04.12.2024, 10:51 Uhr
«Während die Märkte von einer lockeren Geldpolitik beflügelt werden, drohen politische Umwälzungen in den USA sowie geopolitische Spannungen», schreibt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam in...
Die Marktteilnehmer erwarten 2020 wieder mehr Wachstum. Auch wenn verschiedene Entwicklungen dafür sprechen, bleiben Zeitpunkt und Ausmass dieses Aufschwungs ungewiss, kommentiert Marc-Antoine Collard von Rothschild & Co Asset Management.
Die jüngsten Daten zeigen, dass die Industrieproduktion aufgrund der anhaltend hohen Unsicherheit äusserst schwach war. Besonders die handelspolitischen Spannungen belasten das Vertrauen und die Investitionen zunehmend. Wie Marc-Antoine Collard, Chief Economist und Director of Economic Research bei Rothschild & Co Asset Management erläutert, beeinflussen weitere vorübergehende Schocks die Lage zusätzlich: Ein grosser Arbeitskampf im Automobilsektor hat das Wachstum der US-Industrieproduktion verlangsamt, während die japanische Produktion von einer Erhöhung der Verbrauchssteuer sowie einem Taifun schwer getroffen wurde. Infolgedessen wird erwartet, dass die globale Industrieproduktion im vierten Quartal 2019 zurückgehen wird.
Inmitten wechselhafter Wachstumsprognosen in diesem Jahr zeigte der globale Fertigungssektor allerdings im November vorsichtige Anzeichen einer Stabilisierung. Der Markit-Geschäftsklimaindex erreichte mit 50,3 ein Siebenmonatshoch und lag damit erstmals seit April 2019 wieder über der Grenze von 50 – die Trennlinie zwischen Expansion und Abkühlung. "Auch wenn das Geschäftsklima bestenfalls als ungewiss umschrieben werden kann, steht dies dennoch im Einklang mit der übereinstimmenden Auffassung, dass der Tiefpunkt des globalen Abschwungs erreicht ist", kommentiert Collard.
Tatsächlich erwarten die Marktteilnehmer, dass zwei miteinander verbundene Entwicklungen die Grundlage für eine Erholung bilden, die bis Anfang 2020 einsetzen sollte. Erstens sollte sich die Stimmung in den Unternehmen verbessern, da der US-amerikanische Handel mit China und besondere Schocks in anderen grossen Volkswirtschaften (z. B. Italien, Brexit) mittlerweile deutlich geringere Auswirkungen haben. Darüber hinaus dürfte die gleichzeitige Lockerung der Geldpolitik die finanziellen Rahmenbedingungen in Verbindung mit Chinas Konjunkturmassnahmen die Weltwirtschaft weiter ankurbeln. Der dadurch entstehende Auftrieb sollte auch die Entscheidung der Unternehmen stärken, mit der Normalisierung der globalen Investitionen zu beginnen, die sich deutlich verlangsamt haben. Im zweiten Quartal 2019 belief sich das Investitionswachstum in den Industrieländern auf 1%.
"Dennoch bleiben Zeitpunkt und Ausmass dieses Aufschwungs ungewiss", so Collard. "Die Art und Weise, wie chinesische Entscheidungsträger den Kompromiss zwischen Wachstum und Verschuldung ausgeglichen haben, könnte die meisten Investoren erneut überraschen." China habe ein langsameres Wachstum deutlich besser toleriert als von den meisten erwartet. In der Volksrepublik zögert man weiterhin, das Kreditwachstum in erheblichem Umfang zu steigern, und ist weiterhin darauf konzentriert, finanzielle Risiken zu begrenzen.
Nach einer vorübergehenden Erholung im September verlangsamte sich die Wachstumsdynamik im Oktober erneut, und zwar aufgrund externer Gegenwinde und der begrenzten Auswirkungen geldpolitischer Impulse. Damit habe sich das Muster wiederholt, das dieses Jahr zu Beginn jedes Quartals zu beobachten war: Industrieproduktion, Anlageinvestitionen und reale Einzelhandelsumsätze verlangsamten sich stärker als erwartet. Die Einzelhandelsumsätze wurden auch durch die höhere Inflation belastet. Diese erreichte im Oktober mit fast 4 % ein Siebeneinhalbjahreshoch, das durch steigende Lebensmittelpreise, insbesondere beim Schweinefleisch, bedingt wurde. Zusätzlich stieg das Exportvolumen im Oktober langsamer an, während gleichzeitig die Importe weiter zurückgingen.
