Stimmen zu Italien: Auf schrille Worte folgen leise Taten

Giorgia Meloni hat angedeutet, Schlüsselpositionen im Kabinett mit gemässigten Personen zu besetzen. (Bild: Shutterstock.com/Mike Dotta)
Giorgia Meloni hat angedeutet, Schlüsselpositionen im Kabinett mit gemässigten Personen zu besetzen. (Bild: Shutterstock.com/Mike Dotta)

Der Wahlausgang in Italien zeigt das erwartete Resultat: Das Mitte-rechts-Bündnis unter Giorgia Meloni erringt die Macht im am zweithöchsten verschuldeten Land der EU. Kommt es zur Finanzkrise? Nein, wenn man sich die unmittelbare Reaktion am Finanzmarkt ansieht: Bond- und Aktienmarkt blieben am Montag weitgehend ruhig.

26.09.2022, 16:57 Uhr

Redaktion: hf

Die Renditedifferenz zehnjähriger italienischer Staatsanleihen zu deutschen Staatspapieren hat am Montag leicht um 0,12 auf 2,75 Prozentpunkte zugenommen. Im Verlauf des Augusts oder auch im Juni waren die Spreads schon höher oder nur minim tiefer. Kein Alarm also am Bondmarkt. An der Mailänder Aktienbörse rückte der FTSE MIB Index am Montag um 1,4% auf 21’356 vor, auch da keine Krisenstimmung, sondern eine gefasste Reaktion auf den erwarteten Wahlausgang, der im Vorfeld ungleich höhere Wellen geworfen hat als unmittelbar nach dem Urnengang.

Francesco Saraceno, Wirtschaftsprofessor an der Luiss-Universität in Rom und an der Sciences Po in Paris, hatte schon vor dem Wahlsonntag zur Mässigung gemahnt: Die Programme der Parteien seien nichts als "Märchen" und müssten schon bald nach der Wahl weitgehend wieder ad acta gelegt werden. Er sehe wenig Gefahr für einen Zusammenbruch an den Finanzmärkte, sagte er gegenüber den deutschen Sender ntv. "Ich denke, es wird eine kurze negative Reaktion geben. Aber dann wird klar werden, dass die neue Regierung sehr wenig an den öffentlichen Finanzen ändern wird, und die Märkte werden sich beruhigen."

EZB steht im Notfall bereit

Die Zinskosten des italienischen Staates würden auch bei weiter anziehenden Renditen nur langsam zulegen, drückte sich auch Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank, besonnen aus: Es dauere eine gewisse Zeit, bis das vergleichsweise geringe Volumen an neuen Anleihen mit höheren Renditen die durchschnittliche Verzinsung der italienischen Schulden steigen lasse. Und noch wichtiger dürfte sein, dass die EZB in den vergangenen Jahren keinen Zweifel daran gelassen habe, dass sie einen zu starken Anstieg der italienischen Renditen und eine dadurch ausgelöste Krise nicht zulassen werde.

Pietro Baffico, Europa-Ökonom von abrdn (früher Aberdeen) verweist auf die rekordtiefe Wahlbeteiligung und meint zur politischen Situation: In ganz Europa haben sich die Wähler zunehmend abgewandt und vor dem Hintergrund einer Lebenshaltungskostenkrise und eines wütenden Krieges in der Ukraine rechtsextremen und populistischen Parteien Gewinne überlassen, so unlängst in Schweden.

"Die voraussichtliche Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat im Laufe der Zeit die rechtsextreme und euroskeptische Rhetorik abgemildert und weniger Konfrontation mit den europäischen Institutionen angedeutet. In einem Versuch, die Koalition als sicheres Händchen darzustellen, betonte Meloni, dass sie bei den öffentlichen Ausgaben umsichtig vorgehen und die Ernennung gemässigter Minister in Schlüsselpositionen des Kabinetts in Betracht ziehen werde", äussert sich Baffico.

Mässigung im Ton

Nach dem Ergebnis habe sie einen nüchternen Ton angeschlagen und eingeräumt, dass die Wirtschaft vor grossen Herausforderungen stehe. "Für die Anleger könnte eine solche Mässigung dazu beitragen, die anfängliche Reaktion der Märkte auf das Wahlergebnis zu begrenzen, zumal der grosse und anhaltende Vorsprung bei den Umfragen dem Markt viel Zeit gegeben hat, das Wahlergebnis zu bewerten", so der abrdn-Ökonom.

"Warum Giorgia Meloni vielleicht ein Problem für Italien ist, aber nicht für die Welt", fasst Matteo Cominetta, Senior Economist bei Barings, seine Analyse zusammen. "Dies ist keine Wiederholung von 2016, als der Brexit und Trump die Weltordnung erschütterten." Meloni sei sich der Schwächen der italienischen Wirtschaft und Politik sehr wohl bewusst, im Gegensatz zu vielen Politikern des Landes, die die marginale Rolle Italiens auf der Weltbühne anscheinend nicht sehen wollten oder könnten.

