Ist die Börse ein Casino?

Immer wieder kommt es vor, dass sich Aktienkursbewegungen mit den gängigen Methoden nicht mehr so einfach erklären lassen. Die Börse sei doch nur noch ein Casino, heisst es dann häufig. Aber stimmt das denn wirklich? Der aktuelle Marktkommentar von Dr. Martin Kolrep, Invesco Quantitative Strategies.

26.11.2013, 10:39 Uhr

Redaktion: dab

"Fangen wir an mit dem Casino und hier mit einem der am weitesten verbreiteten Spiele, nämlich dem Roulette. In Europa wird Roulette üblicherweise mit 37 Zahlen gespielt, den Zahlen 1 bis 36 sowie der Null, Zéro genannt. Die Auszahlungsquoten im Falle eines Gewinns sind im Prinzip so berechnet, als ob es die Null nicht gäbe. Zwar gibt es leichte Unterschiede, ob es um sich um einfache Chancen (also z.B. Rot oder Schwarz) oder mehrfache Chancen (also z.B. Plein, das Setzen auf eine einzelne Zahl) handelt, aber im Endeffekt sichert sich das Casino so einen Vorteil. Die mittlere Ausschüttungsquote liegt also in etwa bei 98%. Oder anders gesprochen, von allen Einsätzen bekommt das Casino im Mittel rund 2%, ein gutes Geschäft. Kurzfristig - also an einem schlechten Tag - könnte es jedoch sein, dass das Casino mehr ausschütten muss, als gesetzt wird, nämlich wenn die Spieler tatsächlich Glück haben. Langfristig, sofern in der Roulettemaschine alle Zahlen mit gleicher Wahrscheinlichkeit fallen - wovon wir ausgehen - ist das Casino auf der Gewinnerseite und die Summe der Spieler somit auf der Verliererseite.

Und wie sieht das an der Börse aus? Wir haben hierzu den Aktienindex Euro Stoxx 50 betrachtet. Seitdem der Index Anfang 1987 eingeführt wurde, war die Rendite an etwa 53% der Tage positiv und an rund 47% der Tage negativ. Stellt man sich also die Börse wie ein Casino vor, an dem man jeden Tag seinen
Einsatz tätigen muss, stehen die Gewinnchancen grundsätzlich anhand der Wahrscheinlichkeiten gar nicht so schlecht für einen Anleger. Nehmen wir
andere Anlageklassen oder Märkte, sieht das Bild recht ähnlich aus. Die Wahrscheinlichkeit, an der Börse zu gewinnen, war in den vergangenen
Jahrzehnten stets grösser, als die Wahrscheinlichkeit zu verlieren. Kurzfristig kann man jedoch durcheinanderkommen: Die Wahrscheinlichkeiten weichen so geringfügig voneinander ab, dass man sie über kurze Zeiträume oder einzelne Spiele kaum unterscheiden kann. Für kurze Anlagezeiträume ist demnach der Unterschied zwischen Casino und Börse sehr gering und wird von manchen Marktteilnehmern tatsächlich auch so genutzt.

Erst langfristig macht sich der Unterschied zwischen dem Casino und der Börse bemerkbar: Je öfter bzw. länger man im Casino spielt, umso grösser ist die Wahrscheinlichkeit, als Verlierer nach Hause zu gehen. Mit steigender Spielhäufigkeit verliert man mit nahezu absoluter Sicherheit.

Die Börse ist langfristig kein Casino

An der Börse deutet vieles darauf hin, dass es genau umgekehrt ist: Langfristanleger haben eine immer höhere Wahrscheinlichkeit, als Gewinner vom Platz zu gehen, je länger sie investieren.

Schauen wir uns die Zahlen noch etwas genauer an, so stellen wir fest, dass der mittlere Verlust an einem negativen Börsentag einen leicht höheren absoluten Wert hat, als der mittlere Gewinn an einem positiven Börsentag. Die Untersuchung von insgesamt rund 6900 Tagesrenditen des Euro Stoxx 50 Index ergibt geometrische Mittelwerte von -0,94% zu +0,89%. Das schmälert den Vorteil für Anleger, aber dennoch verbleibt ein positiver Erwartungswert von etwa 0,03% pro Tag.

Konsequenzen für Anleger

Der mögliche negative Effekt verstärkt sich sogar noch, wenn die Ausschläge grösser sind. Extreme Tagesrenditen findet man einfach häufiger im negativen als im positiven Bereich. Dies ist aber wiederum ein Unterschied zum Roulette, wo bei einer einfachen Chance der mögliche Gewinn identisch dem möglichen Verlust ist. Genau dieser Unterschied bereitet Aktienanlegern aber gelegentlich Kopfzerbrechen, denn der mühsam erwirtschaftete Gewinn geht schneller wieder verloren, als einem das lieb ist. Moderne Verfahren und neue Ideen aus der Risikosteuerung können dazu beitragen, den Einfluss dieser negativen Effekte einzuschränken. Sie bilden Dr. Martin Kolrep, Senior Portfolio Manager Snapshot - Invesco Quantitative Strategies, November 2013 2 damit eine wichtige Säule eines ganzheitlichen Investmentprozesses."

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