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Probleme der Industrieländer erhöhen Rezessionsrisiken

Die jüngsten Ausverkäufe an den Aktien- und anderen Risikomärkten spiegeln den zunehmenden Eindruck wider, dass die führenden westlichen Staaten der Gefahr einer erneuten Rezession machtlos gegenüberstehen. Die Zentralbanken und Regierungen haben ihr Arsenal zur Bekämpfung des nächsten Abschwungs aufgebraucht. Die globalen Konjunkturdaten verschlechtern sich, und die Euro- Schuldenkrise tritt in eine kritische Phase ein. Vor diesem Hintergrund rechnet Invescos Chefvolkswirt John Greenwood mit weiteren schwierigen Monaten.

13.10.2011, 14:51 Uhr

Redaktion: mak

"Die Weltwirtschaft ist weiter zweigeteilt: Auf der einen Seite stehen die dynamisch wachsenden Schwellenländer in Asien und Lateinamerika, auf der anderen die wachstumsschwachen, krisengeschüttelten Länder Westeuropas und Nordamerikas", schreibt Greenwood in seinem Wirtschaftsausblick für das vierte Quartal 2011. Nachdem sich die Krise in den Industrieländern verschärft hat, schätzt Greenwood das Risiko eines Rückfalls in die Rezession in vielen entwickelten Volkswirtschaften inzwischen höher ein. Obwohl die Emerging Markets generell in einer deutlich besseren Verfassung seien, meint er, dass sich der Wachstumsausblick dieser Länder aufgrund ihrer weiterhin sehr hohen wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Handel mit den Industrieländern ebenfalls eintrüben wird. Positiv sieht er den Rückgang der Rohstoffpreise im Zuge des Ausverkaufs an den Aktienmärkten und der Senkung der Wachstumsprognosen, da dieser "die Gesamtinflationsrate im kommenden Jahr dämpfen und die realen Verbraucherausgaben stützen" werde.

Kaum Spielraum für fiskalpolitische Impulse
In den Industrieländern rechnet Greenwood "dort, wo es noch politischen und wirtschaftlichen Handlungsspielraum gibt", mit weiteren Lockerungsmassnahmen. Allerdings dürfe die Wirkung derartiger Programme nicht überschätzt werden. Die Zinsen haben schon jetzt historische Tiefs erreicht. Zudem zeigt die quantitative Lockerung keine Wirkung, weil sich weder private Haushalte noch Unternehmen weiter bei den Banken verschulden wollen und weil die Banken selbst eine restriktive Kreditpolitik verfolgen, solange sie noch dabei sind, die eigenen Bilanzen zu reparieren. Die Regierungen wiederum haben kaum noch Spielraum für fiskalpolitische Impulse, weil eine weitere Ausweitung der Haushaltsdefizite und Staatsverschuldung zu einem starken Anstieg der Staatsanleiherenditen und – in extremen Fällen – zum Ausschluss von den internationalen und inländischen Kapitalmärkten führen könnte. "In den USA und Europa haben die Regierungen ihre Kreditkartenlimits voll ausgereizt. Es ist Zeit, auf eine neue, nachhaltigere Lösung zu setzen", schreibt Greenwood.

Auf regionaler Ebene sieht der Chefvolkswirt von Invesco vor allem in den USA und der Eurozone eine deutlich höhere Rezessionsgefahr. 2011 werde das reale BIP-Wachstum in den USA 1,7% erreichen, bei einem rohstoffpreisbedingten Rückgang der Gesamtinflationsrate auf 1,1% im Jahr 2012 von 2,8% im Jahr 2011. Greenwood ist skeptisch, ob die jüngste Initiative der Fed zur Stabilisierung der Märkte, die "Operation Twist", die erhoffte Wirkung zeigen wird, nämlich eine Senkung der langfristigen Zinsen. Ausserdem sieht er in den USA wenig Spielraum für weitere fiskalpolitische Stimulusprogramme.

