Griechische Tragödie, dritter Akt

Griechenlands Krise steuert nunmehr auf den Punkt zu, an dem der Regierung das Geld ausgeht. Welche Folgen hätte eine Staatspleite oder gar ein Grexit? NN IP beantwortet die wichtigsten Fragen zum gegenwärtigen Patt zwischen Griechenland und seinen Gläubigern.

18.06.2015, 13:28 Uhr

Redaktion: jod

Wie konnte es so weit kommen?
Wir waren stets der Meinung, ein Griechenland-Bankrott sei vermeidbar. Das Krisenmanagement der Eurozone verlief in drei klar abgegrenzten Phasen. Während der ersten Phase ging es nahezu ausschliesslich um den konsequenten Abbau der Haushaltsdefizite. Das erwies sich als extrem kontraproduktiv und verschlimmerte Defizite und öffentliche Schuldenquoten wohl noch. In der zweiten Phase verlagerte sich der Fokus auf die strukturellen Defizite. Das heisst: Konnte ein Land wegen konjunktureller Schwankungen seine Haushaltsziele nicht erreichen, so wurden keine zusätzlichen Massnahmen verlangt. Ferner begann man in der EWU, „Brandschneisen“ in Form des OMT-Mechanismus einzurichten und auf eine Bankenunion hinzuarbeiten, um eine Ausbreitung der Krise zu verhindern. In der dritten Phase wurde die Sparpolitik zum Gradmesser für die Bereitschaft eines Landes, Strukturreformen durchzuführen.

Glauben Sie, dass Griechenland einlenken wird?
Wahrscheinlich hätte die griechische Regierung zusätzliche Sparmassnahmen vermeiden können, hätte sie mehr Reformbereitschaft gezeigt. Leider hat sie diese Gelegenheit nicht wahrgenommen. Die entscheidende Frage ist, ob sich bei der griechischen Regierung jetzt ein Sinneswandel einstellen wird, kurz bevor der Saldo des griechischen Staatshaushalts auf null sinkt und der Regierung keine unkonventionellen Massnahmen zur Mittelbeschaffung mehr bleiben. Es ist bereits klar, dass alle Rückzahlungen an den IWF bis zum Monatsende verschoben werden. Kann bis Ende Juni keine Einigung erzielt werden, ist eine Pleite nahezu zwangsläufig. Unser Basisszenario stellt jedoch darauf ab, dass das Land dem Druck nachgeben und sich zu Strukturreformen verpflichten wird.

Die „Brussels Group“ (vormals Troika) hat Griechenland ein letztes Angebot gemacht, das letztlich auf ein Alles oder Nichts hinausläuft. Damit sind geringfügige Anpassungen aber nicht ausgeschlossen. Der Vorteil dabei ist, dass europäische und IWF-Kreditgeber hier eine geschlossene Front präsentieren können. Im Ergebnis wäre Griechenland der Illusion beraubt, die Brussels Group werde in letzter Minute zu Zugeständnissen bereit sein. Dies könnte das Land zu Entscheidungen zwingen, statt weiter auf eine Verzögerungstaktik zu setzen.

Vor allem aber würde ein solches Angebot der EZB den notwendigen politischen Rückhalt bieten, um die Emergency Liquidity Assistance („ELA“) zu begrenzen, falls Griechenland das Angebot ausschlägt. Aktuell scheint Griechenland diesen Deal abzulehnen. Sofern diese Pattsituation anhält, ist in Bälde mit Kapitalverkehrskontrollen zu rechnen, denn der EZB wird kaum eine andere Wahl bleiben, als die Finanzierung griechischer Banken einzuschränken. Und schliesslich sei auch noch darauf hingewiesen, dass die Strategie der Brussels Group ultimativ darauf abzielt, den politischen Willen auf griechischer Seite zu brechen. Das wird die politische Unsicherheit in Griechenland zweifelsohne noch verstärken, im Gegenzug aber die künftigen politischen Unwägbarkeiten in der übrigen EWU mindern.

Was passiert, falls Griechenland und seine Gläubiger sich doch noch einigen?
Kann eine Einigung in Form eines sogenannten Staff Level Agreement (SLA) erzielt werden, wäre die EZB bereit, Überbrückungskredite zur Verfügung zu stellen, da eine solche Vereinbarung von den Parlamenten Griechenlands und anderer Länder abzusegnen wäre. Zu den möglichen EZB-Massnahmen zählen auch eine weitere Ausweitung der ELA, gelockerte Anforderungen an Sicherheiten sowie die Ausweitung der Finanzierung über Staatsanleihen.

