Konjunkturelles Umfeld könnte schwierig werden

Valentijn van Nieuwenhuijzen, Chefstratege bei ING Investment Management in Den Haag
Valentijn van Nieuwenhuijzen, Chefstratege bei ING Investment Management in Den Haag

Viele Investoren erwarten nur wenig vom kommenden Jahr. Das ist durchaus verständlich, bedenkt man die aktuelle Lage der Weltwirtschaft, den zunehmenden Einfluss der Politik auf den Verlauf des Konjunkturzyklus und die bremsende Wirkung der konzertierten Sparmassnahmen an den entwickelten Märkten, so Valentijn van Nieuwenhuijzen, Chefstratege bei ING Investment Management (ING IM) in Den Haag.

14.12.2012, 15:00 Uhr

Redaktion: sek


Das sind nicht notwendigerweise schlechte Nachrichten für festverzinsliche Werte. Sind die Erwartungen gering, häuft der Privatsektor lieber Ersparnisse an und Vermögensverwalter setzen die Renditejagd fort, anstatt Kapitalgewinne anzupeilen. Das dürfte einen stabilen Kapitalfluss in Richtung Anleihemärkte schaffen. Es bedeutet allerdings nicht, dass das kommende Jahr ebenso günstig für Festverzinsliche sein wird wie 2012. Infolge der kräftigen Rallye an den Staats- und Unternehmensanleihemärkten im laufenden Jahr liegen die Renditen zahlreicher Titel mittlerweile auf Rekordtief oder nähern sich ihm an. Damit ist die maximale bzw. voraussichtliche Überschussrendite, die diese Papiere gegenüber Liquidität erzielen können, deutlich gesunken.

Auch sollte man berücksichtigen, dass das konjunkturelle Umfeld etwas schwieriger werden könnte. Das Wachstum bleibt im historischen Vergleich niedrig. Weltweit dürfte es sich bei knapp über drei Prozent einpendeln und knapp über einem Prozent an den entwickelten Märkten. Im Jahresverlauf könnte sich das Wachstumsprofil allerdings konsolidieren, da die Konjunktur vor allem in China und den USA in jüngster Zeit Auftrieb erhält. Die leichte Zunahme der konjunkturellen Dynamik wird aber wohl kaum den Kurs der Zentralbanken an den entwickelten Märkten ändern. Hier wird man voraussichtlich bei einem Zinsniveau von nahe null bleiben und weiter auf unorthodoxe Massnahmen setzen, um den angeschlagenen Geldflussmechanismus wieder in Gang zu bringen. Das ist nachvollziehbar, denn die zugrundeliegenden Trends bei Inflation und Lohnentwicklung sowie die anhaltend massiven Produktionslücken in den entwickelten Volkswirtschaften deuten nicht auf ein wesentliches Inflationsrisiko hin. Im Ergebnis wird das von einer niedrigen Rendite geprägte Umfeld wohl andauern. Die Renditen auf Staatsanleihen der G4-Länder werden sich über die nächsten paar Jahre wohl um die ein bis drei Prozent bewegen. Vor der globalen Finanzkrise von 2008 lagen sie noch bei 3-6 Prozent1.

Das heisst allerdings nicht, dass die Staatsanleiherenditen nicht zulegen können. ING IM rechnet damit sogar im nächsten Jahr, wenn die diesjährigen Kapitalströme in „sichere Häfen“ teilweise in die entgegengesetzte Richtung fliessen oder zumindest die marginalen Zuflüsse weg von den G4-Staatsanleihemärkten und hin zu den Staats- bzw. Unternehmensanleihemärkten der Euro-Peripherie oder der Emerging Markets strömen. Getrieben wird diese Entwicklung vom Rückgang der systemischen Risiken. Das Anleihekaufprogramm Outright Monetary Transaction (OMT) der EZB und die allmähliche Entwicklung hin zu einer gemeinsamen Bankenaufsicht für Europa (Stichwort: Bankenunion) werden dazu beitragen, die finanzielle Instabilität der Eurozone zu verringern. Ferner sollte der erkennbare politische Wille in Europa und den USA, die haushaltspolitischen Probleme anzugehen (Unterstützung von Griechenland und Spanien bzw. Kompromiss zur Fiskalklippe), das Risiko von Verwerfungen beim gesamtwirtschaftlichen Ausblick im ersten Quartal 2013 verringern.

Zusammen mit der sich abzeichnenden Erholung des globalen Konjunkturzyklus dürfte die Abnahme der Extremrisiken dazu beitragen, dass sich die Haltung institutioneller Investoren zur Asset-Allokation allmählich normalisiert und sie wieder einen gesunden Risikoappetit entwickeln. Angesichts der gedrückten Stimmung bei Vermögensverwaltern (ob Pensionsfonds, Publikumsfonds oder Hedgefonds) und ihrer anhaltend defensiven Positionierung wird ein Anstieg der Risikoneigung den Druck auf Staatsanleiherenditen erhöhen. Zwar sinken die Spreads, doch könnten festverzinsliche Spreadprodukte im Zuge dieser Entwicklung hinter risikoreicheren Assets mit höherem Beta, wie Immobilien, Aktien und Rohstoffen, zurückbleiben. Momentan sind vor allem Aktien interessant, die im Vergleich zu Anleihen attraktiv bepreist sind. Zudem dürften sie im kommenden Jahr von soliden Bilanzen und stetigen Dividendenströmen profitieren. Da die Weltwirtschaft sich im ersten Halbjahr 2013 allmählich erholen sollte, rechnet ING IM mit den besten Erträgen eher am Aktien- als am Anleihemarkt.

Es sei jedoch abermals darauf hingewiesen, dass die Transparenz im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Konjunkturzyklus im gegenwärtigen Umfeld begrenzt ist. Auch sind Stimmungswechsel bei der Anlegerschaft im Jahresverlauf möglich. Es kommt daher entscheidend darauf an, flexibel zu bleiben. Das Risikoprofil des Anlageportfolios wird sich dann im Laufe der Zeit entsprechend den Anlagechancen und Überzeugungsgraden entfalten. ING IM ist der festen Überzeugung, dass nicht etwa die Investoren mit den besten Prognosen mittelfristig am besten abschneiden werden, sondern diejenigen, die bereit und fähig sind, sich den wandelnden Umständen anzupassen.

1 Ausser in Japan, wo zehnjährige Staatsanleihen bereits seit 1998 unter 2 Prozent rentieren.

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