Auch Deutschland rezessionsgefährdet
Der Ausblick für die Eurozone steht und fällt mit der Lösung der Euro-Schuldenkrise, die sich zuletzt weiter verschärft hat. Greenwood zufolge ist die wahrscheinlichste Option eine schrittweise Annäherung an eine Fiskalunion mit einem erweiterten Rettungsschirm zur Unterstützung der Staatsanleihemärkte und Kapitalversorgung der Banken im Euroraum. Sollte es der Politik nicht gelingen, einen grossen Kreditgeber der letzten Instanz zu installieren, "könnten einige Staaten nicht mehr in der Lage sein, ihre Schulden zu refinanzieren, wodurch die Eurozone und viele andere grosse Volkswirtschaften in eine erneute, tiefe und ausgedehnte Rezession gestürzt werden könnten", so Greenwood. Schon jetzt signalisiere der zuletzt starke Rückgang der deutschen Konjunkturindikatoren, dass sogar der Wachstumsmotor der Eurozone am Rande einer Rezession stehen könnte. Invescos Chefvolkswirt prognostiziert für 2011 eine Verlangsamung des realen BIPWachstums in der Eurozone auf 1,6% bei grossen Unterschieden zwischen den an Fahrt verlierenden Kernländern und der stagnierenden oder schrumpfenden Peripherie. Da Greenwood in diesem Jahrmit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 2,4% rechnet, meint er, dass die EZB mit einer Senkung des aktuellen Leitzinses von 1,5% noch einige Monate warten wird.

Entschuldungsphase Grossbritanniens
In Grossbritannien haben die anhaltenden Unruhen in der Eurozone und die unerwartet schwache Auslandsnachfrage die erhoffte Verlagerung der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsbasis von der Binnennachfrage auf Exporte und Investitionen verhindert. Da es sich bei der Rezession der Jahre 2008/2009 um eine durch die Überschuldung der privaten Haushalte und des Finanzsektors verursachte "Bilanzrezession" handelte, bedarf es jetzt zunächst einmal einer ausgedehnten Phase der Entschuldung. Greenwood geht davon aus, dass das reale BIP-Wachstum in Grossbritannien in diesem Jahr 1,2% erreichen wird, bei einer durchschnittlichen Inflationsrate von 4,3%.

Japan: Ende 2012 erneute Deflation
Nachdem die japanische Wirtschaft im zweiten Quartal 2011 zum dritten Mal in Folge geschrumpft ist, steckt das Land längst in einer Rezession. Trotz der ermutigenden Fortschritte der Wiederaufbaumassnahmen nach dem Erdbeben sind die Investitionen im zweiten Quartal erneut gesunken, und auch die Exporte verharren bislang unter ihrem vor dem Erdbeben erreichten Niveau. Greenwood rechnet in Japan in diesem Jahr mit einem realen BIP-Wachstum von -0,8%, gefolgt von +2,3% im Jahr 2012, wobei diese Verbesserung grösstenteils auf den Vergleich mit der erdbebenbedingten Schwäche von Anfang 2011 zurückzuführen sein werde. Ausserdem prognostiziert Greenwood für Ende 2012 eine erneute Deflation.

Harte Landung in China
Im asiatisch-pazifischen Raum hat die Erholung im Zuge des nachgebenden Wachstums in den entwickelten Volkswirtschaften und der inflationsbedingt restriktiveren regionalen Geldpolitik etwas an Fahrt verloren. Trotz dieser Abschwächung rechnet Greenwood in China nicht mit einer harten Landung. Für das Gesamtjahr 2011 geht er von einem realen BIP-Wachstum von 9,4% in China und 7,4% in der Region Asien ex Japan insgesamt aus. Im Erholungsjahr 2010 lag das regionale Wachstum bei 9%. "Obwohl keine der asiatischen Volkswirtschaften immun gegenüber den Entwicklungen im Westen sein wird, sollten sie dieses Mal keinen so drastischen Abschwung erleiden, da ihre Erholung auf einem solideren Fundament steht", meint Invescos Chefvolkswirt.

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