23.12.2024, 14:23 Uhr
In eigener Sache: 2024 war nicht nur an den Börsen ein erfolgreiches Anlagejahr mit neuen Rekordständen. Auch Investrends hat mit weit über 2000 publizierten Beiträgen eine neue Höchstmarke erreicht und wird im...
Mitte Woche gibt die US-Notenbank aller Voraussicht nach das Startsignal zum Tapering, der Reduktion der milliardenschweren Wertpapierkäufe. Uneinig sind sich die Beobachter über den nächstfolgenden Schritt, die Normalisierung der Zinsen. Egal, wie man es dreht und wendet: Das Fed tanzt auf dem Hochseil. Die Märkte lässt das nicht unberührt.
Während beispielsweise die Schweizerische Nationalbank und die Europäische Zentralbank zur Aufgabe haben, für Geldwertstabilität zu sorgen, ist die US-Notenbank noch einem anderen Ziel verpflichtet: der Vollbeschäftigung am Arbeitsmarkt. Neu kommt eine dritte, zwar inoffizielle, aber realitätspolitisch unmissverständliche Sache hinzu: den Staat angesichts seiner exorbitanten Verschuldung nicht mit wesentlich höheren Zinsen an die Wand zu fahren.
Dieser Herausforderung sieht sich auch die Europäische Zentralbank gegenüber. Die meisten EU-Länder sind noch stärker verschuldet als die USA. Aber Konjunktur und Inflation entwickeln sich diesseits des Atlantiks schwächer als in Amerika, was der EZB zumindest auf der Zeitachse die Aufgabe erleichtert.
In den USA ist die Jahresteuerung im September auf 5,4% gestiegen. In der Schweiz betrug sie im Oktober 1,2%, in Deutschland 4,5%. Der Handlungsbedarf für das Federal Reserve Board (Fed), mit dem ersten Schritt voranzugehen, liegt demnach auf der Hand.
Wenn das Fed dieser Woche das Tapering startet, sinken die monatlichen Wertpapierkäufe von derzeit 120 Mrd. Dollar zunächst um voraussichtlich 15 Mrd. Dollar, schätzt der Chef-Ökonom der Feri-Gruppe, Axel D. Angermann. Bis zum Sommer 2022 könnten sie ganz auf Null sinken.
Doch bis dahin wächst die Bilanzsumme der US-Notenbank weiter auf mehr als 9 Bio. Dollar, schätzt Angermann. Das wären rund zehnmal so viel wie 2008 und mehr als doppelt so hoch wie vor der Corona-Pandemie. Dazu bemerkt Angermann, dass diese ersten Schritte zur geldpolitischen Straffung nichts an der grundsätzlich expansiven Ausrichtung der Geldpolitik ändere: "Der Einstieg ins Tapering wird die Geldflut nicht stoppen".
Also sind weitere Schritte nötig, sofern Konjunktur und Inflation nicht erschlaffen, was aus heutiger Sicht unwahrscheinlich ist. Ein Anstieg der Leitzinsen wird die Märkte beschäftigen, stärker noch als das Tapering, das seit Sommer die Investoren verschiedentlich in Aufregung und Nervosität versetzt hat. Eine Zinssteigerung hat symbolisch, aber auch realwirtschaftlich mehr Gewicht als das Eindämmen der Wertpapierkäufe.
Das deutsche Investmenthaus geht von einer Zinserhöhung des Fed im kommenden Jahr aus. Die momentane Erwartung an den Märkten, dass es gleich zu zwei Zinsanhebungen kommen werde, "ist zwar im Lichte anhaltend hoher und weiter steigender Inflationsraten nachvollziehbar. Auch Fed-Vertreter haben zuletzt Zweifel geäussert, dass die höhere Inflation tatsächlich nur vorübergehenden Charakter hat, wie es bislang kommuniziert wurde", räumt Angermann ein. Eine zweifache Zinsanhebung 2022 sei jedoch wenig wahrscheinlich.
Bei dieser Überlegung spielt auch der zweite Hut eine Rolle, den die US-Notenbank trägt. Sie macht ihre Zinsentscheide auch davon abhängig, ob Vollbeschäftigung erreicht wird. Das impliziert eine Arbeitslosenquote von unter 4% (aktuell 4,8%), eine Beschäftigung, die ungefähr dem Niveau von Anfang 2020 entspricht und ein spürbar anziehendes Lohnwachstum unabhängig von pandemiebedingten Verzerrungen, wie sie am Arbeitsmarkt derzeit noch beobachtet werden können.
Es sei zwar möglich, dass diese Voraussetzungen bereits im kommenden Jahr erreicht werden – "sehr wahrscheinlich ist es aber nicht", meint der Feri-Chefökonom.
