02.12.2024, 10:49 Uhr
«Europa steht wirtschaftlich unter Druck und muss seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen globalen Wirtschaftsmächten – insbesondere den USA – verbessern», heisst es im neuesten Marktausblick des...
Anleger bewegten sich jüngst dank einer unterstützenden Geldpolitik aus ihren sicheren Häfen heraus, wie Neuberger Berman feststellt. Die Folge: Der grösste Ausverkauf von US-Staatsanleihen seit drei Jahren. Auch die Rendite 30-jähriger deutscher Staatsanleihen stieg wieder über null. Die Aktien-Märkte reagierten mit einem "Momentum-Massaker‟.
Wenn die heutigen Prognosen hiessen, dass die Aktienmärkte im dritten Quartal leicht gestiegen sind, wäre das keine besonders spannende Nachricht. Aber was, wenn wir feststellten, dass Bankaktien seit Ende August um zehn Prozent zulegten? Oder dass die Momentum-Indizes, in denen die Aktien mit der zuletzt besten Performance am stärksten gewichtet sind, letzte Woche so stark eingebrochen sind, wie seit der Finanzkrise nicht mehr? Das fragt sich Erik Knutzen, CIO Multi-Asset Class bei Neuberger Berman, in einer Analyse.
Auf Marktebene gleicht sich nun alles aus, doch in den letzten Tagen kam es zu bemerkenswerten Trendwenden: Manches, was bislang sicher schien, galt plötzlich nicht mehr. Zu den Trends gehörten etwa die relative Performance von Large Caps gegenüber Small Caps, Investitionen in defensive statt zyklischer Sektoren sowie Titeln mit niedrigem Beta gegenüber Titeln mit hohem Beta. Schon im Outlook für das dritte Quartal 2019 ist Knutzen davon ausgegangen, dass die Zeit reif sein könnte für eine Wende. Diesen Monat war es dann soweit.
Wurden Momentum-Anleger auf dem falschen Fuss erwischt und mussten Short-Positionen abdecken? Oder ist es ein Anzeichen dafür, dass sich Investoren weniger Sorgen um die Wirtschaft machen?
Als Beweis für das «Momentum-Massaker» genügt Knutzen ein Blick auf die Mindererträge der Wachstumsaktien (Growth-Aktien) gegenüber den Substanzwerten (Value-Aktien) seit Monatsanfang. Sie waren so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr, nachdem Wachstumstitel zuvor lange dominiert hatten. Defensive Aktien wie Immobilien- und Versorgerwerte haben ihren Platz mit zyklischen Aktien getauscht, ebenso wie Small Caps mit Large Caps. Auch japanische Aktien hatten das ganze Jahr deutlich hinter amerikanischen gelegen, doch im September liessen sie US-Titel hinter sich.
Diese Verlagerungen lassen sich für Knutzen recht einfach erklären. Investoren zahlen mehr für Wachstumsaktien, wenn sie einen allgemeinen Konjunkturabschwung erwarten. Sie zahlen auch mehr für Titel mit stetigen laufenden Erträgen, also defensive Aktien, wenn sie fürchten, dass ein Abschwung die Anleiherenditen drückt. Wenn sich solche Markttrends umkehren, könnte dies bedeuten, dass mehr Wachstum, eine höhere Inflation und geringere weltpolitische Risiken erwartet werden.
Ermutigend findet der CIO, dass an den Anleihemärkten Ähnliches zu beobachten ist. Zu Monatsbeginn erlebten wir den grössten Ausverkauf von US-Staatsanleihen seit drei Jahren. Letzten Monat machten sich Investoren noch grosse Sorgen, weil die Zinsstrukturkurve zwischen zwei und zehn Jahren invers war. Doch jetzt ist sie wieder positiv und die Rendite 30-jähriger deutscher Staatsanleihen, seit Anfang August negativ, stieg letzte Woche wieder über null.
Die konjunkturellen und weltpolitischen Nachrichten dürften zuletzt zwar etwas besser geworden sein. Dennoch fragt sich Erich Knutzen, ob das wirklich diese überraschende Trendwende an den Märkten rechtfertigt.
"Sicher – zwischen den USA und China sind neue Handelsgespräche angesetzt, die geplanten neuen Zölle wurden ausgesetzt, und der Brexit könnte erneut verschoben werden. Dennoch bleiben die wichtigsten Probleme im Zusammenhang mit diesen Risiken ungelöst", sagt Knutzen.
Die jüngsten US-Arbeitsmarktdaten waren bestenfalls mässig, auch wenn mehr Arbeitsplätze geschaffen wurden und das Lohnwachstum positiv überrascht hat. Beides spricht für eine steigende Inflation; und sowohl die USA als auch China berichteten letzte Woche über eine überraschend hohe Teuerung.
Die People's Bank of China hat gerade eine weitere Zinssenkung zu den bereits in diesem Jahr umgesetzten Massnahmen vorgenommen. Auch die Europäische Zentralbank senkte die Zinsen, startete erneut mit ihrem Kaufprogramm von Wertpapieren, ergriff Massnahmen, um die Auswirkungen der Negativzinsen auf den Bankensektor abzumildern und gab Hinweise auf eine anhaltende Niedrigzinspolitik. In Deutschland war sogar von einem "Schattenhaushalt» die Rede, mit Ausgaben für Infrastruktur und Klimaschutz, um die strengen Haushaltsregeln zu umgehen.
Doch damit die neuen Markttrends von Dauer sein können, braucht es mehr. Kuntzen ist der Meinung, dass zwei Wochen noch keine Erholung bedeuten und eine Rezession noch immer wahrscheinlicher ist als vor drei oder sechs Monaten. Anleger scheinen aber gemäss dem Spezialisten erkannt zu haben, dass eine weiche Landung jetzt wahrscheinlicher ist, als sie im Sommer mit seinen illiquiden Märkten fürchteten. Wie auch immer die Daten in den nächsten Monaten ausfallen: Die jüngsten Trendwenden zeigen, dass langfristige Anleger immer an extreme Entwicklungen in Bezug auf Dynamik, Bewertung und Marktkonsens denken müssen.