Brasilien übernimmt chinesisches Wachstumsmodell

13.09.2010, 11:38 Uhr

China wird vermehrt zum Vorbild für weitere Emerging Markets. Vor allem Brasilien fällt durch eine expansive Geldpolitik und starkes Wachstum auf. Marteen Jan Bakkum, Senior

Product Specialist / GEM Strategist

bei

ING Investment Management, kommentiert die zunehmende Nachahmung des chinesischen Erfolgmodells.



Marteen Jan Bakkum,
Senior Product Specialist / GEM Strategist bei ING Investment Management

"Unter Berücksichtigung

von Preis- und Wechselkursdifferenzen zur übrigen Welt hat sich das

Pro-Kopf-Vermögen Chinas in den vergangenen beiden Jahrzehnten verneunfacht.

Alle anderen Schwellenländervolkswirtschaften haben im Gegensatz dazu nur

bescheidene Zuwächse beim Wohlstand erzielt. Mit einer vierfachen Steigerung ist

Indien immerhin der Spitzenreiter unter den übrigen Ländern, während Russland

und die Philippinen mit einem Faktor unter 2 am schwächsten abschneiden. Und

auch Brasilien bringt es nur auf einen Faktor von knapp über

2.

Der riesige Vorsprung

Chinas gegenüber den anderen Schwellenländern ist der Hauptgrund, warum das

chinesische Wirtschaftsmodell oder zumindest Teile davon in zunehmendem Masse von

anderen Volkswirtschaften übernommen wird. So waren die Realzinsen in Indien in

den vergangenen beiden Jahren negativ und stellen damit eine völlige Umkehr der

bisherigen zurückhaltenden Geldpolitik der indischen Zentralbank dar. Doch der

Druck, Wirtschaftswachstum zu sichern und nicht zu weit hinter dem grossen

Nachbarn China zurückzubleiben, ist einfach zu stark. In den meisten anderen

Schwellenländern ist die Geldpolitik jetzt entweder lockerer als (jemals) zuvor

oder der Investmentansatz der Regierung hat sich erheblich

geändert.

Auch in Brasilien, wo das

Wirtschaftswachstum jahrzehntelang hinter anderen Schwellenländern

hinterherhinkte, ist der Groschen jetzt sozusagen gefallen. Seit die Kreditkrise

2008 die USA und Europa in Atem hielt, hat Brasilia seine Kreditvergabe über die

staatliche Förderbank BNDES stetig ausgeweitet. Das war zunächst sicherlich

keine schlechte Idee, da die Privatbanken in den Krisenmonaten von 2008 kaum in

der Lage waren, neue umfangreiche Investmentprojekte zu finanzieren. Inzwischen

sind die brasilianischen Privatbanken zwar wieder in guter Verfassung, aber die

BNDES setzt ihre expansive Politik fort. Das Kreditneugeschäft wuchs 2008 und

2009 um 40-50 Prozent. Angesichts der lebhaften Kredittätigkeit in der ersten

Jahreshälfte wird das durchschnittliche Wachstum 2010 sicherlich nicht geringer

ausfallen.

Die Finanzierung grösserer

und häufig prestigeträchtiger Infrastrukturprojekte durch eine staatliche Bank

ist in China gang und gäbe. Diese Strategie wird durch die hohe

Investitionsquote von über 45 Prozent noch untermauert; damit liegt Chinas

Wachstumstrendrate zwischen 6 und 9 Prozent. In Brasilien liegt die

Investitionsquote dagegen nur bei 19 Prozent. Die Regierung will diese Quote in

den kommenden Jahren auf 24 Prozent steigern, um eine potenzielle Wachstumsrate

von 5-6 Prozent zu erreichen. Mit seiner BNDES-Strategie könnte es der Regierung

durchaus gelingen, in den nächsten Jahren seine Wachstumsziele

umzusetzen.

Zwar wird diese Strategie

kurzfristig wohl kaum zu finanziellen Problemen führen, langfristig bestehen

aber sicherlich Risiken. Getrübte Transparenz der brasilianischen Fiskalpolitik,

ineffizientere Kapitalzuweisung, ein sich ausweitendes Leistungsbilanzdefizit

sowie allgemein zunehmende staatliche Eingriffe in der Wirtschaft sind reale

Sorgen, derer sich Investoren bewusst sein sollten." (cl)

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