14.04.2023, 09:59 Uhr
«Sind niedrigere Staatsschulden, positive Realzinsen und die Finanzierung der Energiewende miteinander vereinbar?», fragt sich Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer, Multi Asset Strategies – EMEA bei...
Die Auswirkungen der Pandemie und des Krieges in der Ukraine schadeten sowohl der Aktien-, als auch der Anleiheperformance. Während Inflation und Wachstum auch 2023 die kurzfristigen Haupttreiber der Märkte bleiben, können sich Anleger auf lange Sicht wieder auf attraktive Renditen freuen, schreibt Nadège Dufossé, Global Head of Multi Asset bei Candriam.
Performance und Volatilität an den Finanzmärkten scheinen weniger durch das absolute Niveau von Inflation oder Wachstumsindikatoren getrieben zu sein als vielmehr durch die Erwartungen der Märkte – oder vielmehr die Lücke zwischen den Inflations- und Wachstumserwartungen einerseits und den Konjunkturdaten andererseits. Diese klafften im vergangenen Jahr sehr häufig auseinander und schufen ein ungünstiges Umfeld für die Finanzmärkte. Das zeigen die Indikatoren der Citigroup für Inflations- und Wachstumsüberraschungen für die wichtigsten Volkswirtschaften.
«So überraschte das Wachstum im ersten Halbjahr 2022 zwar positiv, jedoch stieg die Inflation unerwartet an. Das zwang die Notenbanken zu einer beschleunigten Straffung der globalen Finanzierungsbedingungen und trieb die Zinserwartungen in die Höhe», schreibt Nadège Dufossé, Global Head of Multi Asset bei Candriam. Die Finanzmärkte gaben stark nach, und sowohl Anleihen als auch Aktien – insbesondere Wachstumswerte – stürzten ab. Im Sommer gingen die Inflationserwartungen zurück und die negativen wirtschaftlichen Annahmen gaben Hoffnung, dass die geldpolitische Straffung abgeschwächt wird. Diese Erwartung hat sich nicht bewahrheitet: Die Währungshüter in Jackson Hole blieben «hawkisch», der Optimismus in Bezug auf die Wirtschaftsperformance wuchs und die Inflationserwartungen stabilisierten sich. Das Umfeld war für die Finanzmärkte erneut schlecht und Aktien erlebten einen neuen Tiefpunkt. Seit Ende Oktober haben sich die Inflationsüberraschungen wieder verringert, während die Wirtschaftsdaten etwas positiver ausfielen als erwartet. Das begünstigte die starke Erholung bei Anleihen und Aktien.
Was erwartet Candriam für die nächsten Monate? Inflationsüberraschungen dürften seltener werden, was den Finanzmärkten zugutekommt. Die Quelle von Unsicherheiten dürfte nun das Wirtschaftswachstum werden. Dieses ist mit zurzeit positiven Prognosen nach wie vor widerstandsfähig. «Für die USA rechnen wir mit einer anhaltenden Konjunktur, die eher erfreulich überrascht. Europa könnte dagegen insbesondere aufgrund seiner Abhängigkeit von Gasimporten anfälliger sein. In China wird ein höheres Wachstum als im vergangenen Jahr erwartet», fasst Dufossé zusammen.
Inflations- und Wachstumsüberraschungen, die näher am Breakeven liegen, stellen insgesamt ein günstiges Umfeld für Unternehmensanleihen und Aktien im Jahr 2023 dar. Denn sie bedeuteten weniger Unsicherheit und somit weniger Volatilität. Uneinigkeiten bei den wirtschaftlichen Erwartungen könnten dagegen einen potenziellen neuen Tiefpunkt bedeuten und eine neue «Kapitulation der Anleger» provozieren. Mögliche Auslöser hierfür könnten sein:
«In unserem aktuellen Wirtschaftsszenario sehen wir eine Verlangsamung der Inflation und des Wirtschaftswachstums, jedoch keine schwere Rezession. Daher gehen wir nicht davon aus, dass es in der nahen Zukunft zu einem neuen Tiefpunkt kommt». Die Aktienmärkte dürften sich demnach in einer recht breiten Spanne bewegen, ohne dass es zu heftigen Ausschlägen kommt: Einerseits dürften die Massnahmen der Zentralbanken die Entwicklung der Aktienmärkte nach oben begrenzen, indem sie die finanziellen Bedingungen nicht zu schnell lockern, sollte sich die Wirtschaft gut halten. Andererseits werden sie die Märkte durch ein schnelles Umschwenken der Geldpolitik unterstützen, falls die Wirtschaft zu sehr in die Knie geht.
