Schwellenländer: Erholung geht nur langsam voran

Einst galten Sie mit zweistelligen Wachstumsraten als Zugmaschinen der Weltwirtschaft. Und tatsächlich haben manche Anleger mit Aktien und Anleihen aus Schwellenländern viel Geld verdient. Inzwischen ist die Euphorie jedoch in Ernüchterung umgeschlagen. Zwar haben die Regierungen teilweise bereits die notwendigen Reformen begonnen, gleichwohl rechnet Bantleon nicht mit einem dynamischen Comeback der aufstrebenden Volkswirtschaften.

30.06.2014, 10:00 Uhr

Redaktion: dab

Während sich die Industrienationen in den vergangenen Quartalen mehr oder weniger hartnäckigen Deflationsängsten gegenübersahen und deshalb immer umfangreichere geldpolitische Lockerungen lancierten – zuletzt die EZB – , ging die Entwicklung in vielen Schwellenländern in die entgegengesetzte Richtung. So litten die BRIC-Staaten mit Ausnahme von China unter zulegenden oder zu hohen Inflationsraten. Die jeweiligen Zielgrössen der Notenbank sind dabei entweder schon überschritten worden, wie in Russland, oder drohen bald überschritten zu werden.

Darüber hinaus hatten die aufstrebenden Volkswirtschaften im vergangenen Jahr mit umfangreichen Kapitalabflüssen zu kämpfen, seitdem die US-Notenbank zum ersten Mal von der Rückführung ihrer ultraexpansiven Geldpolitik sprach. Die damit einhergehenden Währungsabwertungen heizten über verteuerte Importe die Inflation zusätzlich an. Um diesem Preisauftrieb entgegenzutreten und den Kapitalabfluss zu stoppen, sahen sich die Notenbanken zu Leitzinserhöhungen gezwungen. Die indische Notenbank schraubte zuletzt im Februar dieses Jahres ihren Refi-Satz nach oben – auf 8,0% – , Brasiliens Zentralbank hob den Leitzins letztmalig im April auf 11,0% an.

In Anbetracht dieser kontinuierlichen monetären Straffungen verwundert es nicht, dass die Konjunkturdynamik der betroffenen Länder in den vergangenen Quartalen nicht in Schwung kam. Die Aufhellung des aussenwirtschaftlichen Umfeldes, die von der Wachstumsbelebung in den Industrienationen ausging, wurde durch die gedämpfte Binnenwirtschaft spürbar beeinträchtigt. Die Einkaufsmanagerindikatoren spiegeln die daraus resultierende anhaltende Schwächephase mit einer übergeordneten Seitwärtsbewegung auf niedrigem Niveau.

In den nächsten Monaten sollte der Trend aber langsam wieder nach oben gehen. Zwar sieht Bantleon das Risiko, dass die Notenbanken weitere geldpolitische Straffungen zur Inflationsbekämpfung vornehmen müssen. Ungeachtet dessen dürften die Höhepunkte in den Leitzinszyklen bald erreicht sein. Der von der restriktiven Geldpolitik ausgehende Gegenwind sollte entsprechend abnehmen und einer langsam anziehenden Wachstumsdynamik den Weg bereiten.

Dennoch ist nicht mit einem dynamischen Comeback der aufstrebenden Volkswirtschaften zu rechnen, zumindest nicht in den Ländern, die nach wie vor unter grossen strukturellen Problemen leiden. So sind beispielsweise in Brasilien unter anderem die im internationalen Vergleich hohen Lohnkosten eine grosse Belastung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Mit Blick auf Indien ist Bantleon etwas optimistischer. Wenn es der neuen Regierung unter Marenda Modi tatsächlich gelingt, durch tiefgreifende Reformen wie Bürokratieabbau, Deregulierung und Ausbau der Infrastruktur das Wachstumspotential zu heben, könnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wieder stärker wachsen: ausgehend von den zyklischen Tiefstständen bei rund 4,5% in Richtung 8,0%.

Anders als Brasilien und Indien hat China nicht mit Inflationsproblemen zu kämpfen. Dort ist die ausufernde Verschuldung die grösste Herausforderung. Der Bank für internationalen Zahlungsausgleich zufolge wuchsen die Verbindlichkeiten des Privatsektors bis zuletzt weiter. Allein im Jahr 2013 kletterten sie in Relation zum BIP nochmals kräftig um 15%-Punkte auf 175% der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung. Schuldenabbau sieht anders aus.

Der von staatlicher Seite verordnete Schuldenabbau muss also erst noch in Fahrt kommen und ist weiterhin eine schwere Hypothek für das Wirtschaftswachstum in China. Für das 2. Halbjahr 2014 zeichnet sich zwar eine Stabilisierung beim Wachstum des BIPs ab. Neben den selektiven Stimulusmassnahmen der Regierung, wie beispielsweise lokale Mindestreservesatzsenkungen, Vorziehen von Infrastrukturinvestitionen, dürfte auch die Abwertung der Währung um 3% – die kräftigste seit 20 Jahren – einen temporären Impuls liefern.

Allerdings wird dieser vorübergehende Rückenwind die übergeordnete Wachstumsverlangsamung nicht aufhalten. Die Begrenzung des Schuldenwachstums sollte vor allem am Immobilienmarkt Bremsspuren hinterlassen. Der in den vergangenen Jahren aufgelaufene Angebotsüberhang spricht für eine ausgedehnte Korrektur, die sich bis weit ins nächste Jahr hineinziehen wird. Entsprechend hält Bantleon nicht nur an ihrer Prognose einer Abschwächung des BIP-Wachstums im Durchschnitt des laufenden Jahres auf 7,3% fest – nach 7,7% im Jahr 2013. Darüber hinaus gehen sie auch für 2015 von einem weiter nachgebenden BIP-Zuwachs aus: auf 6,9%.

Die Schwellenländer haben also durchaus noch Zugkraft, um die Weltwirtschaft anzuschieben. Zu ihrer alten Stärke werden sie aber nicht so leicht zurückkehren können. In einzelnen Ländern besteht zwar deutliches Potential, wie beispielsweise in Indien – in China werde man sich dagegen an tiefere BIP-Wachstumsraten gewöhnen müssen.

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