04.12.2024, 10:51 Uhr
«Während die Märkte von einer lockeren Geldpolitik beflügelt werden, drohen politische Umwälzungen in den USA sowie geopolitische Spannungen», schreibt Nicolas Forest, Chief Investment Officer bei Candriam in...
Seit einigen Monaten ist unter Investoren dank der akkommodierenden Geldpolitik der Zentralbanken und der Deeskalation des Handelsstreits zwischen China und den USA eine optimistische Stimmung zu beobachten. Allerdings überwiegen laut Marc-Antoine Collard von Rothschild & Co Asset Management im Ausblick die Abwärtsrisiken.
Seit einigen Monaten ist unter Investoren eine optimistische Stimmung zu beobachten. Diese wurde dadurch verstärkt, dass die Zentralbanken eine selten so genau abgestimmte akkommodierende Geldpolitik betrieben und eine beträchtliche Menge an Liquidität in die Finanzmärkte pumpten. Beruhigt wurden die Investoren auch durch die Tatsache, dass China und die USA kurz vor der Unterzeichnung von Phase 1 stehen – was zu einer Deeskalation ihres Handelsstreits führt, auch wenn der Konflikt noch lange nicht gelöst ist. Daneben spielten die Wahlergebnisse in Grossbritannien eine Rolle, wo Boris Johnson mit überwältigender Mehrheit gewann, sodass das Unterhaus das Gesetzespaket zum EU-Austritt (Withdrawal Agreement Bill) verabschieden konnte.
"Die in den letzten Wochen veröffentlichten Frühindikatoren waren allerdings widersprüchlich", stellt Marc-Antoine Collard, Chief Economist und Director of Economic Research bei Rothschild & Co Asset Management, fest. Nach einem im August einsetzenden Aufschwung bleibe das Geschäftsklima im weltweiten verarbeitenden Gewerbe weiterhin gedämpft und kehre zu seinem Abwärtstrend zurück. "Dieser Rückgang steht im Gegensatz zum starken Anstieg der Aktienmärkte, dem ewigen Indikator des Investoren-Optimismus", so Collard. Das Vertrauen der Unternehmen im Dienstleistungssektor stieg dagegen im Dezember zum zweiten Mal in Folge, erreichte damit einen Höchststand seit vergangenem Sommer und hielt dem anhaltenden Gegenwind aus dem schwachen verarbeitenden Gewerbe weiterhin stand.
Diese Zweiteilung ist besonders auffällig in den USA. Der ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe sank weiter Richtung Rezession und verzeichnete seinen niedrigsten Stand seit einem Jahrzehnt, während umgekehrt die Stimmung der Unternehmen des nichtverarbeitenden Gewerbes stabil blieb. Der US-Arbeitsmarkt schloss 2019 mit geringerer Dynamik ab, da sich die Beschäftigungszuwächse (145'000) stärker abschwächten als erwartet und die Löhne am langsamsten (2,9% y/y) seit 2018 stiegen, obwohl die Arbeitslosenquote (3,5%) auf ihrem Tiefstand der letzten fünf Jahrzehnte blieb.
Nach drei aufeinanderfolgenden Zinssenkungen der Fed – begründet mit Handelsspannungen, schwachen Unternehmensinvestitionen und einem ungünstigen internationalen Umfeld – liess der Offenmarktausschuss (FOMC) auf seiner letzten Sitzung im Dezember den Zinssatz unverändert. Die Frage ist nun, wie lange der Status quo noch Bestand haben wird. Die Inflationsschwäche und die Gefahr, die Inflationserwartungen zu enttäuschen, haben die Mehrheit der Mitglieder zu einem vorsichtigen Vorgehen veranlasst. Darüber hinaus hat Jerome Powell, der Vorsitzende der Fed, kürzlich betont, dass jeder Zinserhöhung eine anhaltende und über dem Ziel liegende Inflation vorausgehen muss. "Kurz vor seinem zweiten Jahrestag an der Spitze der Fed hat Powell damit eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen mit einem Duktus, der dem seiner Vorgängerin Janet Yellen ähnelt, die sich während ihrer Amtszeit für eine vorsichtige und geduldige Herangehensweise entschied. Folglich wird der geldpolitische Status quo in den USA, wenn kein grösseres Ereignis eintritt, voraussichtlich noch einige Zeit bestehen", meint Collard.
