von sogenanntem "thight oil", also von Öl, das erst durch das Schaffen von künstlichen Wegsamkeiten aus seinem "dichten" Gestein befreit werden muss, bis 2020 um mindestens 5 Mio. Barrels pro Tag gegenüber 2012 steigern werden. Die Studie geht dem gegenüber von einer Erhöhung in diesem Zeitraum von 2 Mio. Barrels pro Tag aus, was bedeutet, dass die USA weiterhin rund 25% ihres Bedarfs an flüssigen fossilen Brennstoffen importieren müssen.

Der zweite Grund, warum das Erreichen einer Selbstversorgung im Bereich der fossilen Brennstoffe unwahrscheinlich scheint, ist die Abhängigkeit des Verkehrs vom Erdöl. Denn während die USA bei Kohle bereits heute und bei Erdgas aufgrund der einfacheren Förderung von Schiefergas bis 2020 zum Nettoexporteur werden können, ist die amerikanische Automobil-Flotte zu über 97% auf Erdöl angewiesen. Dies dürfte sich aufgrund fehlender politischer Anreize und einer völlig unzureichenden Infrastruktur für den alternativen Brennstoff Erdgas auch in absehbarer Zukunft nicht ändern. Die Konsensschätzungen gehen aber genau von einer solchen teilweisen Substitution von Erdöl durch Erdgas aus.

Tiefgreifender Wandel in der Öl- und Gasindustrie Nordamerikas
Nichts desto trotz sehen die Autoren der Studie eine Periode des tiefgreifenden Wandels in der nordamerikanischen Öl- und Gasindustrie mit signifikanten Investitionsmöglichkeiten voraus. Vor allem die langfristigen Aussichten für die US Erdölförder- und Serviceindustrie beurteilen die Autoren als vielversprechend. Momentan schwindet die Anzahl der Bohrplattformen, da die Bohrgesellschaften aufgrund sinkender Profitabilität durch den geringeren Ölpreis ihr Kapital auf die ertragreichsten Vorkommnisse konzentrieren. Aber im Gegensatz zu konventionellen Ölfeldern ist die Erholungsrate von unkonventionellen, mit Fracking zu erschliessenden Ölfeldern aufgrund der geologischen Beschaffenheit der Vorkommen massiv tiefer, weshalb die Förderraten sehr schnell sinken. Nach Schätzungen der Experten von Investec muss deshalb, um das angestrebte Wachstum in der Ölproduktion zu erreichen, die Zahl der Bohrplattformen bis 2015 in den "tight oil"-Vorkommen verdoppelt werden.

Übernahmeaktivitäten dürften 2013 wieder zunehmen
Investec prognostiziert zudem eine rasche Rückkehr zur Profitabilität im Erdöl-Bohrsektor. Dies dürfte im Jahresverlauf 2013 zu einer erhöhten Nachfrage der Investoren nach Aktien von Erdölservice-Unternehmen führen. Die Experten des Global Energy Funds haben ihr Portfolio dementsprechend positioniert. Eine weitere Folge der erhöhten Nachfrage nach Erdölprodukten wird eine steigende Übernahmetätigkeit im Sektor sein, da integrierte Öl- und Gasunternehmen nicht fähig sein werden, die existierende Produktion organisch zu ersetzen. Sie werden daher versuchen, zusätzliche Förderkapazität dazuzukaufen. Die Hauptübernahmekandidaten sind unabhängige Explorations- und Förderunternehmen mit qualitativ hochstehenden Vorkommen. Zudem dürften weiterhin nationale Erdölunternehmen, vor allem aus dem asiatischen Raum, aktiv Übernahmen tätigen.

Fazit
Obwohl die USA auf absehbare Zeit keine Energieunabhängigkeit erreichen wird, bewertet Investec den Sektor äusserst positiv. Denn die allzu optimistischen Prognosen zu den Förderraten heutiger Quellen unkonventionellen Öls haben dazu geführt, dass Infrastruktur-Investitionen aufgeschoben wurden. Dies wird nach Meinung der Studienautoren dazu führen, dass 2013 Erdöl-Serviceunternehmen deutlich an Attraktivität gewinnen werden. Da das organische Wachstum beschränkt ist, wird ausserdem die Übernahmetätigkeit im laufenden Jahr steigen. Investoren sollten ihr Portfolio dementsprechend positionieren, um von diesen Entwicklungen profitieren zu können.

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