Sie werde das Land nicht aus dem Euro oder der Nato herausführen, aber sie wird auch keine riesigen, nicht finanzierten Steuersenkungen für die Reichen und keine Ausgabenwut ankündigen. "Die rechte Partei Lega Nord, die offen für Putin eintritt und sich für wahllose öffentliche Ausgaben einsetzt, hat extrem schlecht abgeschnitten. Der immer wiederkehrende Berlusconi, der eine ähnliche Politik verfolgt, bleibt ein kleiner Teil der Rechtskoalition. Meloni wird also über einen grossen Spielraum verfügen", erläutert Cominetta.

Im Zeichen von Kooperation statt Konfrontation

Jenseits des Brustklopfens werde ihre Wirtschafts- und Aussenpolitik im Zeichen der Kooperation und nicht der Konfrontation mit Europa und den USA stehen. "Frau Meloni wird ihre extremen Ansichten wahrscheinlich in der Sozialpolitik wie Einwanderung, geplante Elternschaft und Italiens Verhältnis zu seiner faschistischen und kolonialen Vergangenheit umsetzen. Sie kann also durchaus ein Problem für Italien sein, aber kaum für Europa."

Grössere Sorgen macht sich Felix Herrmann, Chefvolkswirt und Portfoliomanager von Aramea Asset Management in Hamburg: "Die neue Regierung plant, die Belastungen für Haushalte und Unternehmen zu senken. Geringere Steuern – also das Gegenteil von dem, was Vorgänger Mario Draghi vorhatte – werden Italiens ohnehin schon beachtlichen Schuldenberg weiter steigen lassen."

Solange das Nominalwachstum in Italien dank einer hohen Inflation hoch ist, könne die Rechnung aufgehen. "Wenn sich die Inflation jedoch wieder Richtung Süden orientiert, könnte es mit der derzeit noch gut handhabbaren Tragfähigkeit der Schulden nicht mehr so weit her sein." Abermals steigender Druck auf die italienische Spreads wäre wohl die unweigerliche Folge, kommentiert Hermann.

Die Schuldentragfähigkeit von Italien ist aktuell gesichert. Aber es besteht die Gefahr von steigenden Risikoaufschlägen bei italienischen Staatsanleihen, sagt eine weitere Stimme aus Deutschland. Jörg Zeuner, Chefökonom von Union Investment, hält kurzfristig, für den Rest des Jahres, die politischen Risiken für gering. Das neue Parlament tritt am 13. Oktober erstmals zusammen, und vor Ende Oktober werde die Meloni-Administration die Regierungsgeschäfte kaum übernehmen können.

Wo Streitigkeiten zu erwarten sind

Doch 2023 werde die Unsicherheit zunehmen. Dann stehen verschiedene Termine an, die zum Lackmustest für die neue italienische Wirtschafts- und Europapolitik werden dürften. Besonders bei der Haushaltsplanung bzw. der Bewertung des italienischen Budgets durch die EU könnte es zum Streit kommen. Auch beim noch unter Mario Draghi mit der EU abgestimmten Aufbau- und Resilienzplan fordert das Mitte-Rechts-Bündnis Anpassungen. Die Auszahlung der nächsten NGEU-Gelder könnte so zum Zankapfel werden. "Und schliesslich entsprechen Melonis Vorstellungen bei Wettbewerbsrecht und Staatshilfen nicht den EU-Regeln", gibt Zeuner zu bedenken.

Der Kapitalmarktwind für Italien wird damit rauer. Schwächeres Wachstum, straffere Geldpolitik und höheres politisches Risiko würden für steigende Risikoaufschläge bei italienischen Staatsanleihen sprechen. "Allerdings bedeutet das noch lange keine Rückkehr der Eurokrise", stimmt der Zeuner in den Chor der beruhigenden Stimmen ein: Die Schuldentragfähigkeit Italiens sei derzeit nicht gefährdet. Die italienischen Finanzminister hätten die vergangenen Jahre genutzt und sich sehr günstig und zu langen Laufzeiten refinanziert. Nur ein Achtel der Gesamtschulden muss jährlich am Kapitalmarkt frisch aufgenommen werden. Es dauert also eine ganze Weile, bis sich höhere Renditen in deutlich höheren Zinszahlungen niederschlagen.

Und nicht zu vergessen die Inflation. Union Investment erwarten für 2023 eine Teuerung in Italien von 6,2%, was die reale Schuldenlast des Landes wie diejenige anderer hochverschuldeter Staaten im Euroraum und anderswo sinken lässt.

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