Schliesslich tritt ein weiterer Faktor hinzu. Spätestens mit der Corona-Krise haben die Notenbanken ein neues geldpolitisches Regime etabliert, das die mehr oder weniger offene Finanzierung der Staaten "nicht ausschliesst", formuliert es das deutsche Investmenthaus vorsichtig. Angesichts der im Zuge der Pandemie auf mehr als 130% des BIP angeschwollenen US-Verschuldung gewinnt dieser Aspekt an Gewicht, "weil steigende Zinsen sehr schnell die Handlungsfähigkeit der US-Regierung an Grenzen bringen und das generelle Vertrauen in die Schuldentragfähigkeit des Landes erschüttern könnten".
Die Lage wird dadurch verschärft, dass die laufende politische Debatte im Kongress keine ernsthaften Massnahmen zur Begrenzung der Verschuldung erwarten lässt. Im Gegenteil, weil die Demokraten die Ausgaben weiter steigern wollen, die Republikaner aber gegen jede Form von Steuererhöhungen sind, ist nicht nur für Feri ein weiteres Anwachsen des Schuldenberges das wahrscheinlichste Szenario.
Die US-Notenbank Fed wird darauf Rücksicht nehmen (müssen), gerät aber in immer mehr ins Dilemma. Langsame Zinssteigerungen könnten könnte zu wenig sein, um die Inflation einzudämmen, eine unzureichend oder zu spät gebremste Inflation könnte ihrerseits die Langfristzinsen nach oben treiben, die bisher nicht unmittelbar vom Fed kontrolliert werden.
Ein Szenario, in dem die Notenbank mittelfristig – nach japanischem Vorbild – zu einer Kontrolle der Langfristzinsen übergehen könnte, bleibt für den Feri-Experten denkbar.
Dem ist anzufügen, dass der amerikanische Markt ungleich globaler ist als der japanische und in diesem Fall gröbere Kursverwerfungen die logische Folge wären, nicht in diesem, aber im nächsten Jahr, je konkreter die Zinswende des Vorreiters Amerika wird.
Jemand, der sich auch in unruhigen Zeiten nicht aus der Ruhe bringen lässt, ist Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank. Auch er richtet seinen Blick in die USA. In den "investment views" von Anfang Woche stellt er sich auf den Standpunkt, das Fed sehe die Anpassung ihrer Geldpolitik hin zu restriktiveren Bedingungen im ähnlichen Rahmen wie zwischen 2016 und 2019. "Damit wird die Wirtschaft in den USA und werden die Finanzmärkte umgehen können", meint er.
Die Rendite der zehnjährigen 10-jährigen US-Treasuries würden den Höchststand von 2019 von 3,25% (aktuell sind 1,39%) nicht massiv übersteigen. "Damit werden die gesunden Firmen, und das sind die meisten, keine Probleme bekommen", so Stucki.
Gefährlich würde es erst, wenn das Fed wie in den 1970er- und 1980er-Jahren den Leitzins innert kurzer Zeit um mehrere Prozentpunkte anhebt. Das würde die Konjunktur abwürgen und die Aktienmärkte arg belasten.
"Davon gehe ich nicht aus, da die Inflationsrate im nächsten Jahr zwar höher als vor Corona bleibt, aber gegenüber heute wieder sinken wird", gibt er sich beruhigt. Zudem habe die US-Notenbank aus ihren Fehlern während der letzten Zeit mit hohen Inflationsraten, als sie zu stark auf die Bremse getreten war, gelernt.
Eine US-Leitzinserhöhung im nächsten Jahr erwartet wie Feri auch die Raiffeisenbank, konkret per Ende 2022. Das mag noch weit entfernt sein. Trotzdem äussert sich die Bank vorsichtig: "Der zunehmende Inflationsdruck sowie steigende Zinsen sind Gift für Anleihen. Wir bleiben entsprechend stark untergewichtet."
Keinen Änderungsbedarf sieht sie für ihre "eher vorsichtige Aktienpositionierung". Innerhalb der leicht untergewichteten Aktienquote favorisiert Raiffeisen den Heimmarkt Schweiz sowie Schwellenländeraktien. Potenzial sieht sie zudem beim Gold, wie CIO Matthias Geissbühler erklärt.
Der Anlageexperte richtet sein Augenmerk auf ein stagflationäres Umfeld, bei dem Unternehmen zu den Gewinnern gehören, die Preissetzungsmacht haben und steigende Inputpreise weitergeben können. Solche defensiven Qualitätstitel macht er vor allem im Nahrungsmittel- und Konsumgütersektor aus.
"Nicht zuletzt deshalb präferieren wir aktuell den Schweizer Aktienmarkt", erklärt er. Und Gold gelte ebenfalls als klassischer Stagflationsprofiteur.