Mit der Beruhigung des chinesisch-amerikanischen Handelskriegs erlebte der Nahe Osten eine Zunahme der geopolitischen Spannungen – verursacht durch den Tod des iranischen Generals Qassem Soleimani bei einem amerikanischen Drohnenangriff sowie der Reaktion des Iran, Raketen auf US-Militärbasen im Irak abzufeuern. Präsident Donald Trump hat sich vorerst für Besonnenheit entschieden, aber seine zukünftigen Entscheidungen werden laut dem Chefökonomen von Rothschild & Co AM wahrscheinlich v. a. von den Anforderungen des Wahljahres beeinflusst werden. In Anbetracht der führenden Rolle des Nahen Ostens im Energiemarkt könnten die Preisschwankungen erheblich sein und ein Anstieg des Ölpreises die globalen Konjunkturaussichten stark beeinträchtigen.
Währenddessen treten die Europäische Union und das Vereinigte Königreich nach dem 31. Januar in eine Übergangsphase ein. Das Vereinigte Königreich wird offiziell aus der EU ausscheiden und die Entscheidungsgewalt innerhalb des Bündnisses verlieren. Gleichzeitig wird es aber weiter den EU-Regeln folgen und auch davon profitieren. Die beiden Parteien haben bis Ende 2020 Zeit, um die Konditionen ihrer künftigen Handelsbeziehungen zu vereinbaren. "Eine Einigung in nur elf Monaten zu erzielen, wird jedoch eine schwierige Aufgabe sein", sagt Collard. Überdies beharrt Boris Johnson darauf, nicht über das Jahr 2020 hinaus zu verhandeln, selbst wenn mehr Zeit für Verhandlungen über die künftigen Beziehungen benötigt wird, und zwar obwohl die Übergangsfrist einmalig bis 2022 verlängert werden könnte.
Johnson strebt ein ehrgeiziges Handelsabkommen an, weigert sich aber gleichzeitig, sich den EU-Regelungen anzupassen. Tatsächlich hat die britische Regierung angesichts dieses engen Zeitplans angedeutet, dass sie sich mit einem Teilabkommen zufrieden geben könnte, wenn bis Ende des Jahres keine umfassende Einigung erzielt wird. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat jedoch klargestellt, dass ein fairer Wettbewerb in den Bereichen Umwelt, Arbeit, Steuern und staatliche Beihilfen eine notwendige Voraussetzung für den weiteren Zugang des Vereinigten Königreichs zum Binnenmarkt ist. Die EU hat begonnen, die Richtlinien und Ziele für die Verhandlungen zu definieren, die sie ihren Mitgliedstaaten vorlegen wird. Die EU hat auch erklärt, dass sie weiterhin für einen eventuellen "NoDeal» Ende 2020 plant, der zu ernsthaften Beeinträchtigungen der Wirtschaft führen könnte. "Eines ist sicher: Das Thema Brexit ist noch lange nicht gelöst", betont Collard.
Insgesamt hörte das Wirtschaftswachstum trotz eines krisengeschüttelten Industriesektors und eines maroden Welthandels nicht auf. Allerdings wurde 2019 das schwächste Wirtschaftswachstum seit der weltweiten Finanzkrise verzeichnet, und das Wachstum bewegt sich auf Ebene der Subtrends weitgehend seitwärts. Nachdem im vergangenen Sommer ein Höhepunkt erreicht wurde, ist die Wahrscheinlichkeit einer Rezession zurückgegangen und die Marktteilnehmer haben eine deutliche globale Erholung eingepreist. "Das Ausmass des Aufschwungs ist jedoch umstritten. Der jüngste Weltwirtschaftsausblick der Weltbank geht nur von einer leichten Erholung aus, die sich auf eine Handvoll Länder – Argentinien, Brasilien, Indien, Iran, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien und die Türkei – konzentriert. Zudem trübt die weltweite Verschuldung, die die höchste Wachstumsrate der letzten 50 Jahre aufweist, die wirtschaftlichen Aussichten. Daher geht die Weltbank nach wie vor davon aus, dass die Abwärtsrisiken überwiegen – was anscheinend nicht ausreicht, um Stirnrunzeln unter Investoren zu verursachen", kommentiert Marc-Antoine Collard.