14.11.2024, 15:34 Uhr
Sven Württemberger ist zum neuen CEO der DWS Schweiz berufen worden. Zuletzt war er als Head of Client Coverage Division Schweiz für den Vertrieb verantwortlich. Württemberger ist seit 2017 für den deutschen...
Boris Johnson erbt das zerstrittene britische Parlament und die Gegnerschaft der EU, die bereits Theresa May zu Fall gebracht haben. Experten von DWS, Investec AM, Schroders sowie M&G kommentieren die Wahl und ihre Folgen.
Mit 66 Prozent der Stimmen wurde Boris Johnson auf dem Kongress der Konservativen Partei am Dienstag zum neuen Parteichef gewählt und wird heute als Premierminister des Vereinigten Königreichs vereidigt. "Jetzt geht es zurück auf das Terrain des Unerwarteten und Unvorhersehbaren – die Brexit-Realität. Die Volatilität in Politik und Kapitalmärkten dürfte somit bestehen bleiben, was weiter auf den Vermögenspreisen in Grossbritannien lasten dürfte", kommentiert Johannes Müller, Head Macro Research bei DWS, die Wahl. Trotz historisch relativ attraktiver Bewertungen in einigen Bereichen, spreche das weiterhin dafür, britische Vermögenswerte zu meiden.
"Die anhaltende Unsicherheit um den Brexit ist wohl das schlechteste Ergebnis für britische Vermögenswerte", urteilt Jason Borbora-Sheen, Portfolio Manager bei Investec Asset Management. "Daher halten wir es für wichtig, dass Anleger bei britischen Vermögenswerten einen sehr selektiven Ansatz verfolgen." Kaufgelegenheiten dürfte es geben, sobald mehr Klarheit über das Brexit-Ergebnis bestehe, so Borbora-Sheen.
Dass ein ungeordneter (No-Deal-) Brexit ohne Verhandlung unter einem selbsternannten Brexit-Hardliner als neuem Premierminister wahrscheinlicher wird, glaubt Müller nicht, denn der neue Premierminister werde im Parlament mit den gleichen Einschränkungen konfrontiert sein wie seine Vorgängerin Theresa May – unter anderem mit einer Mehrheit gegen einen No-Deal-Brexit.
Zudem dürften mehrere Positionen aufgrund des Rücktritts wichtiger Politiker neu zu besetzen sein. So wollten Finanzminister Philip Hammond, Entwicklungsminister Rory Stewart, Junior-Aussenminister Alan Duncan oder Kulturministerin Margot James eine Johnson-Regierung nicht unterstützen. Azad Zangana, Volkswirt bei Schroders, vermutet, dass Hammond eine Rebellion gegen einen No-Deal-Brexit anführen könnte. In einem kürzlich veröffentlichten BBC-Interview enthüllte Hammond nicht nur, dass er im Falle eines Johnson-Sieges aufgeben würde, sondern weigerte sich auch, die Unterstützung eines Misstrauensvotums gegen die Regierung auszuschliessen. Eine solche Abstimmung werde von der Opposition in den kommenden Tagen sehr wahrscheinlich einberufen, da sie versuche, die Vorteile der Spaltungen in der Konservativen Partei zu nutzen, so Zangana.
Johnson bleibt nun nur ein Tag im Parlament, um sein neues Kabinett zu bilden, bevor die Abgeordneten in die Sommerpause gehen. Am 3. September wird der Parlamentsbetrieb wieder aufgenommen.
Während des Wahlkampfs fuhr Johnson eine harte Linie und forderte die Streichung der Backstop-Klausel im Austrittsabkommen. Andernfalls gäbe es einen No-Deal-Brexit am 31. Oktober, egal unter welchen Umständen (whatever it takes). Die EU hat jedoch signalisiert, dass sie nicht bereit ist, das Abkommen aufzuschnüren, und wird die Wünsche Irlands nach einer Backstop-Lösung weiterhin unterstützen. "Ohnehin wird auch das Parlament den Plänen Johnsons im Weg stehen. Einen No-Deal-Brexit am 31. Oktober durch Suspendierung des Parlaments zu erzwingen, haben die Parlamentarier mittels Beschluss nahezu unmöglich gemacht», sagt Müller.
