ING: "Sieben Themen werden die Portfolios prägen."

12.08.2010, 15:06 Uhr

Wirtschaftswachstum und Digitale Revolution sind die wichtigsten Investmentthemen der näheren Zukunft, davon ist Tycho van Wijk, Manager des ING (L) Invest Global Opportunities, überzeugt. In einem aktuellen Interview mit ING Investment Weekly identifziert er zusätzilch sieben langfristige Haupt-Anlagethemen und kommentiert die Auswirkungen der europäischen Staatsschuldenkrise auf den Rest der Welt.



Tycho van Wijk
Senior Investment Manager Equities und Manager des ING (L) Investment Global Opportunities

Investment Weekly: Was sind Ihre langfristigen Investmentthemen für die Weltkonjunktur?

Tycho van Wijk: Wir gehen davon aus, dass unsere sieben Hauptthemen (Wandel des Verbraucherverhaltens, Digitale Revolution, Wirtschaftswachstum, Umweltveränderungen, Industrielle & Technische Innovation, Demografischer Wandel sowie Sozialer & Politischer Wandel) zumindest während der nächsten zehn Jahre das Portfolio prägen werden. Dabei sind wir zuversichtlich, dass diese sieben Schlüsselthemen die wichtigsten Antriebskräfte der Aktienmärkte abbilden werden. Asien und Lateinamerika sollen im kommenden Jahrzehnt ein stärkeres Wirtschaftswachstum erleben als die westlichen Volkswirtschaften. Diese Schwellenländer werden nicht nur wirtschaftlich und demografisch wachsen, sondern auch im Hinblick auf ihr politisches Gewicht auf der internationalen Bühne. Nichts wird diesen Prozess stoppen können. Natürlich verläuft der Globalisierungsprozess nicht immer geradlinig; es wird zwangsläufig zu Rückschlägen kommen, die das Wachstum in bestimmten Zeiträumen begrenzen. Wir betrachten solche Zeiträume als Kaufgelegenheiten.

Ein weiteres Thema, das bei allen globalen Entwicklungen zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist der Demografische Wandel. Die Überalterung der Bevölkerung ist ein sehr reales Phänomen, dem man nur schwer entgegentreten kann. Aber es sind nicht nur die Industrieländer, die sich mit diesem Problem auseinandersetzen müssen. Auch Länder wie China werden seine Konsequenzen zu spüren bekommen. Gleichzeitig führt die Bevölkerungsalterung dazu, dass Informationstechnologie und industrielle Innovation immer wichtiger werden. Das BIP ist das Ergebnis der Arbeitsproduktivität der erwerbstätigen Bevölkerung eines Landes. Nimmt der Anteil der Erwerbsbevölkerung ab, muss man die Arbeitsproduktivität durch technologische Innovation erhöhen – andernfalls sinkt die Wirtschaftsleistung.

IW: Welche Entwicklung erwarten Sie bis Ende 2011?

TvW: Die wichtigsten Anlagethemen für die nähere Zukunft sind immer noch Wirtschaftswachstum und Digitale Revolution. Unserer Überzeugung nach werden Unternehmen, die sich in Wachstumsregionen engagieren, bis auf weiteres überdurchschnittlich gut abschneiden. Das gilt umso mehr, als dass Wachstum im gegenwärtigen globalen Umfeld zunehmend seltener wird. Unternehmen, die ein anhaltendes Gewinnwachstum bieten, werden aller Voraussicht nach den Gesamtmarkt übertreffen. Im Zuge der dynamischen Wachstumsentwicklung in China und Indien bildet sich zudem eine neue Art von Konsumenten an den Schwellenmärkten heraus, die über zunehmende Kaufkraft verfügen.

Innerhalb des Themenbereichs Wirtschaftlicher Wandel sehen wir Energie, Einzelhandel & Konsumausgaben sowie Finanzdienstleistungen als die wichtigsten Unterthemen. Gerade in Ländern wie China und Indien, wo die Verbraucher wenig oder keine Schulden haben und auch der Durchdringungsgrad von Versicherungen nur sehr schwach ist, ist das Finanzdienstleistungsgeschäft ein rasch wachsender Sektor. Im Rahmen ihrer Politik, die Binnennachfrage zu stärken und die Exportabhängigkeit des Landes zu reduzieren, fördert die chinesische Regierung aktiv das Interesse an Konsumentenkrediten, Hypotheken und Versicherungspolicen. Letztlich geht es darum, den chinesischen Verbraucher zum Geldausgeben zu bewegen. Das führt automatisch zu einem weiteren interessanten Unterthema: Einzelhandel & Konsum. Die Schwellenländer erleben zurzeit einen stetigen Anstieg ihres Wohlstands und ihrer Kaufkraft und passen nun auch ihre Konsummuster an (man denke an den Trend zu Luxusgütern und „westlichen“ Lebensmitteln). Die Aktien derjenigen Unternehmen, die den Wandel im Konsumverhalten für sich nutzen können, werden in absehbarer Zukunft höher tendieren. Überdies stellen wir fest, dass der Energieverbrauch in den Schwellenländern im Vergleich zu den USA geradezu schockierend niedrig ist. Wir gehen zwar nicht davon aus, dass der Gesamtverbrauch an Energie in den Schwellenländern auf US-Niveau klettern wird. Nimmt man aber an, dass die chinesischen Verbraucher nur ungefähr die Hälfte des von der US-Bevölkerung derzeit verbrauchten Benzins benötigen werden, dann gibt es einfach nicht genug Erdöl, um diesen Bedarf zu decken. Energie (Erdöl) wird in Zukunft also knapp sein.

