25.11.2024, 14:10 Uhr
Invesco erwartet für 2025 eine Kombination aus sinkender Inflation, geldpolitischer Lockerung und stärkerem Wachstum. Daraus ergibt sich für Paul Jackson, Global Head of Asset Allocation Research «eine vorerst...
Durch Covid-19 hat eine Ära der Unsicherheit begonnen, die tiefgreifende Folgen haben wird für alle Volkswirtschaften weltweit. Vor allem aber werden viele Emerging Markets auf Jahre hinaus in Mitleidenschaft gezogen, meint Justin Leverenz von Invesco.
"Wir sehen unsere seit langem vertretene Überzeugung, dass sich in den Emerging Markets alles um China dreht, einmal mehr bestätigt. Unserer Ansicht nach wird Chinas langfristiger Beitrag zum Wachstum der Weltwirtschaft durch diese Pandemie noch deutlicher hervortreten. Unseren Schätzungen zufolge könnte China in den nächsten Jahren rund 50% des globalen Wachstums erwirtschaften. Andere asiatische Volkswirtschaften – vor allem Taiwan, Südkorea und die südostasiatischen Länder – stehen ebenfalls gut da", sagt Justin Leverenz, CIO Developing Markets Equities und Senior Portfolio Manager bei Invesco.
Dagegen dürften Indiens Defizite durch die Pandemie deutlicher werden. Hier sei mit einer strukturellen Wachstumsschwäche zu rechnen, da sich selbst gut geführte Banken des Privatsektors mit einer Welle fauler Kredite konfrontiert sehen könnten.
Mit Ausnahme von Russland sehen die Experten von Invesco ausserhalb Asiens kaum Schwellenmärkte mit guten Perspektiven. Die grössten Volkswirtschaften in den Regionen Lateinamerika und Europa, Naher Osten und Afrika (EMEA) - Brasilien, Mexiko, Saudi-Arabien, die Türkei und Südafrika - stünden vor einer ganzen Reihe von Problemen, die von einer hohen Auslandsverschuldung und nicht tragbaren Haushaltsdefiziten bis hin zu einer abnehmenden Aktiva-Qualität reichen.
Die Massnahmen, mit denen sich die Regierungen den Folgen der Pandemie entgegengestemmt haben, und der Einbruch von Wachstum und Beschäftigung überall auf der Welt reissen grosse Lücken in die Staatshaushalte. "Uns machen allerdings strukturelle Ungleichgewichte mehr Sorgen als der plötzliche, von der Pandemie ausgelöste zyklische Schock", so Leverenz. Was diese strukturellen Probleme angehe, können die Volkswirtschaften in zwei Gruppen eingeteilt werden: diejenigen, die diese Krise seiner Ansicht nach erfolgreich bewältigen können, und diejenigen, die noch länger unter den Folgen der Krise leiden könnten.
Die starken Länder seien leicht zu benennen und liegen fast ausschliesslich in Asien: Taiwan, Südkorea, Thailand, Indonesien, die Philippinen – und China. Die enormen industriellen, finanziellen und physischen Vermögenswerte in staatlicher Hand untermauerten Chinas Finanzstärke. Allerdings sei das vom IWF berechnete chinesische Staatsdefizit («augmented deficit»), das u.a. auch die Transaktionen der "Local Government Financing Vehicles" berücksichtige, hoch und steige weiter an.
Die Eigenkapitalausstattung der Banken ist in den Emerging Markets insgesamt hoch. Nach vielen Jahren enttäuschender Wachstumsraten und schwachen Kreditwachstums sehen die Experten von Invesco im Bankensystem der EM kaum grössere strukturelle Probleme. Allerdings dürften negative konjunkturelle Faktoren die Gewinne der EM-Banken in diesem Jahr stark unter Druck setzen und offenlegen, wie robust die Banken wirklich sind. "Die Länder mit starken Bankensystemen sind unserer Ansicht nach leicht zu identifizieren - Russland, Peru, Indonesien und die Philippinen, ausserdem vielleicht Ägypten als unerwarteter Kandidat auf dieser Liste. Die Bankensysteme dieser Länder zeichnen sich durch eine geringe Verschuldung, extrem strenge Kapitalanforderungen und eine unserer Einschätzung nach solide Refinanzierungsbasis und hervorragende Liquidität aus", betont Leverenz.
Die drei Risikokandidaten seien die Türkei, Indien und Südafrika. Unter den grossen Schwellenländern stehe insbesondere der türkische Bankensektor durch eine volatile Mischung von externen Finanzierungsrisiken, zunehmend schlechte Aktiva-Qualität und selbstsabotierende wirtschaftspolitischen Entscheidungen unter Druck.