Zangana schliesst sich Müllers Meinung an: "Es ist klar, dass es keine Mehrheit für die derzeitige Rücknahmevereinbarung gibt und eine deutliche Mehrheit gegen einen No-Deal. In der Tat erwarten wir von den Gegnern von Brexit, dass sie erfolgreich Anträge stellen, die die Regierung zwingen würden, eine Verlängerung zu beantragen, wenn kein Abkommen vom Parlament genehmigt wird." Angesichts der geringen Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Neuverhandlung sei das wahrscheinlichste Ergebnis vor der Brexit-Frist daher eine weitere Verzögerung. Johnsons "Do or Death"-Versprechen während seiner Kampagne sei einfach unglaubwürdig.
Unterdessen betont die Bank of England (BoE) immer wieder die negativen Folgen eines möglichen Brexit. So sagte ihr Gouverneur Carney neulich, dass die Unsicherheit des Brexit dazu führe, dass die britischen Unternehmensinvestitionen im Vergleich zu den G7-Ländern um 12 Prozent zurückgegangen seien. Derzeit befindet sich das zugrundeliegende Wachstum unter dem Potenzial und hängt stark von den weiter ausgabenfreudigen Privathaushalten ab. "Wir glauben nicht mehr, dass die BoE noch mit einer Zinserhöhung plant. Ob sie eine Zinssenkung vornehmen wird, hängt vom weiteren Brexit-Verlauf ab. Sollte es zu keiner Einigung kommen, erwartet die BoE Angebots- und Nachfrageschocks, denen sie mit einer Lockerung der Geldpolitik begegnen würde», sagt der DWS-Experte Müller.
Der Anteil der öffentlichen Ausgaben am BIP liegt auf dem niedrigsten Stand seit dem Haushaltsjahr 2003/04 und die Steuereinnahmen sind inzwischen auf dem höchsten Stand seit 1985/86. "Steuersenkungen und eine gewisse Erhöhung der Ausgaben sind wahrscheinlich, aber beide Massnahmen werden Zeit brauchen, bis sie positive Auswirkungen auf die Wirtschaft haben", erwartet Schroders-Ökonom Zangana.
Die aktuellen Prognosen der DWS gehen von einem BIP-Wachstum von 1,4 Prozent für 2019 und 1,5 Prozent für 2020 aus, basierend auf dem DWS-Hauptszenario eines Verbleibs in der EU oder eines weicheren Brexit-Szenarios. Die Einkaufsmanagerindizes sind im Juni unter die 50er Marke gefallen, was auf eine langsamere Investitionstätigkeit der Unternehmen hindeutet. Der private Konsum bleibt damit der wichtigste Treiber der Wirtschaft. Längere Unsicherheit werde zu mehr Investitionszurückhaltung und weiterer Wachstumsverlangsamung führen.
Insbesondere das Szenario eines No-Deal Brexit würde voraussichtlich zu einer Abschwächung des Pfund Sterling führen und somit die kurzfristigen Wachstumschancen des Vereinigten Königreichs beeinträchtigen, da UK-gelistete multinationale Unternehmen gegenüber inländischen Akteuren bevorzugt würden, so die Einschätzung von Borbora-Sheen von Investec AM. Nach kurzer Zeit würden allerdings Investoren die Situation nutzen und beginnen, nach überverkauften Werten in Grossbritannien zu suchen und ihr Exposure zu erhöhen.
"Brexit oder nicht: Der mittelfristige Ausblick für britische Staatsanleihen bei den heutigen extrem niedrigen Renditen ist bedenklich, selbst wenn die Bank of England die Zinsen senken und die geldpolitische Lockerung wieder aufnehmen sollte. Steuersenkungen und höhere Staatsausgaben sind ein Rezept für weitere Gewinne an den Aktienmärkten, aber die Kursentwicklung des Pfund Sterling und die Entwicklungen der Brexit-Verhandlungen werden eine ebenso wichtige Rolle spielen», meint Tristan Hanson, Fondsmanager bei M&G.