Das zweitwichtigste Thema ist die Digitale Revolution. Erst jetzt wird klar, welche Fortschritte und welche Grundlagen während der IT-Blase in den 1990er Jahren erzielt bzw. geschaffen wurden. Wichtige Unterthemen sind hier Cloud Computing, der Digitale Konsument und Digitalisierung. Wir alle wissen, wie tiefgreifend das Internet die Entwicklung der globalen Gesellschaft verändert hat. Aber weitere techno-logische Veränderungen – wie beispielsweise Cloud Computing und Virtualisierungstechnologien – stecken noch in den Kinderschuhen. Cloud Computing ermöglicht den Zugriff auf Dateien (Remote Storage) und Anwendungen („Software as a Service“ (SaaS)) von jedem Ort und über unterschiedliche Geräte, wie Laptops, Handys, Smart Phones oder Tablet-PCs. Für diese Architekturen brauchen wir eine andere globale IT-Infrastruktur. Wir haben bereits eine Reihe von Unternehmen identifiziert, die immens von dieser Entwicklung profitieren werden. Gleichzeitig steigen mehr und mehr Verbraucher in die digitale Welt ein – wir wollen die neuesten Filme und die neuesten Alben herunterladen, wir wollen über soziale Netzwerke wie Facebook mit unseren Freunden in Kontakt bleiben.

IW: Wie wirken sich die jüngsten Ereignisse in Europa auf die wirtschaftlichen Perspektiven des Kontinents und den Rest der Welt, vor allem Asien, aus?

TvW: Die aktuelle Wirtschaftslage bestätigt unser Vertrauen in die Themen und Unterthemen, in die wir investieren. Die europäischen Regierungen werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um die aktuelle Staatsschuldenkrise zu bewältigen. Wir erwarten daher eine Fortsetzung des Integrationsprozesses innerhalb der Europäischen Union und einen starken Trend hin zu einer fiskalischen Union. Das bedeutet, dass zahlreiche Regierungen Sparmassnahmen umsetzen werden – nicht nur Griechenland, Spanien, Portugal und Irland, sondern auch Deutschland und Frankreich. Somit wird der Druck auf den europäischen Verbraucher anhalten und wir werden zunehmend auf die Entwicklung der Konsumausgaben in den Schwellenländern fokussieren. Zugleich profitieren wir auch davon, wenn europäische Verbraucher sich auf der Suche nach besseren Preis-Leistungs-Verhältnissen an preiswerteren Produkten orientieren. Das langsamere Wirtschaftswachstum in Europa wird auch exportabhängige asiatische Unternehmen belasten, die grösstenteils vom europäischen Verbraucher abhängen. Wir ziehen daher asiatische Unternehmen vor, die in erster Linie auf eine „hausgemachte“ Erholung in Asien abzielen.

IW: Sind Finanzwerte in den USA und Europa immer noch ein bedeutendes Thema?

TvW: Wir erwarten, dass sowohl europäische als auch US-Finanzwerte in der näheren Zukunft Schlagzeilen machen werden, da die meisten, wenn nicht sogar alle, risikobezogenen Problematiken – Staatsverschuldung, Unternehmensverschuldung, Bonuskultur usw. – im Zusammenhang mit diesem Sektor stehen. Nach unserem Dafürhalten lässt sich die wichtigste Triebkraft für europäische und US-Finanzwerte am besten über das Unterthema „Rules Review“ im Hauptthema Sozialer & Politischer Wandel darstellen. Wir zielen darauf ab, diejenigen Finanzwerte zu ermitteln, die – ob positiv oder negativ – von der zunehmenden Regulierung und stringenteren staatlichen Massnahmen betroffen sind, und die Folgen einzuschätzen. Das ist also sowohl ein risiko- als auch ein chancenbezogenes Thema. Auch bei Finanzwerten halten wir nach Chancen an den Emerging Markets Ausschau und bemühen uns, diejenigen Titel herauszufiltern, die in diesen Regionen am stärksten profitieren werden. Andererseits halten wir auch Positionen in Finanzwerten aus Industrieländern, sofern sie hervorragende Bilanzen, nur minimales Risiko im Hinblick auf ausfallgefährdete staatliche Gläubigerpapiere sowie höchste Ertragsstabilität aufweisen.

IW: Was sind die Top-Investmentthemen für Asien?

TvW: Die aktuellen Investmentthemen für Asien sind die sogenannten Hard und Soft Commodities sowie die Unterthemen Energie, Einzelhandel & Konsum sowie Finanzdienstleistungen. Unser Interesse an Unternehmen und Aktien der Bereiche Finanzdienstleistungen, Einzelhandel und Konsum sowie Energie ergibt sich bereits aus unserem Thema Wirtschaftswachstum: Das enorme Wachstum in den Entwicklungsländern wird zu einer strukturell höheren Nachfrage nach Soft Commodities (z. B. landwirtschaftlichen Rohstoffen) und Hard Commodities (z. B. Metallen) führen. China und Indien mangelt es an natürlichen Ressourcen, sie müssen daher Kupfer, Zink, Eisenerz usw. einführen, um ihre vielfältigen Infrastruktur- und Urbanisierungsprojekte durchführen zu können. Gleichzeitig erfordern die sich wandelnden Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung in den Schwellenländern eine Steigerung der Ernteerträge in China und Indien. Last but not least wird die steigende Nachfrage nach Soft Commodities zu höheren Lebensmittelpreisen führen, auch in den Industrieländern. (ng)

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