Zinsen auf Tiefstständen - wie weiter?

14.09.2010, 11:51 Uhr

Wirtschaftsabkühlung, keine Rezession, aber auch keine Deflation - dies ist die Aussicht für 2011 von Dr. Thomas Steinemann, dem Chefstrategen der Vontobel-Gruppe. Er findet ausserdem, dass die Obligationenmärkte übertrieben haben und erwartet leicht steigende Zinsen.


"Im August hat sich die Abwärtsbewegung der Obligationenrenditen weltweit

nochmals beschleunigt. Schwächere Konjunkturdaten aus den USA und die

Ankündigung der

US-Notenbank, wenn nötig eine zweite Runde des sogenannten «quantitative

easings» durchzuführen, also das Aufkaufen von Staatsobligationen gegen

frisch

gedrucktes Geld, brachten die Zinsen für Staatsanleihen beinahe wieder

auf die Niveaus von 2008. Damals herrschte inmitten der

Finanzkrise für kurze Zeit

eine Deflation und die globale Konjunktur stand am Rand des Abgrundes.

2009 betrug dann das Wirtschaftswachstum beispielsweise in Euroland

-4.1%, was den grössten

Konjunktureinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg bedeutete. Offenbar gehen

die Obligationenmärkte von einem ähnlichen Szenario für das kommende

Jahr aus.


Unser Hauptszenario lautete jedoch anders: Die Wirtschaft kühlt sich

2011 zwar ab, gleitet aber nicht in Rezession ab und eine Deflation -

also ein

rückläufiges Preisniveau - kann vermieden werden. Der Hauptgrund für die

erwartete Abkühlung besteht darin, dass die Staaten ihre fiskalische

Stimulierung

nicht mehr im gleichen Ausmass wie in diesem Jahr fortführen und ihre

Defizite nicht mehr anwachsen lassen wollen. Da die privaten Haushalte

aber ihre Schulden noch nicht

abgetragen haben, wird der private Konsum im kommenden Jahr noch keine

bedeutende Stütze des Wachstums sein. Ein Rezessions- und

Deflationsszenario, so wie dies die

Obligationenmärkte zurzeit einpreisen, erscheint in den USA nur dann

realistisch, falls die Immobilienpreise erneut einbrechen würden. Denn

dann kämen die Banken

erneut unter Druck, weil der Abschreibungsbedarf wieder stiege und somit

die Stabilität des Finanzsystems erneut unterminieren würde. In Europa

besteht das Risiko

hingegen eher im Bankrott eines oder mehrerer südlicher EU-Länder, was

die europäischen Banken in Verlegenheit brächte.


Wir gehen somit davon aus, dass die Obligationenmärkte übertrieben haben

und die Zinsen trendmässig - wenn auch nur leicht - ansteigen werden.

Was

bedeutet das für die Anleger? Staatsobligationen erstklassiger Länder

waren nach Immobilien die beste Anlageklasse in diesem Jahr. Zwar können

kurzfristig noch

tiefere Niveaus bei neuerlichen Krisen nicht völlig ausgeschlossen

werden, aber das Renditepotential erscheint nun ausgereizt.

Unternehmensanleihen, Wandelanleihen und

Immobilienanlagen haben alle zwar ein höheres Risiko, kommen aber dem

Risikoprofil von Staatsobligation im Vergleich zu den übrigen

Anlageklassen doch am nächsten.

Auch in diesem Umfeld bewahrheitet sich die alte Erkenntnis, dass höhere

Renditen nur mit höherem Risiko zu erwirtschaften sind." (cl)

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