«Bei Anleihen halten wir den Carry Trade, der durch den Anstieg der Renditen im Jahr 2022 wieder aufgebaut wurde, für attraktiv. Der Rückgang der Inflation dürfte zu einem Rückgang der Volatilität bei Anleihen führen, was wiederum eine Entspannung der Volatilität in anderen Anlageklassen ermöglicht», heisst es zum Ausblick.
Die Finanzmärkte zeigten im Oktober extreme Niveaus: Einen ausserordentlichen Pessimismus der Anleger in Bezug auf die Wirtschaft und die erwartete Entwicklung der Märkte sowie eine historisch hohe Volatilität bei allen Anlageklassen, wie wir sie zuletzt während der Globalen Finanzkrise beobachten konnten. «Ein solcher Pessimismus stellt im Allgemeinen ein starkes konträres Kaufsignal dar. Jedoch endete das Jahr mit einer Anomalie: Es gab keine umfassenden Kapitalabflüsse aus Aktien». Dafür gebe es mehrere Gründe, insbesondere das Fehlen von Alternativen: Immerhin sehe man schon eine Weile, dass sich Aktien- und Anleihemärkte parallel entwickelten.
Nun ändere sich die Situation allerdings wieder. Dies zeigt ein Vergleich der erwarteten Renditen von Aktien und Staatsanleihen aus dem vergangenen Jahr mit dem Vorjahr (2021 und 2022). Der Einfachheit halber wird dabei die Anleiherendite mit der Endfälligkeitsrendite und die Aktienrendite mit der Gewinnrendite gleichgesetzt. Dabei zeigt sich:
«Infolge dieser Entwicklung stieg die erwartete Rendite eines diversifizierten Portfolios 2022 stark an und kehrte zu den Niveaus von 2018 und 2019 zurück, selbst wenn man die Realrendite betrachtet. Diese erwartete Rendite verteilt sich wesentlich ausgewogener auf Aktien und Anleihen. Nachdem die beiden Anlageklassen ein Jahr lang positiv korrelierten und Anleger vor allem durch gemeinsame Abstürze verstimmten, dürfte sich diese Korrelation nun auflösen. Dies bedeutet, dass die Anleihen innerhalb eines diversifizierten Portfolios wieder die Rolle als Stossdämpfer in Zeiten sinkender Aktienkurse spielen können oder zumindest keine zusätzliche negative Performance erzielen», so das Fazit.
Die Rendite eines diversifizierten Portfolios lag in den letzten drei Jahren insgesamt bei null. Angesichts von Krieg und Inflation hat das die Sorge geweckt, dass dies anhalten und zu einem weiteren «verlorenen Jahrzehnt» führen dürfte. In der Geschichte traten die «verlorenen Jahrzehnte» während der ersten beiden Weltkriege, der Zeit der Stagflation der 1970er Jahre und dem Platzen der Blasen in den 2000er Jahren auf. Doch davon geht Candriam nicht aus. «Wenn den Zentralbanken das gelingt, was sie sich im vergangenen Jahr vorgenommen haben – nämlich die Inflation unter Kontrolle zu halten, ohne eine schwere Rezession auszulösen – bleiben wir für die kommenden Jahre insgesamt konstruktiv. Sieht man einmal von aussergewöhnlichen Ereignissen ab, dürfte sich für Anleger in absehbarer Zeit wieder die Harmonie einstellen, die die Pandemie und der Kriegsausbruch unterbrochen hatten, schreibt Dufossé.