Angesichts der externen Zwänge sollten laut den Invesco-Experten Entwicklungs- und Schwellenländer extrem aufpassen, keine Leistungsbilanzdefizite in Serie zu produzieren. Tun sie das, könnten ihre Währungen abwerten. Ausserdem könnte die Inflation im Inland steigen und das reale Wirtschaftswachstum könnte stark gebremst werden. Auf den ersten Blick mache es den Anschein, dass sich die asiatischen Industriemächte in dieser weltweiten Wirtschaftskrise widerstandsfähiger gezeigt haben, da sie ihre Leistungsbilanzüberschüsse aufrechterhalten haben. Insbesondere Taiwan und Südkorea weisen eine diesbezüglich solide Entwicklung vor.
"Wir leben nicht in einer 'normalen' Zeit und im heutigen EM-Universum sollten Investoren auch die Nuancen im Blick haben. Der dramatische Verfall des Ölpreises und die Rezessionen im Inland könnten helfen, den Zahlungsbilanzdruck in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern zu mindern", meint Leverenz. Dem dürfte aber in vielen Ländern ein starker Rückgang der sogenannten Remittances (Geldüberweisungen ausländischer Gastarbeiter an ihr Heimatland) und des Tourismus entgegenstehen. Beispiele sind die Philippinen, Thailand, die Türkei und die grossen Grenzmärkte.
Das Länderrisiko (das Risiko, dass ein Land seine Schulden nicht mehr bedienen kann) variiert in den Entwicklungs- und Schwellenländern sehr stark zwischen Nettogläubigern und Nettoschuldnern in Bezug auf die Nettoauslandsverschuldung. Zu den Ländern, die ihr Länderrisiko laut den Experten von invesco unter Kontrolle haben, gehören Taiwan, Südkorea, Peru und Russland. Starke Kandidaten finden sich auch in Südostasien mit Thailand, den Philippinen und Vietnam.
Die Länder, die anfällig für ein höheres Länderrisiko sind, liessen sich genauso leicht identifizieren. Zu dieser Gruppe würden wir die Türkei und Südafrika als grössere Volkswirtschaften sowie Ägypten und Pakistan als weniger weit entwickelte Volkswirtschaften zählen. Die Länder mit dem grössten Länderrisiko finden sich gemäss der Einschätzung der Experten vor allem in Argentinien, Ecuador und ein Grossteil von Subsahara-Afrika. Hinsichtlich der Angemessenheit der Währungsreserven sehen sie Russland, Peru, Taiwan und Südkorea am besten aufgestellt.
"Wir befürchten, dass Südafrika einen gefährlichen Weg eingeschlagen hat und grosse Probleme bekommen könnte", sagt Leverenz. Ein Grund dafür sei die nicht haltbare Dynamik der Haushaltsdefizite. Diese wird durch Risiken in staatseigenen Unternehmen, denen sich die Regierung bislang nicht stellen mag, zusätzlich verschärft. Ein anderer Grund seien die aussenwirtschaftlichen Anfälligkeiten und Strukturprobleme der Wirtschaft, d.h. strukturelle Leistungsbilanzdefizite, die nicht durch eine Währungsabwertung behoben werden können, da es dem Land an Wettbewerbsfähigkeit ausserhalb des Rohstoffsektors fehlt. Hinzu kommen die sehr dürftigen Währungsreserven.
Weiter sei da noch die Türkei mit ihrer enormen Auslandsverschuldung, bedeutenden Währungsinkongruenzen (Währungsunterschieden zwischen Erlösen und Verbindlichkeiten) im Unternehmens- und Bankensektor und einer unrealistischen Wachstumssucht der Politik, die allein mit inländischen Ersparnissen nicht zu finanzieren ist.
"Abgesehen von der Möglichkeit einer finanziellen Ansteckung glauben wir, dass die meisten der grösseren Schwellenländer das Jahr 2020 als eine Art 'Gap Year' überstehen werden. Durchaus Sorgen bereitet uns allerdings die Möglichkeit, dass das strukturelle Wachstum in vielen der grösseren Volkswirtschaften über 2020 hinaus ernsthaft beeinträchtigt sein wird. Diese Befürchtung ist in den Trends begründet, die wir derzeit beobachten – einem geringeren globalen Wachstum, strukturell schwächeren Rohstoffpreisen und den potenziell negativen langfristigen Folgen einer höheren Staatsverschuldung. Das reale Wachstumspotenzial vieler grösserer Volkswirtschaften der Emerging Markets wie Brasilien, Mexiko, Indien und Russland könnte auf Jahre hinaus geschwächt sein – es sei denn, diese Länder setzen drängende Strukturreformen um", betont Leverenz. In einer stark gebremsten Weltwirtschaft werde man die wirklichen Wachstumsgewinner fast ausschliesslich in Asien finden können.