Und was, wenn nicht?
Kann keine Einigung erzielt werden, würde die EZB wahrscheinlich den ELA-Hahn zudrehen. Im Ergebnis käme es dann auch sehr bald zu Kapitalverkehrskontrollen. Wie gesagt, handelt es sich dabei noch nicht um einen Grexit, bringt ihn aber ein Stück näher.

Wie sieht die EZB die gegenwärtige Situation?
Bei seiner Pressekonferenz am 3. Juni schwieg der EZB-Präsident zu Griechenland, was sicherlich klug ist, denn die EZB ist schliesslich einer der wichtigsten Akteure in diesem „Spiel“. So muss die Zentralbank entscheiden, unter welchen Umständen sie dem griechischen Bankensystem den Hahn abdrehen würde. Ferner hat die EZB als Bankenaufsichtsbehörde die Macht, den griechischen Banken den Aufkauf kurzlaufender griechischer Staatsanleihen („T Bills“) zu gestatten – oder eben nicht. Klar ist, dass die EZB Griechenland nur dann weiter mit Notkrediten versorgen wird, wenn es eine belastungsfähige Einigung gibt (soll heissen: wenn Griechenland sich vorbehaltlos zu Reformen verpflichtet). Eine weitere zwingende – aber nicht ausreichende – Bedingung für eine Erhöhung des von griechischen Banken aufgekauften T-Bill-Volumens wäre, dass die restlichen Mittel aus dem zweiten Programm an Griechenland ausgezahlt werden.

Falls Griechenland pleitegeht und sogar aus der Eurozone ausscheidet – wie gross ist die Ansteckungsgefahr für andere Peripherieländer?
Was die Ansteckungsgefahr betrifft, sind wir nach wie vor der Meinung, dass der politische Zusammenhalt im Rest der Region so gross ist, dass die Kernländer überaus gewillt wären, die übrigen Peripherieländer zu schützen. Zu diesem Zweck könnte die QE so angepasst werden, dass mehr Anleihen von der Peripherie gekauft werden und die Bankenunion energischer vorangetrieben wird. Dabei wird es vor allem auf das Geschick der Politiker ankommen, die entsprechende Überzeugungsarbeit zu leisten, um die Märkte zu beruhigen. Zwar wird zunehmende Volatilität wohl nicht zu vermeiden sein, falls das griechische Drama zur Tragödie eskaliert, doch dürfte die Volatilität kaum das Niveau der Jahre 2010 bis 2012 erreichen.

Wie will NNIP seine Portfolios vor den mit der Griechenlandkrise verbundenen Risiken schützen?
Von Griechenland geht derzeit ein deutliches Abwärtsrisiko aus. Doch auch bei einem Zahlungsausfall Griechenlands machen uns die Langfristperspektiven keine allzu grosen Sorgen, denn die politischen Instrumente sowie der politische Wille in der EWU, die Dominoeffekte zu begrenzen, sind jetzt sehr viel ausgeprägter als noch vor ein paar Jahren. Andererseits haben sich die Märkte in letzter Zeit im Hinblick auf die kurzfristigen Risiken ein wenig zu unbeschwert gegeben. Unserer Ansicht nach rechtfertigen die kurzfristigen Risiken infolge der griechischen Situation eine gewisse Mässigung bei unserer Exponierung, doch keine Änderung bei unserer Risikoneigung insgesamt.

Ende Mai haben wir unsere Aktienposition von einer mittleren auf eine geringe Übergewichtung sowie unsere Staatsanleihenposition von einer mittleren auf eine geringe Untergewichtung reduziert. Letzte Woche haben wir dann unsere Immobilienposition von einer leichten Übergewichtung auf neutral zurückgefahren.

Bei Staatsanleihen von der EWU-Peripherie halten wir weiter eine geringe Übergewichtung. Hier dürfte es infolge der EZB-Käufe zu einer weiteren Spread-Verengung kommen. Insoweit haben sich die Auswirkungen der Griechenlandkrise bislang in Grenzen gehalten; die positiven Effekte der EZB-Käufe dominieren und die übrigen „Brandschneisen“ halten den Contagion-Effekt in Schach. Hinzukommen günstige Makrodaten an der Peripherie.

Alle Artikel anzeigen

Diese Website verwendet Cookies, um Ihnen die bestmögliche Nutzung unserer Website zu ermöglichen.> Datenschutzerklärung