Den chinesisch-amerikanischen Handelskonflikt nennt Collard eine Wild Card. Die Verschiebung der Zollerhöhungen, die Mitte Oktober in Kraft treten sollten, sowie die laufenden Handelsgespräche (Phase Eins) seien positive Entwicklungen. Allerdings gebe es nicht nur eine Kluft in der Wahrnehmung dessen, was die USA und China erreicht haben, sondern es sei auch schwierig, die Äusserungen beider Seiten in Einklang zu bringen. Es sei ungewiss, ob die verschobenen Zollerhöhungen auf unbestimmte Zeit zurückgestellt sind und die bestehenden Zölle bald aufgehoben werden, so wie China für die Unterzeichnung eines etwaigen Abkommens verlangt.
US-Präsident Donald Trump signalisierte kürzlich, dass er bereit sei, ein weiteres Jahr zu warten, bevor er ein Handelsabkommen mit China abschliesst. Das lässt berechtigte Zweifel an der Wahrscheinlichkeit eines Abkommens der Phase Eins vor Jahresende aufkommen und damit an der Verschiebung der Zölle, die ab dem 15. Dezember auf chinesische Waren erhoben werden sollen. Unterdessen verabschiedete der US-Kongress zwei neue chinabezogene Gesetze, das Xinjiang-Gesetz zu Menschenrechten und das Hongkong-Gesetz, das die Demonstranten unterstützt. Das veranlasste China mögliche Vergeltungsmassnahmen anzudrohen, die zweifellos die Handelsgespräche unterbrechen könnten.
Darüber hinaus hat Trump die Zölle auf Stahl und Aluminium aus Argentinien und Brasilien wieder eingeführt und die Abwertung ihrer Währungen gegenüber dem Dollar kritisiert. Beide Länder haben versucht, ihre Währungen in einem Umfeld zu stärken, in dem mehrere Schwellenländer aufgrund der hohen Nervosität der Devisenanleger neue Tiefststände gegenüber dem Dollar erreicht haben. "Tatsächlich könnte der Ursprung von Trumps Entscheidung in den innenpolitischen Folgen seines Handelskrieges liegen", meint Collard. Die US-Bauern – ein wesentlicher Bestandteil seiner Wiederwahlstrategie – zählten zu den ersten Opfern der chinesischen Vergeltungsmassnahmen bei Soja und anderen landwirtschaftlichen US-Erzeugnissen, während die brasilianischen und argentinischen Bauern von dieser Situation profitieren.
Das Ergebnis ist trotz des jüngsten Waffenstillstands, dass die von den USA seit 2018 eingeführten Zölle über verschiedene Wege Schäden verursachen. Die wirtschaftliche Unsicherheit ist für Unternehmen auf der ganzen Welt zu einem dringlichen Problem geworden, und die zunehmende Unvorhersehbarkeit der Handelspolitik dürfte laut dem Chefökonomen die Wirtschaftsaktivitäten über einen längeren Zeitraum lähmen. Tatsächlich schaden die Störungen des Handels, der grenzüberschreitenden Investitionen und Wertschöpfungsketten dem potenziellen BIP-Wachstum. Sowohl die Unternehmensinvestitionen als auch die damit zusammenhängende Produktivität sinken, was wiederum die mittelfristigen Wachstumsaussichten schwächt. "Mit anderen Worten dämpfen Handelskriege nicht nur die kurzfristige Wirtschaftstätigkeit, sondern haben auch weitreichende langfristige Folgen", so Collard.
Insgesamt scheinen die Anleger an den Aktienmärkten fest davon überzeugt zu sein, dass einfachere Finanzbedingungen in Verbindung mit sinkenden geopolitischen Risiken das Vertrauen der Unternehmen stärken und damit 2020 das Wirtschaftswachstum ankurbeln sollten. "Ist das Vertrauen in das nächste Jahr gerechtfertigt oder wird es überschätzt wie 2019, das sich als das schwächste Jahr seit der grossen Finanzkrise erwies", fragt Collard und fügt an: "Obwohl sich der Aufschwung im Dienstleistungssektor – unterstützt durch ein stetiges Wachstum der Konsumausgaben – bis zum zurückliegenden Sommer gehalten hat, sehen wir laut Umfragedaten immer mehr Anzeichen für eine schwächere Entwicklung." Eine weitere Schwächephase im Industriesektor sei jedoch nicht ohne Risiken. Es könnte zu weniger Einstellungsabsichten, potenzieller Arbeitszeitverkürzung und einem Abwärtsdruck auf die Einkommen und Ausgaben der Haushalte führen, was letztendlich zu einer Verlangsamung der Nachfrage im Dienstleistungssektor führt.